der Hauptzweck ist. Jch verließ den Jrr- weg der Gefühle, und folgte der Heerstraße des Verstandes. Das erste Axiom, das mir auf meinem Wege begegnete, war, daß der ganze Kram von der Bedeutsamkeit ein- zelner Theile des Gesichts, nichts als lee- res Stroh sey, aus dem sich kein Waitzen sammlen lasse. Eben die Form der Nase, die Wölbung der Stirn, die Oeffnung des Auges, welche in einem Gesicht Arglist, Trug, Niederträchtigkeit weissagen, be- zeichnen in dem andern Ehrlichkeit, Treue, Rechtschaffenheit, wenn diese Tugenden noch unter den Menschen wohnen. Alle einzelne Theile des Gesichts, verhalten sich wie einzelne Töne, die einen einfachen Laut geben, der ist, was man ihn gelten läßt; aber die Zusammenstimmung mehrerer macht einen Akkord, von dem sich urthei- len läßt, ob er dur oder moll sey. Darum hab' ich mich nie auf die Bedeutsamkeit ein-
zelner
der Hauptzweck iſt. Jch verließ den Jrr- weg der Gefuͤhle, und folgte der Heerſtraße des Verſtandes. Das erſte Axiom, das mir auf meinem Wege begegnete, war, daß der ganze Kram von der Bedeutſamkeit ein- zelner Theile des Geſichts, nichts als lee- res Stroh ſey, aus dem ſich kein Waitzen ſammlen laſſe. Eben die Form der Naſe, die Woͤlbung der Stirn, die Oeffnung des Auges, welche in einem Geſicht Argliſt, Trug, Niedertraͤchtigkeit weiſſagen, be- zeichnen in dem andern Ehrlichkeit, Treue, Rechtſchaffenheit, wenn dieſe Tugenden noch unter den Menſchen wohnen. Alle einzelne Theile des Geſichts, verhalten ſich wie einzelne Toͤne, die einen einfachen Laut geben, der iſt, was man ihn gelten laͤßt; aber die Zuſammenſtimmung mehrerer macht einen Akkord, von dem ſich urthei- len laͤßt, ob er dur oder moll ſey. Darum hab’ ich mich nie auf die Bedeutſamkeit ein-
zelner
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0040"n="40"/>
der Hauptzweck iſt. Jch verließ den Jrr-<lb/>
weg der Gefuͤhle, und folgte der Heerſtraße<lb/>
des Verſtandes. Das erſte Axiom, das<lb/>
mir auf meinem Wege begegnete, war, daß<lb/>
der ganze Kram von der Bedeutſamkeit ein-<lb/>
zelner Theile des Geſichts, nichts als lee-<lb/>
res Stroh ſey, aus dem ſich kein Waitzen<lb/>ſammlen laſſe. Eben die Form der Naſe,<lb/>
die Woͤlbung der Stirn, die Oeffnung des<lb/>
Auges, welche in einem Geſicht Argliſt,<lb/>
Trug, Niedertraͤchtigkeit weiſſagen, be-<lb/>
zeichnen in dem andern Ehrlichkeit, Treue,<lb/>
Rechtſchaffenheit, wenn dieſe Tugenden<lb/>
noch unter den Menſchen wohnen. Alle<lb/>
einzelne Theile des Geſichts, verhalten ſich<lb/>
wie einzelne Toͤne, die einen einfachen Laut<lb/>
geben, der iſt, was man ihn gelten laͤßt;<lb/>
aber die Zuſammenſtimmung mehrerer<lb/>
macht einen Akkord, von dem ſich urthei-<lb/>
len laͤßt, ob er dur oder moll ſey. Darum<lb/>
hab’ ich mich nie auf die Bedeutſamkeit ein-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">zelner</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[40/0040]
der Hauptzweck iſt. Jch verließ den Jrr-
weg der Gefuͤhle, und folgte der Heerſtraße
des Verſtandes. Das erſte Axiom, das
mir auf meinem Wege begegnete, war, daß
der ganze Kram von der Bedeutſamkeit ein-
zelner Theile des Geſichts, nichts als lee-
res Stroh ſey, aus dem ſich kein Waitzen
ſammlen laſſe. Eben die Form der Naſe,
die Woͤlbung der Stirn, die Oeffnung des
Auges, welche in einem Geſicht Argliſt,
Trug, Niedertraͤchtigkeit weiſſagen, be-
zeichnen in dem andern Ehrlichkeit, Treue,
Rechtſchaffenheit, wenn dieſe Tugenden
noch unter den Menſchen wohnen. Alle
einzelne Theile des Geſichts, verhalten ſich
wie einzelne Toͤne, die einen einfachen Laut
geben, der iſt, was man ihn gelten laͤßt;
aber die Zuſammenſtimmung mehrerer
macht einen Akkord, von dem ſich urthei-
len laͤßt, ob er dur oder moll ſey. Darum
hab’ ich mich nie auf die Bedeutſamkeit ein-
zelner
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/40>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.