Kann gleichwohl nicht in Abrede seyn, daß der bevorstehende Abschied, benebst der bösen Zeitung vom Hauß, und mein ver- nichteter Reiseplan auch dazu beytrug, daß ich alles schief und windisch fand was ich sah und hörte. Die ganze Gesellschaft ließ sichs doch bey ihrer Art von Laune überaus wohl seyn, und so vermessen bin ich nicht, daß ich unter einem halben Schock hübscher manierlicher Leute, mich allein für den So- krates oder den weisen Solon der Gesell- schaft halten sollte, wie so mancher aufge- dunsene Phantast unsers bisarren Zeitalters, dem von Herren, oder auch wohl nur von Rezensentengunst der Kopf schwindelt, meint er sey in einem Bezirk von drey Tagereisen umher der alleinige Generalpachter des Menschenverstandes, und rag auf den Stelzen seiner politischen oder litterarischen Favorittenschaft über alles Volk hervot, wie der heilige Christoffel bey einer Proze-
sion.
Kann gleichwohl nicht in Abrede ſeyn, daß der bevorſtehende Abſchied, benebſt der boͤſen Zeitung vom Hauß, und mein ver- nichteter Reiſeplan auch dazu beytrug, daß ich alles ſchief und windiſch fand was ich ſah und hoͤrte. Die ganze Geſellſchaft ließ ſichs doch bey ihrer Art von Laune uͤberaus wohl ſeyn, und ſo vermeſſen bin ich nicht, daß ich unter einem halben Schock huͤbſcher manierlicher Leute, mich allein fuͤr den So- krates oder den weiſen Solon der Geſell- ſchaft halten ſollte, wie ſo mancher aufge- dunſene Phantaſt unſers biſarren Zeitalters, dem von Herren, oder auch wohl nur von Rezenſentengunſt der Kopf ſchwindelt, meint er ſey in einem Bezirk von drey Tagereiſen umher der alleinige Generalpachter des Menſchenverſtandes, und rag auf den Stelzen ſeiner politiſchen oder litterariſchen Favorittenſchaft uͤber alles Volk hervot, wie der heilige Chriſtoffel bey einer Proze-
ſion.
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Kann gleichwohl nicht in Abrede ſeyn,
daß der bevorſtehende Abſchied, benebſt der
boͤſen Zeitung vom Hauß, und mein ver-
nichteter Reiſeplan auch dazu beytrug, daß
ich alles ſchief und windiſch fand was ich
ſah und hoͤrte. Die ganze Geſellſchaft ließ
ſichs doch bey ihrer Art von Laune uͤberaus
wohl ſeyn, und ſo vermeſſen bin ich nicht,
daß ich unter einem halben Schock huͤbſcher
manierlicher Leute, mich allein fuͤr den So-
krates oder den weiſen Solon der Geſell-
ſchaft halten ſollte, wie ſo mancher aufge-
dunſene Phantaſt unſers biſarren Zeitalters,
dem von Herren, oder auch wohl nur von
Rezenſentengunſt der Kopf ſchwindelt, meint
er ſey in einem Bezirk von drey Tagereiſen
umher der alleinige Generalpachter des
Menſchenverſtandes, und rag auf den
Stelzen ſeiner politiſchen oder litterariſchen
Favorittenſchaft uͤber alles Volk hervot,
wie der heilige Chriſtoffel bey einer Proze-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/252>, abgerufen am 25.11.2024.
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