das Hochsein ist unmittelbar für die Wahrnehmung vor- handen. Was die Aufmerksamkeit des Kindes auf das Licht lenkt, ist der rote Glanz. Gegenüber der Handlung selbst tritt der Handelnde, gegenüber dem Attribut das Ding in den Hintergrund. Daher die Subjektslosigkeit und folglich Unpersönlichkeit der japanischen Aus- drucksweise.
Mit der konkreten Darstellungsweise scheint die Subjektslosigkeit nicht im Einklang zu stehen. Von unserm europäischen Bewußtsein aus empfinden wir einen Satz ohne Subjekt als etwas Totes und Abstraktes. Es wäre aber gänzlich verfehlt, dieses Urteil auf die japanische Sprache anzuwenden. Für den Indogermanen ist das Subjekt -- das Substantiv -- selbst etwas Lebendiges, Thätiges und Bewegliches; denn es hat Leben im Geschlecht und Bewegung in der Flexion. Fehlt es, so vermissen wir naturgemäß ein gut Teil Leben und Bewegung. Im Japanischen aber ist das Substantiv etwas Totes und Ruhendes. Das Geschlecht ist ihm fremd, sogar so sehr, daß es auch da, wo es empirisch vorhanden ist, das heißt in der Tierwelt (die Menschenwelt allein ist ausgenommen), doch möglichst vermieden wird. Eine Flexion hat das Substantiv nicht. Starr und steif bleibt es unverändert dasselbe. Ganz anders dagegen das Verbum mit seiner außer- ordentlichen Mannigfaltigkeit der Flexion. Das Verbum ist das Prinzip des, wenn auch seelenlosen, mechanischen, Lebens und der Bewegung im japanischen Satz. Mag auch das Subjekt fehlen oder mag es eine untergeordnete Stellung haben, die Beweglichkeit und Anschaulichkeit der Sprache wird dadurch nicht berührt.
Die japanische Sprache als Sprache der empirischen Anschauung ist also zugleich auch unpersönlich. Wahrneh-
das Hochſein iſt unmittelbar für die Wahrnehmung vor- handen. Was die Aufmerkſamkeit des Kindes auf das Licht lenkt, iſt der rote Glanz. Gegenüber der Handlung ſelbſt tritt der Handelnde, gegenüber dem Attribut das Ding in den Hintergrund. Daher die Subjektsloſigkeit und folglich Unperſönlichkeit der japaniſchen Aus- drucksweiſe.
Mit der konkreten Darſtellungsweiſe ſcheint die Subjektsloſigkeit nicht im Einklang zu ſtehen. Von unſerm europäiſchen Bewußtſein aus empfinden wir einen Satz ohne Subjekt als etwas Totes und Abſtraktes. Es wäre aber gänzlich verfehlt, dieſes Urteil auf die japaniſche Sprache anzuwenden. Für den Indogermanen iſt das Subjekt — das Subſtantiv — ſelbſt etwas Lebendiges, Thätiges und Bewegliches; denn es hat Leben im Geſchlecht und Bewegung in der Flexion. Fehlt es, ſo vermiſſen wir naturgemäß ein gut Teil Leben und Bewegung. Im Japaniſchen aber iſt das Subſtantiv etwas Totes und Ruhendes. Das Geſchlecht iſt ihm fremd, ſogar ſo ſehr, daß es auch da, wo es empiriſch vorhanden iſt, das heißt in der Tierwelt (die Menſchenwelt allein iſt ausgenommen), doch möglichſt vermieden wird. Eine Flexion hat das Subſtantiv nicht. Starr und ſteif bleibt es unverändert dasſelbe. Ganz anders dagegen das Verbum mit ſeiner außer- ordentlichen Mannigfaltigkeit der Flexion. Das Verbum iſt das Prinzip des, wenn auch ſeelenloſen, mechaniſchen, Lebens und der Bewegung im japaniſchen Satz. Mag auch das Subjekt fehlen oder mag es eine untergeordnete Stellung haben, die Beweglichkeit und Anſchaulichkeit der Sprache wird dadurch nicht berührt.
Die japaniſche Sprache als Sprache der empiriſchen Anſchauung iſt alſo zugleich auch unperſönlich. Wahrneh-
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das Hochſein iſt unmittelbar für die Wahrnehmung vor-
handen. Was die Aufmerkſamkeit des Kindes auf das
Licht lenkt, iſt der rote Glanz. Gegenüber der Handlung
ſelbſt tritt der Handelnde, gegenüber dem Attribut das
Ding in den Hintergrund. Daher die Subjektsloſigkeit
und folglich Unperſönlichkeit der japaniſchen Aus-
drucksweiſe.
Mit der konkreten Darſtellungsweiſe ſcheint die
Subjektsloſigkeit nicht im Einklang zu ſtehen. Von
unſerm europäiſchen Bewußtſein aus empfinden wir einen
Satz ohne Subjekt als etwas Totes und Abſtraktes.
Es wäre aber gänzlich verfehlt, dieſes Urteil auf die
japaniſche Sprache anzuwenden. Für den Indogermanen
iſt das Subjekt — das Subſtantiv — ſelbſt etwas
Lebendiges, Thätiges und Bewegliches; denn es hat
Leben im Geſchlecht und Bewegung in der Flexion.
Fehlt es, ſo vermiſſen wir naturgemäß ein gut Teil
Leben und Bewegung. Im Japaniſchen aber iſt das
Subſtantiv etwas Totes und Ruhendes. Das Geſchlecht
iſt ihm fremd, ſogar ſo ſehr, daß es auch da, wo es
empiriſch vorhanden iſt, das heißt in der Tierwelt (die
Menſchenwelt allein iſt ausgenommen), doch möglichſt
vermieden wird. Eine Flexion hat das Subſtantiv
nicht. Starr und ſteif bleibt es unverändert dasſelbe.
Ganz anders dagegen das Verbum mit ſeiner außer-
ordentlichen Mannigfaltigkeit der Flexion. Das Verbum
iſt das Prinzip des, wenn auch ſeelenloſen, mechaniſchen,
Lebens und der Bewegung im japaniſchen Satz. Mag
auch das Subjekt fehlen oder mag es eine untergeordnete
Stellung haben, die Beweglichkeit und Anſchaulichkeit
der Sprache wird dadurch nicht berührt.
Die japaniſche Sprache als Sprache der empiriſchen
Anſchauung iſt alſo zugleich auch unperſönlich. Wahrneh-
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/54>, abgerufen am 23.11.2024.
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