chenen Meistersänger zum großen Dichter- genie ist umgestempelt worden; beweißt nicht der alte Meister Schuster, der den Nürnberger Witz zuerst in solche Aufnahme gebracht hat, daß er dem Straßburger Ge- schütz und Augspurger Geld ist gleich ge- schätzt worden, und seiner poetischen Ver- dienste halber, neuerdings Bewunderer, Nachahmer, Beschützer, Verleger und Subscribenten gefunden hat: daß ein Schu- ster, ungeachtet seiner Mißgestalt, 'n Ge- nie seyn könne? Die Genielinie ist ja nicht die Schwunglinie der Schönheit, jene kann krumm und höckerich seyn; aber das kann diese nicht. Daher meyn' ich, der herzgute Lavater habe die ehrsame Schustergewerk- schaft in Zürch leichter zufrieden stellen, und mit geringern Spesen abkommen können, wenn er sie für die den Zunftgenossen attri- buirte Mißgestalt, durch Genieblick entschä- diget hätte, welches er mit gutem Gewissen
hätte
chenen Meiſterſaͤnger zum großen Dichter- genie iſt umgeſtempelt worden; beweißt nicht der alte Meiſter Schuſter, der den Nuͤrnberger Witz zuerſt in ſolche Aufnahme gebracht hat, daß er dem Straßburger Ge- ſchuͤtz und Augſpurger Geld iſt gleich ge- ſchaͤtzt worden, und ſeiner poetiſchen Ver- dienſte halber, neuerdings Bewunderer, Nachahmer, Beſchuͤtzer, Verleger und Subſcribenten gefunden hat: daß ein Schu- ſter, ungeachtet ſeiner Mißgeſtalt, ’n Ge- nie ſeyn koͤnne? Die Genielinie iſt ja nicht die Schwunglinie der Schoͤnheit, jene kann krumm und hoͤckerich ſeyn; aber das kann dieſe nicht. Daher meyn’ ich, der herzgute Lavater habe die ehrſame Schuſtergewerk- ſchaft in Zuͤrch leichter zufrieden ſtellen, und mit geringern Speſen abkommen koͤnnen, wenn er ſie fuͤr die den Zunftgenoſſen attri- buirte Mißgeſtalt, durch Genieblick entſchaͤ- diget haͤtte, welches er mit gutem Gewiſſen
haͤtte
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chenen Meiſterſaͤnger zum großen Dichter-
genie iſt umgeſtempelt worden; beweißt
nicht der alte Meiſter Schuſter, der den
Nuͤrnberger Witz zuerſt in ſolche Aufnahme
gebracht hat, daß er dem Straßburger Ge-
ſchuͤtz und Augſpurger Geld iſt gleich ge-
ſchaͤtzt worden, und ſeiner poetiſchen Ver-
dienſte halber, neuerdings Bewunderer,
Nachahmer, Beſchuͤtzer, Verleger und
Subſcribenten gefunden hat: daß ein Schu-
ſter, ungeachtet ſeiner Mißgeſtalt, ’n Ge-
nie ſeyn koͤnne? Die Genielinie iſt ja nicht
die Schwunglinie der Schoͤnheit, jene kann
krumm und hoͤckerich ſeyn; aber das kann
dieſe nicht. Daher meyn’ ich, der herzgute
Lavater habe die ehrſame Schuſtergewerk-
ſchaft in Zuͤrch leichter zufrieden ſtellen, und
mit geringern Speſen abkommen koͤnnen,
wenn er ſie fuͤr die den Zunftgenoſſen attri-
buirte Mißgeſtalt, durch Genieblick entſchaͤ-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/46>, abgerufen am 03.07.2024.
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