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Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Zweiter Theil. Eisenach, 1761.

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giebt er bei ihr einen Sittenlehrer ab, ohne daß sie es merkt, nicht in der Absicht sie zu bessern, sondern sich und andern etwas dadurch zu lachen zu geben. Das war der boshafteste Einfall, den man erdenken kann, daß er sie in der gestalt der bösen westphälischen Wirthin auftreten ließ, von der er einen Haufen erzählte, und darunter niemand anders als die Frau v. W. selbst vorgestellt war. Entsetzten Sie Sich nicht über die Kühnheit des Mannes? Ich wunderte mich nur, daß die Person, die am meisten getroffen war, und die doch sonst ziemlich fein ist, nicht das geringste davon merkte. So geht es, wenn wir einmal glauben, daß jemand vortheilhaft für uns denkt, so darf er sagen was er will, er meint uns niemals und wenn er auch mit dem Finger auf uns deuten sollte. Es ist gut für den Hrn. v. Ln., daß ich nicht an der Stelle der Frau v. W. bin, ich kündigte ihm von Stund an mein Kapital auf, so schlimm wäre ich, und wenn er das Geld bei den Juden borgen sollte. Wer weiß, was noch geschiehet, wenn sie einmal

giebt er bei ihr einen Sittenlehrer ab, ohne daß sie es merkt, nicht in der Absicht sie zu bessern, sondern sich und andern etwas dadurch zu lachen zu geben. Das war der boshafteste Einfall, den man erdenken kann, daß er sie in der gestalt der bösen westphälischen Wirthin auftreten ließ, von der er einen Haufen erzählte, und darunter niemand anders als die Frau v. W. selbst vorgestellt war. Entsetzten Sie Sich nicht über die Kühnheit des Mannes? Ich wunderte mich nur, daß die Person, die am meisten getroffen war, und die doch sonst ziemlich fein ist, nicht das geringste davon merkte. So geht es, wenn wir einmal glauben, daß jemand vortheilhaft für uns denkt, so darf er sagen was er will, er meint uns niemals und wenn er auch mit dem Finger auf uns deuten sollte. Es ist gut für den Hrn. v. Ln., daß ich nicht an der Stelle der Frau v. W. bin, ich kündigte ihm von Stund an mein Kapital auf, so schlimm wäre ich, und wenn er das Geld bei den Juden borgen sollte. Wer weiß, was noch geschiehet, wenn sie einmal

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[237/0239] giebt er bei ihr einen Sittenlehrer ab, ohne daß sie es merkt, nicht in der Absicht sie zu bessern, sondern sich und andern etwas dadurch zu lachen zu geben. Das war der boshafteste Einfall, den man erdenken kann, daß er sie in der gestalt der bösen westphälischen Wirthin auftreten ließ, von der er einen Haufen erzählte, und darunter niemand anders als die Frau v. W. selbst vorgestellt war. Entsetzten Sie Sich nicht über die Kühnheit des Mannes? Ich wunderte mich nur, daß die Person, die am meisten getroffen war, und die doch sonst ziemlich fein ist, nicht das geringste davon merkte. So geht es, wenn wir einmal glauben, daß jemand vortheilhaft für uns denkt, so darf er sagen was er will, er meint uns niemals und wenn er auch mit dem Finger auf uns deuten sollte. Es ist gut für den Hrn. v. Ln., daß ich nicht an der Stelle der Frau v. W. bin, ich kündigte ihm von Stund an mein Kapital auf, so schlimm wäre ich, und wenn er das Geld bei den Juden borgen sollte. Wer weiß, was noch geschiehet, wenn sie einmal

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Zweiter Theil. Eisenach, 1761, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison02_1761/239>, abgerufen am 25.04.2024.