Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. [Erster Theil.] Eisenach, 1760.

Bild:
<< vorherige Seite

natürlich, daß wir sie unsern Oncle vorschlugen. Sie mag sehen, wie sie mit dem alten wunderlichen Manne auskommt, sie mag bei ihm für ihre Person unglücklich seyn; wenn wir nur eine gute gesellige Tante an ihr bekommen, die nicht ewig an uns etwas zu bessern und zu tadeln findet. Es blieb dabei, wir schlugen ihm das Fräulein v. W. vor; er verliebte sich, von dem ersten Augenblicke an, in sie, wie der Narciß in seine Gestalt, die er im Wasser erblickte. Die Sache wurde so kartiret, daß das liebe gute Kind nichts davon erfuhr. Die Stiefmutter mußte den Vater stimmen; dieser mußte auf einmal mit seiner väterlichen Gewalt auf die arme verkaufte und verrathene Tochter losstürmen, um sie zu zwingen, den verhaßten Freier anzunehmen.

Nicht wahr, das ist die ganze Fabel, die Sie Sich von Ihren guten Freunden in Schönthal in den Kopf gesetzet haben? Das sind böse, ungetreue, meineidige Freunde! Aber nun will ich Ihnen die rechte Wahrheit

natürlich, daß wir sie unsern Oncle vorschlugen. Sie mag sehen, wie sie mit dem alten wunderlichen Manne auskommt, sie mag bei ihm für ihre Person unglücklich seyn; wenn wir nur eine gute gesellige Tante an ihr bekommen, die nicht ewig an uns etwas zu bessern und zu tadeln findet. Es blieb dabei, wir schlugen ihm das Fräulein v. W. vor; er verliebte sich, von dem ersten Augenblicke an, in sie, wie der Narciß in seine Gestalt, die er im Wasser erblickte. Die Sache wurde so kartiret, daß das liebe gute Kind nichts davon erfuhr. Die Stiefmutter mußte den Vater stimmen; dieser mußte auf einmal mit seiner väterlichen Gewalt auf die arme verkaufte und verrathene Tochter losstürmen, um sie zu zwingen, den verhaßten Freier anzunehmen.

Nicht wahr, das ist die ganze Fabel, die Sie Sich von Ihren guten Freunden in Schönthal in den Kopf gesetzet haben? Das sind böse, ungetreue, meineidige Freunde! Aber nun will ich Ihnen die rechte Wahrheit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0241" n="226"/>
natürlich, daß wir sie unsern Oncle vorschlugen. Sie mag sehen, wie sie mit dem alten wunderlichen Manne auskommt, sie mag bei ihm für ihre Person unglücklich seyn; wenn wir nur eine gute gesellige Tante an ihr bekommen, die nicht ewig an uns etwas zu bessern und zu tadeln findet. Es blieb dabei, wir schlugen ihm das Fräulein v. W. vor; er verliebte sich, von dem ersten Augenblicke an, in sie, wie der Narciß in seine Gestalt, die er im Wasser erblickte. Die Sache wurde so kartiret, daß das liebe gute Kind nichts davon erfuhr. Die Stiefmutter mußte den Vater stimmen; dieser mußte auf einmal mit seiner väterlichen Gewalt auf die arme verkaufte und verrathene Tochter losstürmen, um sie zu zwingen, den verhaßten Freier anzunehmen.</p>
        <p>Nicht wahr, das ist die ganze Fabel, die Sie Sich von Ihren guten Freunden <choice><sic>in in</sic><corr>in</corr></choice> Schönthal in den Kopf gesetzet haben? Das sind böse, ungetreue, meineidige Freunde! Aber nun will ich Ihnen die rechte Wahrheit
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0241] natürlich, daß wir sie unsern Oncle vorschlugen. Sie mag sehen, wie sie mit dem alten wunderlichen Manne auskommt, sie mag bei ihm für ihre Person unglücklich seyn; wenn wir nur eine gute gesellige Tante an ihr bekommen, die nicht ewig an uns etwas zu bessern und zu tadeln findet. Es blieb dabei, wir schlugen ihm das Fräulein v. W. vor; er verliebte sich, von dem ersten Augenblicke an, in sie, wie der Narciß in seine Gestalt, die er im Wasser erblickte. Die Sache wurde so kartiret, daß das liebe gute Kind nichts davon erfuhr. Die Stiefmutter mußte den Vater stimmen; dieser mußte auf einmal mit seiner väterlichen Gewalt auf die arme verkaufte und verrathene Tochter losstürmen, um sie zu zwingen, den verhaßten Freier anzunehmen. Nicht wahr, das ist die ganze Fabel, die Sie Sich von Ihren guten Freunden in Schönthal in den Kopf gesetzet haben? Das sind böse, ungetreue, meineidige Freunde! Aber nun will ich Ihnen die rechte Wahrheit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Der Seitenumbruch erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Worttrennungen am Zeilenende entfallen.
  • Das lange „s“ („ſ“) wird als normales rundes „s“ wiedergegeben.
  • Auslassungspunkte werden, unabhängig von der Anzahl der Punkte, als „…“ (Sonderzeichen Alt+0133) wiedergegeben.
  • Apostrophe werden durch das Sonderzeichen „’“ (Alt+0146) wiedergegeben (nicht durch die Variante auf der Tastatur).
  • Bindestriche werden durch den normalen Bindestrich „-“ wiedergegeben (nicht durch „=“).
  • Gleichheitszeichen „=“ werden als normale Gedankenstriche (Halbgeviertstriche) „–“ wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison01_1760
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison01_1760/241
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. [Erster Theil.] Eisenach, 1760, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison01_1760/241>, abgerufen am 26.11.2024.