Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Weil sichs nun eben so gefügt hatte, daß
ich der Sophie quitt und ledig worden war,
nahm ich mir fest vor, des Mädchens Bild
aus meinem Herzen zu verdrängen, nicht
mehr von ihr zu reden, noch an sie zu den-
ken, und wenn meine Seel dieser Pupp' im
Vorbeygehen ansichtig würd, sie ins Män-
telgen fassen und herumtragen wollt', ihr
das Spiel ernstlich zu untersagen. Aber
da durchkreuzte sich Theorie und Praxis,
Verstand und Will wieder dergestalt, daß
ich wahr und richtig befand, was ich schon
mehrmalen bey mir gedacht hate, daß,
wenn der Verstand im Kopf Regent ist, er
wahrlich! nicht so despotisch regiert als der
Grossultan, sondern als ein Doge von Ve-
nedig, der die Dekrete unterschreiben muß,
die ihm der Senat vorlegt; denn wenn
der Wille mit seinem Niposwolam her-
vortritt, der von dem Hans Hagel
der Leidenschaften aufgewiegelt wird, so

muß

Weil ſichs nun eben ſo gefuͤgt hatte, daß
ich der Sophie quitt und ledig worden war,
nahm ich mir feſt vor, des Maͤdchens Bild
aus meinem Herzen zu verdraͤngen, nicht
mehr von ihr zu reden, noch an ſie zu den-
ken, und wenn meine Seel dieſer Pupp’ im
Vorbeygehen anſichtig wuͤrd, ſie ins Maͤn-
telgen faſſen und herumtragen wollt’, ihr
das Spiel ernſtlich zu unterſagen. Aber
da durchkreuzte ſich Theorie und Praxis,
Verſtand und Will wieder dergeſtalt, daß
ich wahr und richtig befand, was ich ſchon
mehrmalen bey mir gedacht hate, daß,
wenn der Verſtand im Kopf Regent iſt, er
wahrlich! nicht ſo deſpotiſch regiert als der
Grosſultan, ſondern als ein Doge von Ve-
nedig, der die Dekrete unterſchreiben muß,
die ihm der Senat vorlegt; denn wenn
der Wille mit ſeinem Niposwolam her-
vortritt, der von dem Hans Hagel
der Leidenſchaften aufgewiegelt wird, ſo

muß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0024" n="24"/>
        <p>Weil &#x017F;ichs nun eben &#x017F;o gefu&#x0364;gt hatte, daß<lb/>
ich der Sophie quitt und ledig worden war,<lb/>
nahm ich mir fe&#x017F;t vor, des Ma&#x0364;dchens Bild<lb/>
aus meinem Herzen zu verdra&#x0364;ngen, nicht<lb/>
mehr von ihr zu reden, noch an &#x017F;ie zu den-<lb/>
ken, und wenn meine Seel die&#x017F;er Pupp&#x2019; im<lb/>
Vorbeygehen an&#x017F;ichtig wu&#x0364;rd, &#x017F;ie ins Ma&#x0364;n-<lb/>
telgen fa&#x017F;&#x017F;en und herumtragen wollt&#x2019;, ihr<lb/>
das Spiel ern&#x017F;tlich zu unter&#x017F;agen. Aber<lb/>
da durchkreuzte &#x017F;ich Theorie und Praxis,<lb/>
Ver&#x017F;tand und Will wieder derge&#x017F;talt, daß<lb/>
ich wahr und richtig befand, was ich &#x017F;chon<lb/>
mehrmalen bey mir gedacht hate, daß,<lb/>
wenn der Ver&#x017F;tand im Kopf Regent i&#x017F;t, er<lb/>
wahrlich! nicht &#x017F;o de&#x017F;poti&#x017F;ch regiert als der<lb/>
Gros&#x017F;ultan, &#x017F;ondern als ein Doge von Ve-<lb/>
nedig, der die Dekrete unter&#x017F;chreiben muß,<lb/>
die ihm der Senat vorlegt; denn wenn<lb/>
der Wille mit &#x017F;einem <hi rendition="#aq">Niposwolam</hi> her-<lb/>
vortritt, der von dem Hans Hagel<lb/>
der Leiden&#x017F;chaften aufgewiegelt wird, &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">muß</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0024] Weil ſichs nun eben ſo gefuͤgt hatte, daß ich der Sophie quitt und ledig worden war, nahm ich mir feſt vor, des Maͤdchens Bild aus meinem Herzen zu verdraͤngen, nicht mehr von ihr zu reden, noch an ſie zu den- ken, und wenn meine Seel dieſer Pupp’ im Vorbeygehen anſichtig wuͤrd, ſie ins Maͤn- telgen faſſen und herumtragen wollt’, ihr das Spiel ernſtlich zu unterſagen. Aber da durchkreuzte ſich Theorie und Praxis, Verſtand und Will wieder dergeſtalt, daß ich wahr und richtig befand, was ich ſchon mehrmalen bey mir gedacht hate, daß, wenn der Verſtand im Kopf Regent iſt, er wahrlich! nicht ſo deſpotiſch regiert als der Grosſultan, ſondern als ein Doge von Ve- nedig, der die Dekrete unterſchreiben muß, die ihm der Senat vorlegt; denn wenn der Wille mit ſeinem Niposwolam her- vortritt, der von dem Hans Hagel der Leidenſchaften aufgewiegelt wird, ſo muß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/24
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/24>, abgerufen am 24.11.2024.