kirchlichen Kreisen Englands, wo man es nicht versteht, daß es auch noch andere religiöse Ideale als den Episkopat und das Common-Prayer-Book giebt, soll die Nachgiebigkeit wenig Freude erregt haben. Das läßt sich begreifen. Aber wenn nicht alles trügt, wird die Zeit noch kommen, wo allen denen, welche ihre kirch- lichen Sonderabsichten über der selbstverleugnenden Reichsgottesarbeit nicht vergessen können, am ganzen japanischen Missionswerk die Lust vergeht.
Aus all diesem Suchen und Ringen nach einem japanischen Christentum gehen zwei Dinge mit Deutlich- keit hervor. Zum ersten, daß ein starr orthodoxes dog- matisches Christentum in Japan keine Aussicht hat, und zum zweiten, daß das einzige, worauf es den Japanern ankommt, dasselbe ist, was wir schon bei der Be- sprechung des Taufunterrichts als solches gefunden haben: Das Bibelchristentum. Man mag über die Art des Kampfes der japanischen Christenheit wider das Missionskirchentum abfällig denken, man kann doch nur mit tiefem Interesse und warmer Sympathie dieser tastenden Volksseele folgen, welche instinktiv erkannt hat, daß das Heil einzig liege in dem Evangelium Jesu, in der in Jesus Christus Fleisch gewordenen Vaterliebe Gottes zu der in Sünde verlorenen Mensch- heit, und die nun, mit kaum halberschlossenen Augen, durch ein Labyrinth menschlicher Ordnungen und Lehren sich dahin durchzuringen sucht.
Daß freilich diese Volksseele in ihrem dunkeln Drange sich des rechten Weges doch nicht immer bewußt bleibt, schon darum nicht, weil der Begriff eines "ja- panischen Christentums" nicht aus klaren Vorstellungen, sondern aus den dunkeln Tiefen der Volksindividualität geboren ist, ist nicht verwunderlich. Eine so ausge-
25*
kirchlichen Kreiſen Englands, wo man es nicht verſteht, daß es auch noch andere religiöſe Ideale als den Episkopat und das Common-Prayer-Book giebt, ſoll die Nachgiebigkeit wenig Freude erregt haben. Das läßt ſich begreifen. Aber wenn nicht alles trügt, wird die Zeit noch kommen, wo allen denen, welche ihre kirch- lichen Sonderabſichten über der ſelbſtverleugnenden Reichsgottesarbeit nicht vergeſſen können, am ganzen japaniſchen Miſſionswerk die Luſt vergeht.
Aus all dieſem Suchen und Ringen nach einem japaniſchen Chriſtentum gehen zwei Dinge mit Deutlich- keit hervor. Zum erſten, daß ein ſtarr orthodoxes dog- matiſches Chriſtentum in Japan keine Ausſicht hat, und zum zweiten, daß das einzige, worauf es den Japanern ankommt, dasſelbe iſt, was wir ſchon bei der Be- ſprechung des Taufunterrichts als ſolches gefunden haben: Das Bibelchriſtentum. Man mag über die Art des Kampfes der japaniſchen Chriſtenheit wider das Miſſionskirchentum abfällig denken, man kann doch nur mit tiefem Intereſſe und warmer Sympathie dieſer taſtenden Volksſeele folgen, welche inſtinktiv erkannt hat, daß das Heil einzig liege in dem Evangelium Jeſu, in der in Jeſus Chriſtus Fleiſch gewordenen Vaterliebe Gottes zu der in Sünde verlorenen Menſch- heit, und die nun, mit kaum halberſchloſſenen Augen, durch ein Labyrinth menſchlicher Ordnungen und Lehren ſich dahin durchzuringen ſucht.
Daß freilich dieſe Volksſeele in ihrem dunkeln Drange ſich des rechten Weges doch nicht immer bewußt bleibt, ſchon darum nicht, weil der Begriff eines „ja- paniſchen Chriſtentums“ nicht aus klaren Vorſtellungen, ſondern aus den dunkeln Tiefen der Volksindividualität geboren iſt, iſt nicht verwunderlich. Eine ſo ausge-
25*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0401"n="387"/>
kirchlichen Kreiſen Englands, wo man es nicht verſteht,<lb/>
daß es auch noch andere religiöſe Ideale als den<lb/>
Episkopat und das <hirendition="#aq">Common-Prayer-Book</hi> giebt, ſoll die<lb/>
Nachgiebigkeit wenig Freude erregt haben. Das läßt<lb/>ſich begreifen. Aber wenn nicht alles trügt, wird die<lb/>
Zeit noch kommen, wo allen denen, welche ihre kirch-<lb/>
lichen Sonderabſichten über der ſelbſtverleugnenden<lb/>
Reichsgottesarbeit nicht vergeſſen können, am ganzen<lb/>
japaniſchen Miſſionswerk die Luſt vergeht.</p><lb/><p>Aus all dieſem Suchen und Ringen nach einem<lb/>
japaniſchen Chriſtentum gehen zwei Dinge mit Deutlich-<lb/>
keit hervor. Zum erſten, daß ein ſtarr orthodoxes dog-<lb/>
matiſches Chriſtentum in Japan keine Ausſicht hat, und<lb/>
zum zweiten, daß das einzige, worauf es den Japanern<lb/>
ankommt, dasſelbe iſt, was wir ſchon bei der Be-<lb/>ſprechung des Taufunterrichts als ſolches gefunden<lb/>
haben: Das Bibelchriſtentum. Man mag über die<lb/>
Art des Kampfes der japaniſchen Chriſtenheit wider das<lb/>
Miſſionskirchentum abfällig denken, man kann doch nur<lb/>
mit tiefem Intereſſe und warmer Sympathie dieſer<lb/>
taſtenden Volksſeele folgen, welche inſtinktiv erkannt<lb/>
hat, daß das Heil einzig liege in dem Evangelium<lb/>
Jeſu, in der in Jeſus Chriſtus Fleiſch gewordenen<lb/>
Vaterliebe Gottes zu der in Sünde verlorenen Menſch-<lb/>
heit, und die nun, mit kaum halberſchloſſenen Augen,<lb/>
durch ein Labyrinth menſchlicher Ordnungen und Lehren<lb/>ſich dahin durchzuringen ſucht.</p><lb/><p>Daß freilich dieſe Volksſeele in ihrem dunkeln<lb/>
Drange ſich des rechten Weges doch nicht immer bewußt<lb/>
bleibt, ſchon darum nicht, weil der Begriff eines „ja-<lb/>
paniſchen Chriſtentums“ nicht aus klaren Vorſtellungen,<lb/>ſondern aus den dunkeln Tiefen der Volksindividualität<lb/>
geboren iſt, iſt nicht verwunderlich. Eine ſo ausge-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">25*</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[387/0401]
kirchlichen Kreiſen Englands, wo man es nicht verſteht,
daß es auch noch andere religiöſe Ideale als den
Episkopat und das Common-Prayer-Book giebt, ſoll die
Nachgiebigkeit wenig Freude erregt haben. Das läßt
ſich begreifen. Aber wenn nicht alles trügt, wird die
Zeit noch kommen, wo allen denen, welche ihre kirch-
lichen Sonderabſichten über der ſelbſtverleugnenden
Reichsgottesarbeit nicht vergeſſen können, am ganzen
japaniſchen Miſſionswerk die Luſt vergeht.
Aus all dieſem Suchen und Ringen nach einem
japaniſchen Chriſtentum gehen zwei Dinge mit Deutlich-
keit hervor. Zum erſten, daß ein ſtarr orthodoxes dog-
matiſches Chriſtentum in Japan keine Ausſicht hat, und
zum zweiten, daß das einzige, worauf es den Japanern
ankommt, dasſelbe iſt, was wir ſchon bei der Be-
ſprechung des Taufunterrichts als ſolches gefunden
haben: Das Bibelchriſtentum. Man mag über die
Art des Kampfes der japaniſchen Chriſtenheit wider das
Miſſionskirchentum abfällig denken, man kann doch nur
mit tiefem Intereſſe und warmer Sympathie dieſer
taſtenden Volksſeele folgen, welche inſtinktiv erkannt
hat, daß das Heil einzig liege in dem Evangelium
Jeſu, in der in Jeſus Chriſtus Fleiſch gewordenen
Vaterliebe Gottes zu der in Sünde verlorenen Menſch-
heit, und die nun, mit kaum halberſchloſſenen Augen,
durch ein Labyrinth menſchlicher Ordnungen und Lehren
ſich dahin durchzuringen ſucht.
Daß freilich dieſe Volksſeele in ihrem dunkeln
Drange ſich des rechten Weges doch nicht immer bewußt
bleibt, ſchon darum nicht, weil der Begriff eines „ja-
paniſchen Chriſtentums“ nicht aus klaren Vorſtellungen,
ſondern aus den dunkeln Tiefen der Volksindividualität
geboren iſt, iſt nicht verwunderlich. Eine ſo ausge-
25*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/401>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.