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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

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steckts eben Herr, das trift wahrlich! nicht
zu, Wahn, Jrrsal ists, und nichts mehr.

Nur Gedult! Wirst's wohl noch inne
werden, daß alles gar genau zutrift, wird
der Markus dem hänfenen Halsband nicht
entlauffen.

So dauert das Gespräch noch eine Weil'
fort, fand daß mein Philipp nicht zu bekeh-
ren wär. Hätt' gleichwohl gewünscht, daß
er physiognomisch Wahrheitsgefühl empfin-
den möcht, weil ich physiognomischen Sinn
an ihm bemerkt hatt'. Kam mir in Kopf,
die Sach auf ein' andre Weiß' mit ihm an-
zufangen. Traf sich von ungefehr, daß
ein Ochs oder Rind war übern Weg geschrit-
ten, davon die Spur deutlich zu sehen war.
Sprach ich: schau Philipp, da hat ein
stattlicher Hirsch gestanden, sprech ihn für
einen sechzehner an. Philipp gaft mir spott-
lächelnd ins Gesicht, meint's wär ein Stück
Stallwilpert aus meinem Hof gewesen,
käuet' mir drauf seine ganze Jchniognomik
vor, wie's der Jäger Art ist, die sich auf ih-
re Jägerkünst' viel wissen. Vermaß sich die
Firt' iedes Gethiers nach seiner Art und Ge-
schlecht nicht nur zu iudiciren, sondern auch,
ob ein Thier Junge trag, wie viel Enden

der
C 3

ſteckts eben Herr, das trift wahrlich! nicht
zu, Wahn, Jrrſal iſts, und nichts mehr.

Nur Gedult! Wirſt’s wohl noch inne
werden, daß alles gar genau zutrift, wird
der Markus dem haͤnfenen Halsband nicht
entlauffen.

So dauert das Geſpraͤch noch eine Weil’
fort, fand daß mein Philipp nicht zu bekeh-
ren waͤr. Haͤtt’ gleichwohl gewuͤnſcht, daß
er phyſiognomiſch Wahrheitsgefuͤhl empfin-
den moͤcht, weil ich phyſiognomiſchen Sinn
an ihm bemerkt hatt’. Kam mir in Kopf,
die Sach auf ein’ andre Weiß’ mit ihm an-
zufangen. Traf ſich von ungefehr, daß
ein Ochs oder Rind war uͤbern Weg geſchrit-
ten, davon die Spur deutlich zu ſehen war.
Sprach ich: ſchau Philipp, da hat ein
ſtattlicher Hirſch geſtanden, ſprech ihn fuͤr
einen ſechzehner an. Philipp gaft mir ſpott-
laͤchelnd ins Geſicht, meint’s waͤr ein Stuͤck
Stallwilpert aus meinem Hof geweſen,
kaͤuet’ mir drauf ſeine ganze Jchniognomik
vor, wie’s der Jaͤger Art iſt, die ſich auf ih-
re Jaͤgerkuͤnſt’ viel wiſſen. Vermaß ſich die
Firt’ iedes Gethiers nach ſeiner Art und Ge-
ſchlecht nicht nur zu iudiciren, ſondern auch,
ob ein Thier Junge trag, wie viel Enden

der
C 3
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[37/0043] ſteckts eben Herr, das trift wahrlich! nicht zu, Wahn, Jrrſal iſts, und nichts mehr. Nur Gedult! Wirſt’s wohl noch inne werden, daß alles gar genau zutrift, wird der Markus dem haͤnfenen Halsband nicht entlauffen. So dauert das Geſpraͤch noch eine Weil’ fort, fand daß mein Philipp nicht zu bekeh- ren waͤr. Haͤtt’ gleichwohl gewuͤnſcht, daß er phyſiognomiſch Wahrheitsgefuͤhl empfin- den moͤcht, weil ich phyſiognomiſchen Sinn an ihm bemerkt hatt’. Kam mir in Kopf, die Sach auf ein’ andre Weiß’ mit ihm an- zufangen. Traf ſich von ungefehr, daß ein Ochs oder Rind war uͤbern Weg geſchrit- ten, davon die Spur deutlich zu ſehen war. Sprach ich: ſchau Philipp, da hat ein ſtattlicher Hirſch geſtanden, ſprech ihn fuͤr einen ſechzehner an. Philipp gaft mir ſpott- laͤchelnd ins Geſicht, meint’s waͤr ein Stuͤck Stallwilpert aus meinem Hof geweſen, kaͤuet’ mir drauf ſeine ganze Jchniognomik vor, wie’s der Jaͤger Art iſt, die ſich auf ih- re Jaͤgerkuͤnſt’ viel wiſſen. Vermaß ſich die Firt’ iedes Gethiers nach ſeiner Art und Ge- ſchlecht nicht nur zu iudiciren, ſondern auch, ob ein Thier Junge trag, wie viel Enden der C 3

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/43>, abgerufen am 25.04.2024.