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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

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von seiner liebreichen Gattin geöffnet wurde,
ich drückt ihr im Geiste gar herzig ihre sanfte
weibliche Hand, die ich mir in der Natur
freilich lieblicher gedenke, als mir ihre ab-
silhouettirten Handschuh' im Buch vorgekom-
men sind. Die schöne Vision verschwand,
als mein Feldjäger die Treppe herauf tapp-
te, mir seine Depeschen abzugeben. Schritt
der Philipp so flink und rüstig einher, daß
ich ihm keine Belastung von grobem Courant
abmerken konnt. Eh ich die Briefsiegel
lößte, frug ich, wo er das baare Geld ge-
lassen hab? Worauf er in den Schubsack
griff und einen versiegelten Beutel hervor-
zog, der extensive meiner Erwartung zwar
entsprach; aber nicht intensive: denn er sah
so welk und dürrleibig aus, wie eine von
den sieben magern Kühen Pharaonis.

Das war allerdings ein großer Strich
durch meine Rechnung, und ich wurde da-
durch so übler Laune, daß ich meinem Phi-

lipp
G 3

von ſeiner liebreichen Gattin geoͤffnet wurde,
ich druͤckt ihr im Geiſte gar herzig ihre ſanfte
weibliche Hand, die ich mir in der Natur
freilich lieblicher gedenke, als mir ihre ab-
ſilhouettirten Handſchuh’ im Buch vorgekom-
men ſind. Die ſchoͤne Viſion verſchwand,
als mein Feldjaͤger die Treppe herauf tapp-
te, mir ſeine Depeſchen abzugeben. Schritt
der Philipp ſo flink und ruͤſtig einher, daß
ich ihm keine Belaſtung von grobem Courant
abmerken konnt. Eh ich die Briefſiegel
loͤßte, frug ich, wo er das baare Geld ge-
laſſen hab? Worauf er in den Schubſack
griff und einen verſiegelten Beutel hervor-
zog, der extenſive meiner Erwartung zwar
entſprach; aber nicht intenſive: denn er ſah
ſo welk und duͤrrleibig aus, wie eine von
den ſieben magern Kuͤhen Pharaonis.

Das war allerdings ein großer Strich
durch meine Rechnung, und ich wurde da-
durch ſo uͤbler Laune, daß ich meinem Phi-

lipp
G 3
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[101/0109] von ſeiner liebreichen Gattin geoͤffnet wurde, ich druͤckt ihr im Geiſte gar herzig ihre ſanfte weibliche Hand, die ich mir in der Natur freilich lieblicher gedenke, als mir ihre ab- ſilhouettirten Handſchuh’ im Buch vorgekom- men ſind. Die ſchoͤne Viſion verſchwand, als mein Feldjaͤger die Treppe herauf tapp- te, mir ſeine Depeſchen abzugeben. Schritt der Philipp ſo flink und ruͤſtig einher, daß ich ihm keine Belaſtung von grobem Courant abmerken konnt. Eh ich die Briefſiegel loͤßte, frug ich, wo er das baare Geld ge- laſſen hab? Worauf er in den Schubſack griff und einen verſiegelten Beutel hervor- zog, der extenſive meiner Erwartung zwar entſprach; aber nicht intenſive: denn er ſah ſo welk und duͤrrleibig aus, wie eine von den ſieben magern Kuͤhen Pharaonis. Das war allerdings ein großer Strich durch meine Rechnung, und ich wurde da- durch ſo uͤbler Laune, daß ich meinem Phi- lipp G 3

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/109>, abgerufen am 22.11.2024.