Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

schen auf böß Wetter herunter gefallen war,
wieder anfing zu steigen. Hatte mich ganz
heiter geschrieben, und gewährte nun die
Bitte des Beamten Spörtlers um so willi-
ger, noch einige Zeit in Geroldsheim zu ra-
sten, weil ich den Nachschuß der Zahlung
vom Haus abzuwarten nöthig fand. Unter-
dessen entdeckt ich im Hause eine gewisse
Gährung der Gemüther, die mir an den
Physiognomien erkennbar gnug war, da-
von ich aber, alles Nachgrübelus ungeach-
tet, das eigentliche Prinzipium nicht konnte
ausfündig machen. Das war klar, daß der
harmonische Dreyklang zwischen Vater,
Mutter und Tochter manche Dissonanz gab;
und weil ein verstimmt Jnstrument dem Ohr
wenig schmeichelt; hütet' ich mich, meinen
Ton anzuschlagen, und so gabs manche
langweilige Pause in der Gesellschaft.
Freund Spörtler sah so steif und ernsthaft
aus, wie ein Criminalproceß; seine Ehe-

ge-

ſchen auf boͤß Wetter herunter gefallen war,
wieder anfing zu ſteigen. Hatte mich ganz
heiter geſchrieben, und gewaͤhrte nun die
Bitte des Beamten Spoͤrtlers um ſo willi-
ger, noch einige Zeit in Geroldsheim zu ra-
ſten, weil ich den Nachſchuß der Zahlung
vom Haus abzuwarten noͤthig fand. Unter-
deſſen entdeckt ich im Hauſe eine gewiſſe
Gaͤhrung der Gemuͤther, die mir an den
Phyſiognomien erkennbar gnug war, da-
von ich aber, alles Nachgruͤbelus ungeach-
tet, das eigentliche Prinzipium nicht konnte
ausfuͤndig machen. Das war klar, daß der
harmoniſche Dreyklang zwiſchen Vater,
Mutter und Tochter manche Diſſonanz gab;
und weil ein verſtimmt Jnſtrument dem Ohr
wenig ſchmeichelt; huͤtet’ ich mich, meinen
Ton anzuſchlagen, und ſo gabs manche
langweilige Pauſe in der Geſellſchaft.
Freund Spoͤrtler ſah ſo ſteif und ernſthaft
aus, wie ein Criminalproceß; ſeine Ehe-

ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0147" n="139"/>
&#x017F;chen auf bo&#x0364;ß Wetter herunter gefallen war,<lb/>
wieder anfing zu &#x017F;teigen. Hatte mich ganz<lb/>
heiter ge&#x017F;chrieben, und gewa&#x0364;hrte nun die<lb/>
Bitte des Beamten Spo&#x0364;rtlers um &#x017F;o willi-<lb/>
ger, noch einige Zeit in Geroldsheim zu ra-<lb/>
&#x017F;ten, weil ich den Nach&#x017F;chuß der Zahlung<lb/>
vom Haus abzuwarten no&#x0364;thig fand. Unter-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en entdeckt ich im Hau&#x017F;e eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Ga&#x0364;hrung der Gemu&#x0364;ther, die mir an den<lb/>
Phy&#x017F;iognomien erkennbar gnug war, da-<lb/>
von ich aber, alles Nachgru&#x0364;belus ungeach-<lb/>
tet, das eigentliche Prinzipium nicht konnte<lb/>
ausfu&#x0364;ndig machen. Das war klar, daß der<lb/>
harmoni&#x017F;che Dreyklang zwi&#x017F;chen Vater,<lb/>
Mutter und Tochter manche Di&#x017F;&#x017F;onanz gab;<lb/>
und weil ein ver&#x017F;timmt Jn&#x017F;trument dem Ohr<lb/>
wenig &#x017F;chmeichelt; hu&#x0364;tet&#x2019; ich mich, meinen<lb/>
Ton anzu&#x017F;chlagen, und &#x017F;o gabs manche<lb/>
langweilige Pau&#x017F;e in der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft.<lb/>
Freund Spo&#x0364;rtler &#x017F;ah &#x017F;o &#x017F;teif und ern&#x017F;thaft<lb/>
aus, wie ein Criminalproceß; &#x017F;eine Ehe-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ge-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0147] ſchen auf boͤß Wetter herunter gefallen war, wieder anfing zu ſteigen. Hatte mich ganz heiter geſchrieben, und gewaͤhrte nun die Bitte des Beamten Spoͤrtlers um ſo willi- ger, noch einige Zeit in Geroldsheim zu ra- ſten, weil ich den Nachſchuß der Zahlung vom Haus abzuwarten noͤthig fand. Unter- deſſen entdeckt ich im Hauſe eine gewiſſe Gaͤhrung der Gemuͤther, die mir an den Phyſiognomien erkennbar gnug war, da- von ich aber, alles Nachgruͤbelus ungeach- tet, das eigentliche Prinzipium nicht konnte ausfuͤndig machen. Das war klar, daß der harmoniſche Dreyklang zwiſchen Vater, Mutter und Tochter manche Diſſonanz gab; und weil ein verſtimmt Jnſtrument dem Ohr wenig ſchmeichelt; huͤtet’ ich mich, meinen Ton anzuſchlagen, und ſo gabs manche langweilige Pauſe in der Geſellſchaft. Freund Spoͤrtler ſah ſo ſteif und ernſthaft aus, wie ein Criminalproceß; ſeine Ehe- ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/147
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/147>, abgerufen am 26.04.2024.