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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

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also einen Wucherer oder einen Naturalien-
sammler, einen Atheisten oder einen Heili-
gen, einen Banquier oder Beutelschneider,
einen Kunstrichter oder Partheygänger, ei-
nen Orthodoren oder Licenttyrannen beleben,
einen Kampfhahn oder gar einen Basilisken
ausbrüten werde, das hängt eben so wenig
von der Seele und der Organisation des
Körpers, als vom Einfluß des Gehirus in
die Geburtsstunde ab. Daher läßt sich
auch nicht aus der Gesichtsform errathen,
ob einer Anlage und Fähigkeit habe, ein
Seher oder ein Spion, ein Dichter oder
ein Taschenspieler, ein Schweber, Jdeali-
sirer oder ein Phantast zu seyn. Die Phy-
siognomie zeigt nichts als Fähigkeit und
Kraft zu wirken, die Thathandlungen be-
stimmen den Gebrauch derselben. Jn ie-
nen natürlichen Gränzen ist die ganze Phy-
siognomik eingeschlossen, die zweite Opera-
tion, die Beurtheilung des Menschen kommt

nicht

alſo einen Wucherer oder einen Naturalien-
ſammler, einen Atheiſten oder einen Heili-
gen, einen Banquier oder Beutelſchneider,
einen Kunſtrichter oder Partheygaͤnger, ei-
nen Orthodoren oder Licenttyrannen beleben,
einen Kampfhahn oder gar einen Baſiliſken
ausbruͤten werde, das haͤngt eben ſo wenig
von der Seele und der Organiſation des
Koͤrpers, als vom Einfluß des Gehirus in
die Geburtsſtunde ab. Daher laͤßt ſich
auch nicht aus der Geſichtsform errathen,
ob einer Anlage und Faͤhigkeit habe, ein
Seher oder ein Spion, ein Dichter oder
ein Taſchenſpieler, ein Schweber, Jdeali-
ſirer oder ein Phantaſt zu ſeyn. Die Phy-
ſiognomie zeigt nichts als Faͤhigkeit und
Kraft zu wirken, die Thathandlungen be-
ſtimmen den Gebrauch derſelben. Jn ie-
nen natuͤrlichen Graͤnzen iſt die ganze Phy-
ſiognomik eingeſchloſſen, die zweite Opera-
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[43/0043] alſo einen Wucherer oder einen Naturalien- ſammler, einen Atheiſten oder einen Heili- gen, einen Banquier oder Beutelſchneider, einen Kunſtrichter oder Partheygaͤnger, ei- nen Orthodoren oder Licenttyrannen beleben, einen Kampfhahn oder gar einen Baſiliſken ausbruͤten werde, das haͤngt eben ſo wenig von der Seele und der Organiſation des Koͤrpers, als vom Einfluß des Gehirus in die Geburtsſtunde ab. Daher laͤßt ſich auch nicht aus der Geſichtsform errathen, ob einer Anlage und Faͤhigkeit habe, ein Seher oder ein Spion, ein Dichter oder ein Taſchenſpieler, ein Schweber, Jdeali- ſirer oder ein Phantaſt zu ſeyn. Die Phy- ſiognomie zeigt nichts als Faͤhigkeit und Kraft zu wirken, die Thathandlungen be- ſtimmen den Gebrauch derſelben. Jn ie- nen natuͤrlichen Graͤnzen iſt die ganze Phy- ſiognomik eingeſchloſſen, die zweite Opera- tion, die Beurtheilung des Menſchen kommt nicht

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/43>, abgerufen am 26.04.2024.