Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Hoffuung, getäuschte Wünsche, verlohrnen
Genuß, oder sonst einen widrigen Zufall
überdenkt, oder von mehrern zugleich die
aus Herz gehen ohn' es jedoch zu erbittern,
das Latus zieht und überrechnet; es sey die
Urne eines lieben Mädchens, oder ihr Leicht-
sinn; ein buhlerisch Eheweib; ein unglück-
licher Freund; ein Wildfang von einem
Sohn; eine mißrathene Tochter; ein mit
Mann und Maus gesunken Schiff; ein
aufgebrannter Speicher, verlohrne Herren-
gunst, und was sonst noch in die Litaney
der Unglücksfälle gehört, davon die christ-
liche Kirche singt, davor behüt uns lieber
Herr Gott: so schmachtet die Seel' in stil-
lem Gram trübsinniger Wollust hin, sinkt
ganz in ein behagliches Gefühl der Schwer-
muth herab, von dem sie sich ungern loß
windet. Feist wird einer nicht leicht dabey;
aber 's ist einem doch so wohl ums Herz,
und besser als dem, dem immer ein gün-

stiger

Hoffuung, getaͤuſchte Wuͤnſche, verlohrnen
Genuß, oder ſonſt einen widrigen Zufall
uͤberdenkt, oder von mehrern zugleich die
aus Herz gehen ohn’ es jedoch zu erbittern,
das Latus zieht und uͤberrechnet; es ſey die
Urne eines lieben Maͤdchens, oder ihr Leicht-
ſinn; ein buhleriſch Eheweib; ein ungluͤck-
licher Freund; ein Wildfang von einem
Sohn; eine mißrathene Tochter; ein mit
Mann und Maus geſunken Schiff; ein
aufgebrannter Speicher, verlohrne Herren-
gunſt, und was ſonſt noch in die Litaney
der Ungluͤcksfaͤlle gehoͤrt, davon die chriſt-
liche Kirche ſingt, davor behuͤt uns lieber
Herr Gott: ſo ſchmachtet die Seel’ in ſtil-
lem Gram truͤbſinniger Wolluſt hin, ſinkt
ganz in ein behagliches Gefuͤhl der Schwer-
muth herab, von dem ſie ſich ungern loß
windet. Feiſt wird einer nicht leicht dabey;
aber ’s iſt einem doch ſo wohl ums Herz,
und beſſer als dem, dem immer ein guͤn-

ſtiger
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0018" n="18"/>
Hoffuung, geta&#x0364;u&#x017F;chte Wu&#x0364;n&#x017F;che, verlohrnen<lb/>
Genuß, oder &#x017F;on&#x017F;t einen widrigen Zufall<lb/>
u&#x0364;berdenkt, oder von mehrern zugleich die<lb/>
aus Herz gehen ohn&#x2019; es jedoch zu erbittern,<lb/>
das Latus zieht und u&#x0364;berrechnet; es &#x017F;ey die<lb/>
Urne eines lieben Ma&#x0364;dchens, oder ihr Leicht-<lb/>
&#x017F;inn; ein buhleri&#x017F;ch Eheweib; ein unglu&#x0364;ck-<lb/>
licher Freund; ein Wildfang von einem<lb/>
Sohn; eine mißrathene Tochter; ein mit<lb/>
Mann und Maus ge&#x017F;unken Schiff; ein<lb/>
aufgebrannter Speicher, verlohrne Herren-<lb/>
gun&#x017F;t, und was &#x017F;on&#x017F;t noch in die Litaney<lb/>
der Unglu&#x0364;cksfa&#x0364;lle geho&#x0364;rt, davon die chri&#x017F;t-<lb/>
liche Kirche &#x017F;ingt, davor behu&#x0364;t uns lieber<lb/>
Herr Gott: &#x017F;o &#x017F;chmachtet die Seel&#x2019; in &#x017F;til-<lb/>
lem Gram tru&#x0364;b&#x017F;inniger Wollu&#x017F;t hin, &#x017F;inkt<lb/>
ganz in ein behagliches Gefu&#x0364;hl der Schwer-<lb/>
muth herab, von dem &#x017F;ie &#x017F;ich ungern loß<lb/>
windet. Fei&#x017F;t wird einer nicht leicht dabey;<lb/>
aber &#x2019;s i&#x017F;t einem doch &#x017F;o wohl ums Herz,<lb/>
und be&#x017F;&#x017F;er als dem, dem immer ein gu&#x0364;n-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tiger</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0018] Hoffuung, getaͤuſchte Wuͤnſche, verlohrnen Genuß, oder ſonſt einen widrigen Zufall uͤberdenkt, oder von mehrern zugleich die aus Herz gehen ohn’ es jedoch zu erbittern, das Latus zieht und uͤberrechnet; es ſey die Urne eines lieben Maͤdchens, oder ihr Leicht- ſinn; ein buhleriſch Eheweib; ein ungluͤck- licher Freund; ein Wildfang von einem Sohn; eine mißrathene Tochter; ein mit Mann und Maus geſunken Schiff; ein aufgebrannter Speicher, verlohrne Herren- gunſt, und was ſonſt noch in die Litaney der Ungluͤcksfaͤlle gehoͤrt, davon die chriſt- liche Kirche ſingt, davor behuͤt uns lieber Herr Gott: ſo ſchmachtet die Seel’ in ſtil- lem Gram truͤbſinniger Wolluſt hin, ſinkt ganz in ein behagliches Gefuͤhl der Schwer- muth herab, von dem ſie ſich ungern loß windet. Feiſt wird einer nicht leicht dabey; aber ’s iſt einem doch ſo wohl ums Herz, und beſſer als dem, dem immer ein guͤn- ſtiger

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/18
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/18>, abgerufen am 21.11.2024.