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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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wendet aber der Bauer wirklich die Futurform an, so
meint er dieselbe nicht als Futur, sondern als Wahr-
scheinlichkeitsform.

Mit dem Fehlen des Futurs steht im engen Zu-
sammenhang, daß dem Japaner die Begriffe der Hoff-
nung, der Befürchtung, des Wunsches und der Erwartung
in unserm Sinne fremd sind. Und warum? Zum guten
Teil darum, weil jene Begriffe der Zukunft angehören,
die er doch nicht kennt. Freilich geht es nicht soweit,
als kenne der Japaner z. B. die Furcht überhaupt nicht,
als habe er das Gruseln noch nicht gelernt, wie jener
Mann im Märchen. Wenn von dem "sich fürchten" vor
wirklich vorliegenden Gefahren die Rede ist, wie daß
das Kind den Hund fürchtet oder das Schaf den Wolf,
so ist der Ausdruck leicht möglich. Wenn es sich aber
um Befürchtungen betreffs zukünftig etwa eintretender
Ereignisse handelt, so versagt die Sprache.

Freilich spielt dabei noch ein anderer für den Cha-
rakter der Sprache bemerkenswerter Faktor mit. Es ist
das das Hintantreten der sogenannten subjektiven Sprache
hinter die objektive, ein weiterer Beweis für eine noch
nicht sehr entwickelte Stufe des Selbstbewußtseins gegen-
über dem Außenbewußtsein. Der Japaner sagt auch
nicht halb so oft, "ich denke, ich vermute, ich glaube" etc.,
wie wir zu thun pflegen. Das beliebte "to omoimasu",
welches der Europäer für "ich denke, daß" gebraucht,
hört man im Munde des Japaners sehr wenig. Er
bedient sich in solchen Fällen der unbestimmten oder
disjunktiven Form. "Ich denke, er kommt" ist eher
"kuru daro" als "kuru to omou". Die Verba der sub-
jektiven Sprache haben im Japanischen keinen so abge-
schwächten Charakter wie in unsern Sprachen; sie sind
gehaltvoller und haben mehr Individualität.

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wendet aber der Bauer wirklich die Futurform an, ſo
meint er dieſelbe nicht als Futur, ſondern als Wahr-
ſcheinlichkeitsform.

Mit dem Fehlen des Futurs ſteht im engen Zu-
ſammenhang, daß dem Japaner die Begriffe der Hoff-
nung, der Befürchtung, des Wunſches und der Erwartung
in unſerm Sinne fremd ſind. Und warum? Zum guten
Teil darum, weil jene Begriffe der Zukunft angehören,
die er doch nicht kennt. Freilich geht es nicht ſoweit,
als kenne der Japaner z. B. die Furcht überhaupt nicht,
als habe er das Gruſeln noch nicht gelernt, wie jener
Mann im Märchen. Wenn von dem „ſich fürchten“ vor
wirklich vorliegenden Gefahren die Rede iſt, wie daß
das Kind den Hund fürchtet oder das Schaf den Wolf,
ſo iſt der Ausdruck leicht möglich. Wenn es ſich aber
um Befürchtungen betreffs zukünftig etwa eintretender
Ereigniſſe handelt, ſo verſagt die Sprache.

Freilich ſpielt dabei noch ein anderer für den Cha-
rakter der Sprache bemerkenswerter Faktor mit. Es iſt
das das Hintantreten der ſogenannten ſubjektiven Sprache
hinter die objektive, ein weiterer Beweis für eine noch
nicht ſehr entwickelte Stufe des Selbſtbewußtſeins gegen-
über dem Außenbewußtſein. Der Japaner ſagt auch
nicht halb ſo oft, „ich denke, ich vermute, ich glaube“ ꝛc.,
wie wir zu thun pflegen. Das beliebte „to omoimasu“,
welches der Europäer für „ich denke, daß“ gebraucht,
hört man im Munde des Japaners ſehr wenig. Er
bedient ſich in ſolchen Fällen der unbeſtimmten oder
disjunktiven Form. „Ich denke, er kommt“ iſt eher
„kuru darō“ als „kuru to omou“. Die Verba der ſub-
jektiven Sprache haben im Japaniſchen keinen ſo abge-
ſchwächten Charakter wie in unſern Sprachen; ſie ſind
gehaltvoller und haben mehr Individualität.

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[51/0065] wendet aber der Bauer wirklich die Futurform an, ſo meint er dieſelbe nicht als Futur, ſondern als Wahr- ſcheinlichkeitsform. Mit dem Fehlen des Futurs ſteht im engen Zu- ſammenhang, daß dem Japaner die Begriffe der Hoff- nung, der Befürchtung, des Wunſches und der Erwartung in unſerm Sinne fremd ſind. Und warum? Zum guten Teil darum, weil jene Begriffe der Zukunft angehören, die er doch nicht kennt. Freilich geht es nicht ſoweit, als kenne der Japaner z. B. die Furcht überhaupt nicht, als habe er das Gruſeln noch nicht gelernt, wie jener Mann im Märchen. Wenn von dem „ſich fürchten“ vor wirklich vorliegenden Gefahren die Rede iſt, wie daß das Kind den Hund fürchtet oder das Schaf den Wolf, ſo iſt der Ausdruck leicht möglich. Wenn es ſich aber um Befürchtungen betreffs zukünftig etwa eintretender Ereigniſſe handelt, ſo verſagt die Sprache. Freilich ſpielt dabei noch ein anderer für den Cha- rakter der Sprache bemerkenswerter Faktor mit. Es iſt das das Hintantreten der ſogenannten ſubjektiven Sprache hinter die objektive, ein weiterer Beweis für eine noch nicht ſehr entwickelte Stufe des Selbſtbewußtſeins gegen- über dem Außenbewußtſein. Der Japaner ſagt auch nicht halb ſo oft, „ich denke, ich vermute, ich glaube“ ꝛc., wie wir zu thun pflegen. Das beliebte „to omoimasu“, welches der Europäer für „ich denke, daß“ gebraucht, hört man im Munde des Japaners ſehr wenig. Er bedient ſich in ſolchen Fällen der unbeſtimmten oder disjunktiven Form. „Ich denke, er kommt“ iſt eher „kuru darō“ als „kuru to omou“. Die Verba der ſub- jektiven Sprache haben im Japaniſchen keinen ſo abge- ſchwächten Charakter wie in unſern Sprachen; ſie ſind gehaltvoller und haben mehr Individualität. 4*

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/65>, abgerufen am 24.11.2024.