in seiner Bequemlichkeit auf das Bad verzichtet. Pein- lich sucht man sich Hautausschläge fern zu halten, man hat einen natürlichen Ekel davor, und der Aussatz, der immer noch vereinzelt vorkommt, ist mehr im Sinne der Unreinheit verabscheut, denn als Krankheit bemitleidet. Seine Kleider hält der Japaner peinlich sauber. Leute in zerrissener und verlumpter Kleidung sieht man in Japan weit weniger als bei uns. Mag sein, daß er im Sommer nicht viel mehr anhat als ein paar Bein- kleider, die nur die äußerste Blöße bedecken; aber diese wenigstens sind sauber in Ordnung gehalten. Der Schmutz der Straße ist von dem Innern des Hauses peinlich fern gehalten; wer in das Haus tritt, muß zuvor auf dem Flur die Schuhe ausziehen. Das würde auch der peinlichsten deutschen Hausfrau schwer fallen, im japa- nischen Zimmer ein Spinngewebe zu entdecken, und der aus Strohgeflechten bestehende Stubenboden ist so ein- ladend sauber, daß man auch, selbst wenn einem kein Unterkissen angeboten wird, in der feinsten Kleidung sich unbedenklich darauf setzen darf.
Alles macht den Eindruck des ästhetisch Schönen. Das japanische Essen mag für uns nicht besonders gut schmecken, dafür aber sieht es schön und appetitlich aus. Nirgends wird mit größerem Anstand gegessen. Die Eßstäbchen werden in den Theehäusern nur einmal ge- braucht, und unsere Art des Essens hält der Japaner für unästhetisch, weil man sich dabei Messer und Gabeln bedient, die vielleicht eine Viertelstunde zuvor ein anderer im Munde hatte. Jede Bewegung, jede Verbeugung ist abgerundet und frei von allem Eckigen, vollendet in ihrer Art. Hastige Bewegungen vermeidet man. Wollten sich bei uns die Handwerker und Arbeiter im schmutzigen Arbeitskittel, wenn sie sich auf der Straße
in ſeiner Bequemlichkeit auf das Bad verzichtet. Pein- lich ſucht man ſich Hautausſchläge fern zu halten, man hat einen natürlichen Ekel davor, und der Ausſatz, der immer noch vereinzelt vorkommt, iſt mehr im Sinne der Unreinheit verabſcheut, denn als Krankheit bemitleidet. Seine Kleider hält der Japaner peinlich ſauber. Leute in zerriſſener und verlumpter Kleidung ſieht man in Japan weit weniger als bei uns. Mag ſein, daß er im Sommer nicht viel mehr anhat als ein paar Bein- kleider, die nur die äußerſte Blöße bedecken; aber dieſe wenigſtens ſind ſauber in Ordnung gehalten. Der Schmutz der Straße iſt von dem Innern des Hauſes peinlich fern gehalten; wer in das Haus tritt, muß zuvor auf dem Flur die Schuhe ausziehen. Das würde auch der peinlichſten deutſchen Hausfrau ſchwer fallen, im japa- niſchen Zimmer ein Spinngewebe zu entdecken, und der aus Strohgeflechten beſtehende Stubenboden iſt ſo ein- ladend ſauber, daß man auch, ſelbſt wenn einem kein Unterkiſſen angeboten wird, in der feinſten Kleidung ſich unbedenklich darauf ſetzen darf.
Alles macht den Eindruck des äſthetiſch Schönen. Das japaniſche Eſſen mag für uns nicht beſonders gut ſchmecken, dafür aber ſieht es ſchön und appetitlich aus. Nirgends wird mit größerem Anſtand gegeſſen. Die Eßſtäbchen werden in den Theehäuſern nur einmal ge- braucht, und unſere Art des Eſſens hält der Japaner für unäſthetiſch, weil man ſich dabei Meſſer und Gabeln bedient, die vielleicht eine Viertelſtunde zuvor ein anderer im Munde hatte. Jede Bewegung, jede Verbeugung iſt abgerundet und frei von allem Eckigen, vollendet in ihrer Art. Haſtige Bewegungen vermeidet man. Wollten ſich bei uns die Handwerker und Arbeiter im ſchmutzigen Arbeitskittel, wenn ſie ſich auf der Straße
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in ſeiner Bequemlichkeit auf das Bad verzichtet. Pein-
lich ſucht man ſich Hautausſchläge fern zu halten, man
hat einen natürlichen Ekel davor, und der Ausſatz, der
immer noch vereinzelt vorkommt, iſt mehr im Sinne der
Unreinheit verabſcheut, denn als Krankheit bemitleidet.
Seine Kleider hält der Japaner peinlich ſauber. Leute
in zerriſſener und verlumpter Kleidung ſieht man in
Japan weit weniger als bei uns. Mag ſein, daß er
im Sommer nicht viel mehr anhat als ein paar Bein-
kleider, die nur die äußerſte Blöße bedecken; aber dieſe
wenigſtens ſind ſauber in Ordnung gehalten. Der Schmutz
der Straße iſt von dem Innern des Hauſes peinlich
fern gehalten; wer in das Haus tritt, muß zuvor auf
dem Flur die Schuhe ausziehen. Das würde auch der
peinlichſten deutſchen Hausfrau ſchwer fallen, im japa-
niſchen Zimmer ein Spinngewebe zu entdecken, und der
aus Strohgeflechten beſtehende Stubenboden iſt ſo ein-
ladend ſauber, daß man auch, ſelbſt wenn einem kein
Unterkiſſen angeboten wird, in der feinſten Kleidung ſich
unbedenklich darauf ſetzen darf.
Alles macht den Eindruck des äſthetiſch Schönen.
Das japaniſche Eſſen mag für uns nicht beſonders gut
ſchmecken, dafür aber ſieht es ſchön und appetitlich aus.
Nirgends wird mit größerem Anſtand gegeſſen. Die
Eßſtäbchen werden in den Theehäuſern nur einmal ge-
braucht, und unſere Art des Eſſens hält der Japaner
für unäſthetiſch, weil man ſich dabei Meſſer und Gabeln
bedient, die vielleicht eine Viertelſtunde zuvor ein anderer
im Munde hatte. Jede Bewegung, jede Verbeugung
iſt abgerundet und frei von allem Eckigen, vollendet in
ihrer Art. Haſtige Bewegungen vermeidet man.
Wollten ſich bei uns die Handwerker und Arbeiter im
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/92>, abgerufen am 24.11.2024.
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