Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn man aber die Ausschreitungen der einzelnen
auf das System zurückführen wollte, so hat das für die
Fremden in Japan wenigstens keine Gültigkeit. Bruta-
lität und Gewaltthätigkeit kann ihnen niemand vor-
werfen. Ein Japaner hat ihnen folgendes Zeugnis
ausgestellt: "Das Betragen der Fremden ist eine Schande
für den Namen des Christentums und der Civilisation
und hält den Fortschritt beider auf. In ihrer Heimat
würde ein solches Betragen strafrechtlich verfolgt werden,
aber in den Ländern des Ostens stehen diese euro-
päischen Tyrannen unter dem Schutze der Kanonen. Die
Thatsache ist nicht schwer zu erklären, daß das Christen-
tum außerhalb Europas keine großen Fortschritte ge-
macht hat; man braucht nur zu bedenken, daß diejenigen
Christen, die in fremde Länder gehen, sich schlechter be-
tragen als die Heiden, oder doch nicht besser als sie;
sie sind Sklaven des Mammons, besuchen schlechte
Häuser, schwören auf das leichtfertigste, insultieren und
foppen und mißhandeln die Eingeborenen und betragen
sich so aufgeblasen, als ob jeder ein Julius Cäsar
wäre." (Z. M. R. I, 28.) Das ist eine Sprache,
deren Leidenschaftlichkeit verdächtig ist, sie ist einem den
Fremden unfreundlich gesinnten Jingoismus entflossen.
Der zumeist aus gebildeten Kaufleuten, Gelehrten und
Beamten bestehenden Fremdenkolonie in Japan, welche
im übrigen als hochachtbar zu bezeichnen ist, läßt sich
nur eines nachsagen: Neben vielfacher religiöser Gleich-
gültigkeit, die sie sich nicht erst drüben anzueignen brauchten,
eine laxe Moral im engeren Sinne. Durch die
Sitte des Landes gefördert, tritt dieselbe in ihrer ganzen
Unchristlichkeit so wenig verschämt auf, daß sie in christ-
lich empfindenden Kreisen und noch weit darüber
hinaus Anstoß erregen muß. Ich bin oftmals von

Wenn man aber die Ausſchreitungen der einzelnen
auf das Syſtem zurückführen wollte, ſo hat das für die
Fremden in Japan wenigſtens keine Gültigkeit. Bruta-
lität und Gewaltthätigkeit kann ihnen niemand vor-
werfen. Ein Japaner hat ihnen folgendes Zeugnis
ausgeſtellt: „Das Betragen der Fremden iſt eine Schande
für den Namen des Chriſtentums und der Civiliſation
und hält den Fortſchritt beider auf. In ihrer Heimat
würde ein ſolches Betragen ſtrafrechtlich verfolgt werden,
aber in den Ländern des Oſtens ſtehen dieſe euro-
päiſchen Tyrannen unter dem Schutze der Kanonen. Die
Thatſache iſt nicht ſchwer zu erklären, daß das Chriſten-
tum außerhalb Europas keine großen Fortſchritte ge-
macht hat; man braucht nur zu bedenken, daß diejenigen
Chriſten, die in fremde Länder gehen, ſich ſchlechter be-
tragen als die Heiden, oder doch nicht beſſer als ſie;
ſie ſind Sklaven des Mammons, beſuchen ſchlechte
Häuſer, ſchwören auf das leichtfertigſte, inſultieren und
foppen und mißhandeln die Eingeborenen und betragen
ſich ſo aufgeblaſen, als ob jeder ein Julius Cäſar
wäre.“ (Z. M. R. I, 28.) Das iſt eine Sprache,
deren Leidenſchaftlichkeit verdächtig iſt, ſie iſt einem den
Fremden unfreundlich geſinnten Jingoismus entfloſſen.
Der zumeiſt aus gebildeten Kaufleuten, Gelehrten und
Beamten beſtehenden Fremdenkolonie in Japan, welche
im übrigen als hochachtbar zu bezeichnen iſt, läßt ſich
nur eines nachſagen: Neben vielfacher religiöſer Gleich-
gültigkeit, die ſie ſich nicht erſt drüben anzueignen brauchten,
eine laxe Moral im engeren Sinne. Durch die
Sitte des Landes gefördert, tritt dieſelbe in ihrer ganzen
Unchriſtlichkeit ſo wenig verſchämt auf, daß ſie in chriſt-
lich empfindenden Kreiſen und noch weit darüber
hinaus Anſtoß erregen muß. Ich bin oftmals von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0426" n="412"/>
        <p>Wenn man aber die Aus&#x017F;chreitungen der einzelnen<lb/>
auf das Sy&#x017F;tem zurückführen wollte, &#x017F;o hat das für die<lb/>
Fremden in Japan wenig&#x017F;tens keine Gültigkeit. Bruta-<lb/>
lität und Gewaltthätigkeit kann ihnen niemand vor-<lb/>
werfen. Ein Japaner hat ihnen folgendes Zeugnis<lb/>
ausge&#x017F;tellt: &#x201E;Das Betragen der Fremden i&#x017F;t eine Schande<lb/>
für den Namen des Chri&#x017F;tentums und der Civili&#x017F;ation<lb/>
und hält den Fort&#x017F;chritt beider auf. In ihrer Heimat<lb/>
würde ein &#x017F;olches Betragen &#x017F;trafrechtlich verfolgt werden,<lb/>
aber in den Ländern des O&#x017F;tens &#x017F;tehen die&#x017F;e euro-<lb/>
päi&#x017F;chen Tyrannen unter dem Schutze der Kanonen. Die<lb/>
That&#x017F;ache i&#x017F;t nicht &#x017F;chwer zu erklären, daß das Chri&#x017F;ten-<lb/>
tum außerhalb Europas keine großen Fort&#x017F;chritte ge-<lb/>
macht hat; man braucht nur zu bedenken, daß diejenigen<lb/>
Chri&#x017F;ten, die in fremde Länder gehen, &#x017F;ich &#x017F;chlechter be-<lb/>
tragen als die Heiden, oder doch nicht be&#x017F;&#x017F;er als &#x017F;ie;<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ind Sklaven des Mammons, be&#x017F;uchen &#x017F;chlechte<lb/>
Häu&#x017F;er, &#x017F;chwören auf das leichtfertig&#x017F;te, in&#x017F;ultieren und<lb/>
foppen und mißhandeln die Eingeborenen und betragen<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;o aufgebla&#x017F;en, als ob jeder ein Julius Cä&#x017F;ar<lb/>
wäre.&#x201C; (Z. M. R. <hi rendition="#aq">I,</hi> 28.) Das i&#x017F;t eine Sprache,<lb/>
deren Leiden&#x017F;chaftlichkeit verdächtig i&#x017F;t, &#x017F;ie i&#x017F;t einem den<lb/>
Fremden unfreundlich ge&#x017F;innten Jingoismus entflo&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Der zumei&#x017F;t aus gebildeten Kaufleuten, Gelehrten und<lb/>
Beamten be&#x017F;tehenden Fremdenkolonie in Japan, welche<lb/>
im übrigen als hochachtbar zu bezeichnen i&#x017F;t, läßt &#x017F;ich<lb/>
nur eines nach&#x017F;agen: Neben vielfacher religiö&#x017F;er Gleich-<lb/>
gültigkeit, die &#x017F;ie &#x017F;ich nicht er&#x017F;t drüben anzueignen brauchten,<lb/>
eine laxe Moral im engeren Sinne. Durch die<lb/>
Sitte des Landes gefördert, tritt die&#x017F;elbe in ihrer ganzen<lb/>
Unchri&#x017F;tlichkeit &#x017F;o wenig ver&#x017F;chämt auf, daß &#x017F;ie in chri&#x017F;t-<lb/>
lich empfindenden Krei&#x017F;en und noch weit darüber<lb/>
hinaus An&#x017F;toß erregen muß. Ich bin oftmals von<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[412/0426] Wenn man aber die Ausſchreitungen der einzelnen auf das Syſtem zurückführen wollte, ſo hat das für die Fremden in Japan wenigſtens keine Gültigkeit. Bruta- lität und Gewaltthätigkeit kann ihnen niemand vor- werfen. Ein Japaner hat ihnen folgendes Zeugnis ausgeſtellt: „Das Betragen der Fremden iſt eine Schande für den Namen des Chriſtentums und der Civiliſation und hält den Fortſchritt beider auf. In ihrer Heimat würde ein ſolches Betragen ſtrafrechtlich verfolgt werden, aber in den Ländern des Oſtens ſtehen dieſe euro- päiſchen Tyrannen unter dem Schutze der Kanonen. Die Thatſache iſt nicht ſchwer zu erklären, daß das Chriſten- tum außerhalb Europas keine großen Fortſchritte ge- macht hat; man braucht nur zu bedenken, daß diejenigen Chriſten, die in fremde Länder gehen, ſich ſchlechter be- tragen als die Heiden, oder doch nicht beſſer als ſie; ſie ſind Sklaven des Mammons, beſuchen ſchlechte Häuſer, ſchwören auf das leichtfertigſte, inſultieren und foppen und mißhandeln die Eingeborenen und betragen ſich ſo aufgeblaſen, als ob jeder ein Julius Cäſar wäre.“ (Z. M. R. I, 28.) Das iſt eine Sprache, deren Leidenſchaftlichkeit verdächtig iſt, ſie iſt einem den Fremden unfreundlich geſinnten Jingoismus entfloſſen. Der zumeiſt aus gebildeten Kaufleuten, Gelehrten und Beamten beſtehenden Fremdenkolonie in Japan, welche im übrigen als hochachtbar zu bezeichnen iſt, läßt ſich nur eines nachſagen: Neben vielfacher religiöſer Gleich- gültigkeit, die ſie ſich nicht erſt drüben anzueignen brauchten, eine laxe Moral im engeren Sinne. Durch die Sitte des Landes gefördert, tritt dieſelbe in ihrer ganzen Unchriſtlichkeit ſo wenig verſchämt auf, daß ſie in chriſt- lich empfindenden Kreiſen und noch weit darüber hinaus Anſtoß erregen muß. Ich bin oftmals von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/426
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/426>, abgerufen am 17.05.2024.