ein so flüchtiges Roß hätte mir nicht ein- mal gedient, dem hätt der Wallach, der meinen Philipp trug, so wenig nachschrei- ten können, als der Esel Baldewein, wel- cher im April 77 die drollige Entervüe mit dem Pegasus gehabt, diesem auf den He- likon nachfliegen konnt'.
Nun will ich dir Bericht geben, lieber Leser, von Grund und Ursach meines selt- samen Carusselrittes. Hatte sich eine em- pfindsame Reverie meiner Seel dergestalt bemeistert, daß sie, mit dieser desto unge- störter zu kramen, sich in das abgelegenste Hirnkämmerlein zurückgezogen, und nach- dem sie nur das Nervenpaar gespannt, welches dienet, den Schluß im Sattel zu halten, hatte sie die übrigen acht Paar in Ruh gesetzt, gleich einem Schiffer, der bey heftigem Sturm das Steuerruder fest bindet, die Segel einnimmt und das Schiff treiben läßt, wohin Gott will. Die fünf
Tho-
ein ſo fluͤchtiges Roß haͤtte mir nicht ein- mal gedient, dem haͤtt der Wallach, der meinen Philipp trug, ſo wenig nachſchrei- ten koͤnnen, als der Eſel Baldewein, wel- cher im April 77 die drollige Entervuͤe mit dem Pegaſus gehabt, dieſem auf den He- likon nachfliegen konnt’.
Nun will ich dir Bericht geben, lieber Leſer, von Grund und Urſach meines ſelt- ſamen Caruſſelrittes. Hatte ſich eine em- pfindſame Réverie meiner Seel dergeſtalt bemeiſtert, daß ſie, mit dieſer deſto unge- ſtoͤrter zu kramen, ſich in das abgelegenſte Hirnkaͤmmerlein zuruͤckgezogen, und nach- dem ſie nur das Nervenpaar geſpannt, welches dienet, den Schluß im Sattel zu halten, hatte ſie die uͤbrigen acht Paar in Ruh geſetzt, gleich einem Schiffer, der bey heftigem Sturm das Steuerruder feſt bindet, die Segel einnimmt und das Schiff treiben laͤßt, wohin Gott will. Die fuͤnf
Tho-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0006"n="6"/>
ein ſo fluͤchtiges Roß haͤtte mir nicht ein-<lb/>
mal gedient, dem haͤtt der Wallach, der<lb/>
meinen Philipp trug, ſo wenig nachſchrei-<lb/>
ten koͤnnen, als der Eſel Baldewein, wel-<lb/>
cher im April 77 die drollige Entervuͤe mit<lb/>
dem Pegaſus gehabt, dieſem auf den He-<lb/>
likon nachfliegen konnt’.</p><lb/><p>Nun will ich dir Bericht geben, lieber<lb/>
Leſer, von Grund und Urſach meines ſelt-<lb/>ſamen Caruſſelrittes. Hatte ſich eine em-<lb/>
pfindſame <hirendition="#aq">Réverie</hi> meiner Seel dergeſtalt<lb/>
bemeiſtert, daß ſie, mit dieſer deſto unge-<lb/>ſtoͤrter zu kramen, ſich in das abgelegenſte<lb/>
Hirnkaͤmmerlein zuruͤckgezogen, und nach-<lb/>
dem ſie nur das Nervenpaar geſpannt,<lb/>
welches dienet, den Schluß im Sattel zu<lb/>
halten, hatte ſie die uͤbrigen acht Paar in<lb/>
Ruh geſetzt, gleich einem Schiffer, der<lb/>
bey heftigem Sturm das Steuerruder feſt<lb/>
bindet, die Segel einnimmt und das Schiff<lb/>
treiben laͤßt, wohin Gott will. Die fuͤnf<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Tho-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[6/0006]
ein ſo fluͤchtiges Roß haͤtte mir nicht ein-
mal gedient, dem haͤtt der Wallach, der
meinen Philipp trug, ſo wenig nachſchrei-
ten koͤnnen, als der Eſel Baldewein, wel-
cher im April 77 die drollige Entervuͤe mit
dem Pegaſus gehabt, dieſem auf den He-
likon nachfliegen konnt’.
Nun will ich dir Bericht geben, lieber
Leſer, von Grund und Urſach meines ſelt-
ſamen Caruſſelrittes. Hatte ſich eine em-
pfindſame Réverie meiner Seel dergeſtalt
bemeiſtert, daß ſie, mit dieſer deſto unge-
ſtoͤrter zu kramen, ſich in das abgelegenſte
Hirnkaͤmmerlein zuruͤckgezogen, und nach-
dem ſie nur das Nervenpaar geſpannt,
welches dienet, den Schluß im Sattel zu
halten, hatte ſie die uͤbrigen acht Paar in
Ruh geſetzt, gleich einem Schiffer, der
bey heftigem Sturm das Steuerruder feſt
bindet, die Segel einnimmt und das Schiff
treiben laͤßt, wohin Gott will. Die fuͤnf
Tho-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/6>, abgerufen am 03.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.