noch nicht schlüßig, was ich mit meiner Pflegtochter beginnen soll.
Um das zu überlegen, spaziert ich mit meinem Philipp aufs Feld, sezt' mich un- ter den wilden Birnbaum, und wollt' eben meine Consultationen mit mir selbst anfa- hen, als ich meine Augen aufhob, und in der Fern' einen Wandrer erblikt', der mit wackerm Schritt gerad' auf uns zusegelt'. Sprach ich zu Philipp: Du, wer ist der Schwarzrock dort, der auf uns zielt? Sieh, wie der zusteigt! Dünkt mich ich säh den Sebaldus Nothanker, der eine apokalypti- sche Quatern' einholen wollt. Herr, sagt' Philipp, oder den Doktor Dodd selger, wie er in Kupfer gestochen vor dem Staatsthea- trum hermarschirt. Als der Fremde heran kam, wars der Pentekontarch oder Befehls- haber über funfzig, -- nicht der im Solde des Ramirez de Prado, -- sondern des Magistrats in Dünselfing, Magister Gra- tius, mein gewesener Präceptor, und der- malen Conrektor daselbst, der aus alter Be- kanntschaft zuweilen in den Erndteferien, auf ein paar Tage bey mir einspricht und sichs wohl seyn läßt. Allein dießmal merkt ich ihm bald an der Physiognomie ab, daß
ihm
noch nicht ſchluͤßig, was ich mit meiner Pflegtochter beginnen ſoll.
Um das zu uͤberlegen, ſpaziert ich mit meinem Philipp aufs Feld, ſezt’ mich un- ter den wilden Birnbaum, und wollt’ eben meine Conſultationen mit mir ſelbſt anfa- hen, als ich meine Augen aufhob, und in der Fern’ einen Wandrer erblikt’, der mit wackerm Schritt gerad’ auf uns zuſegelt’. Sprach ich zu Philipp: Du, wer iſt der Schwarzrock dort, der auf uns zielt? Sieh, wie der zuſteigt! Duͤnkt mich ich ſaͤh den Sebaldus Nothanker, der eine apokalypti- ſche Quatern’ einholen wollt. Herr, ſagt’ Philipp, oder den Doktor Dodd ſelger, wie er in Kupfer geſtochen vor dem Staatsthea- trum hermarſchirt. Als der Fremde heran kam, wars der Pentekontarch oder Befehls- haber uͤber funfzig, — nicht der im Solde des Ramirez de Prado, — ſondern des Magiſtrats in Duͤnſelfing, Magiſter Gra- tius, mein geweſener Praͤceptor, und der- malen Conrektor daſelbſt, der aus alter Be- kanntſchaft zuweilen in den Erndteferien, auf ein paar Tage bey mir einſpricht und ſichs wohl ſeyn laͤßt. Allein dießmal merkt ich ihm bald an der Phyſiognomie ab, daß
ihm
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noch nicht ſchluͤßig, was ich mit meiner
Pflegtochter beginnen ſoll.
Um das zu uͤberlegen, ſpaziert ich mit
meinem Philipp aufs Feld, ſezt’ mich un-
ter den wilden Birnbaum, und wollt’ eben
meine Conſultationen mit mir ſelbſt anfa-
hen, als ich meine Augen aufhob, und in
der Fern’ einen Wandrer erblikt’, der mit
wackerm Schritt gerad’ auf uns zuſegelt’.
Sprach ich zu Philipp: Du, wer iſt der
Schwarzrock dort, der auf uns zielt? Sieh,
wie der zuſteigt! Duͤnkt mich ich ſaͤh den
Sebaldus Nothanker, der eine apokalypti-
ſche Quatern’ einholen wollt. Herr, ſagt’
Philipp, oder den Doktor Dodd ſelger, wie
er in Kupfer geſtochen vor dem Staatsthea-
trum hermarſchirt. Als der Fremde heran
kam, wars der Pentekontarch oder Befehls-
haber uͤber funfzig, — nicht der im Solde
des Ramirez de Prado, — ſondern des
Magiſtrats in Duͤnſelfing, Magiſter Gra-
tius, mein geweſener Praͤceptor, und der-
malen Conrektor daſelbſt, der aus alter Be-
kanntſchaft zuweilen in den Erndteferien,
auf ein paar Tage bey mir einſpricht und
ſichs wohl ſeyn laͤßt. Allein dießmal merkt
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/160>, abgerufen am 31.07.2024.
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