Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

schauungen begegnet, wie man sich eigentlich eine Be-
kehrung vorstellt. Und doch giebt es wenig Dinge, die
sich leichter erklären, freilich auch nicht allzu viele, die
sich schwerer thun ließen, als das. Die geistige Ent-
wicklung geht eben dieselben Wege, wie die Entwick-
lung in der Natur. Gott regiert nicht mit zweierlei
Gesetz und mißt nicht nach zweierlei Maß. Dasselbe
Gesetz, welches in der natürlichen Welt waltet, geht
auch durch die Welt des Geistes. Ehe der Landmann
daran denken darf, die goldenen Garben einzuführen
in seine Scheunen, muß er vor allem einmal Grund
und Boden besitzen, den er sein eigen nennt. Und wenn
er den hat, so geht er nicht gleich an die Aussaat.
Da gilt es zunächst, den Boden zu reinigen von Disteln
und Dornen und all dem mannigfachen Unkraut, das
darauf wächst; es gilt, den Acker zu pflügen und locker
zu machen. Dann erst darf man daran gehen, die
Aussaat zu besorgen. Und wenn dieses gethan ist, so
dauert es lange, bis die ersten zarten Keime hervor-
sprießen, und wieder währt es Wochen und Monate,
bis die Keime in den Halm schießen; und nochmals
braucht es viel Geduld, bis schließlich die Ähren an-
setzen und Frucht tragen und weiß und reif zur Ernte
werden. Es ist eine Geduldsarbeit im besten Sinne
des Wortes.

Genau so ist es auch auf dem Missionsfeld. Genau
dieselben fünf Stadien der Entwicklung: Der Erwerb
des Bodens, das Pflügen des Ackers, die Besorgung
der Aussaat, das Wachsen der Frucht und das Ein-
heimsen der Ernte, lassen sich auch bei dem Bekehrungs-
prozeß deutlich unterscheiden. Es ist kein neuer Ver-
gleich, der hier gemacht wird; es ist vielmehr der alte
Vergleich des Apostels Paulus, wenn er vom Pflanzen

ſchauungen begegnet, wie man ſich eigentlich eine Be-
kehrung vorſtellt. Und doch giebt es wenig Dinge, die
ſich leichter erklären, freilich auch nicht allzu viele, die
ſich ſchwerer thun ließen, als das. Die geiſtige Ent-
wicklung geht eben dieſelben Wege, wie die Entwick-
lung in der Natur. Gott regiert nicht mit zweierlei
Geſetz und mißt nicht nach zweierlei Maß. Dasſelbe
Geſetz, welches in der natürlichen Welt waltet, geht
auch durch die Welt des Geiſtes. Ehe der Landmann
daran denken darf, die goldenen Garben einzuführen
in ſeine Scheunen, muß er vor allem einmal Grund
und Boden beſitzen, den er ſein eigen nennt. Und wenn
er den hat, ſo geht er nicht gleich an die Ausſaat.
Da gilt es zunächſt, den Boden zu reinigen von Diſteln
und Dornen und all dem mannigfachen Unkraut, das
darauf wächſt; es gilt, den Acker zu pflügen und locker
zu machen. Dann erſt darf man daran gehen, die
Ausſaat zu beſorgen. Und wenn dieſes gethan iſt, ſo
dauert es lange, bis die erſten zarten Keime hervor-
ſprießen, und wieder währt es Wochen und Monate,
bis die Keime in den Halm ſchießen; und nochmals
braucht es viel Geduld, bis ſchließlich die Ähren an-
ſetzen und Frucht tragen und weiß und reif zur Ernte
werden. Es iſt eine Geduldsarbeit im beſten Sinne
des Wortes.

Genau ſo iſt es auch auf dem Miſſionsfeld. Genau
dieſelben fünf Stadien der Entwicklung: Der Erwerb
des Bodens, das Pflügen des Ackers, die Beſorgung
der Ausſaat, das Wachſen der Frucht und das Ein-
heimſen der Ernte, laſſen ſich auch bei dem Bekehrungs-
prozeß deutlich unterſcheiden. Es iſt kein neuer Ver-
gleich, der hier gemacht wird; es iſt vielmehr der alte
Vergleich des Apoſtels Paulus, wenn er vom Pflanzen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0323" n="309"/>
&#x017F;chauungen begegnet, wie man &#x017F;ich eigentlich eine Be-<lb/>
kehrung vor&#x017F;tellt. Und doch giebt es wenig Dinge, die<lb/>
&#x017F;ich leichter erklären, freilich auch nicht allzu viele, die<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;chwerer thun ließen, als das. Die gei&#x017F;tige Ent-<lb/>
wicklung geht eben die&#x017F;elben Wege, wie die Entwick-<lb/>
lung in der Natur. Gott regiert nicht mit zweierlei<lb/>
Ge&#x017F;etz und mißt nicht nach zweierlei Maß. Das&#x017F;elbe<lb/>
Ge&#x017F;etz, welches in der natürlichen Welt waltet, geht<lb/>
auch durch die Welt des Gei&#x017F;tes. Ehe der Landmann<lb/>
daran denken darf, die goldenen Garben einzuführen<lb/>
in &#x017F;eine Scheunen, muß er vor allem einmal Grund<lb/>
und Boden be&#x017F;itzen, den er &#x017F;ein eigen nennt. Und wenn<lb/>
er den hat, &#x017F;o geht er nicht gleich an die Aus&#x017F;aat.<lb/>
Da gilt es zunäch&#x017F;t, den Boden zu reinigen von Di&#x017F;teln<lb/>
und Dornen und all dem mannigfachen Unkraut, das<lb/>
darauf wäch&#x017F;t; es gilt, den Acker zu pflügen und locker<lb/>
zu machen. Dann er&#x017F;t darf man daran gehen, die<lb/>
Aus&#x017F;aat zu be&#x017F;orgen. Und wenn die&#x017F;es gethan i&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
dauert es lange, bis die er&#x017F;ten zarten Keime hervor-<lb/>
&#x017F;prießen, und wieder währt es Wochen und Monate,<lb/>
bis die Keime in den Halm &#x017F;chießen; und nochmals<lb/>
braucht es viel Geduld, bis &#x017F;chließlich die Ähren an-<lb/>
&#x017F;etzen und Frucht tragen und weiß und reif zur Ernte<lb/>
werden. Es i&#x017F;t eine Geduldsarbeit im be&#x017F;ten Sinne<lb/>
des Wortes.</p><lb/>
        <p>Genau &#x017F;o i&#x017F;t es auch auf dem Mi&#x017F;&#x017F;ionsfeld. Genau<lb/>
die&#x017F;elben fünf Stadien der Entwicklung: Der Erwerb<lb/>
des Bodens, das Pflügen des Ackers, die Be&#x017F;orgung<lb/>
der Aus&#x017F;aat, das Wach&#x017F;en der Frucht und das Ein-<lb/>
heim&#x017F;en der Ernte, la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich auch bei dem Bekehrungs-<lb/>
prozeß deutlich unter&#x017F;cheiden. Es i&#x017F;t kein neuer Ver-<lb/>
gleich, der hier gemacht wird; es i&#x017F;t vielmehr der alte<lb/>
Vergleich des Apo&#x017F;tels Paulus, wenn er vom Pflanzen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0323] ſchauungen begegnet, wie man ſich eigentlich eine Be- kehrung vorſtellt. Und doch giebt es wenig Dinge, die ſich leichter erklären, freilich auch nicht allzu viele, die ſich ſchwerer thun ließen, als das. Die geiſtige Ent- wicklung geht eben dieſelben Wege, wie die Entwick- lung in der Natur. Gott regiert nicht mit zweierlei Geſetz und mißt nicht nach zweierlei Maß. Dasſelbe Geſetz, welches in der natürlichen Welt waltet, geht auch durch die Welt des Geiſtes. Ehe der Landmann daran denken darf, die goldenen Garben einzuführen in ſeine Scheunen, muß er vor allem einmal Grund und Boden beſitzen, den er ſein eigen nennt. Und wenn er den hat, ſo geht er nicht gleich an die Ausſaat. Da gilt es zunächſt, den Boden zu reinigen von Diſteln und Dornen und all dem mannigfachen Unkraut, das darauf wächſt; es gilt, den Acker zu pflügen und locker zu machen. Dann erſt darf man daran gehen, die Ausſaat zu beſorgen. Und wenn dieſes gethan iſt, ſo dauert es lange, bis die erſten zarten Keime hervor- ſprießen, und wieder währt es Wochen und Monate, bis die Keime in den Halm ſchießen; und nochmals braucht es viel Geduld, bis ſchließlich die Ähren an- ſetzen und Frucht tragen und weiß und reif zur Ernte werden. Es iſt eine Geduldsarbeit im beſten Sinne des Wortes. Genau ſo iſt es auch auf dem Miſſionsfeld. Genau dieſelben fünf Stadien der Entwicklung: Der Erwerb des Bodens, das Pflügen des Ackers, die Beſorgung der Ausſaat, das Wachſen der Frucht und das Ein- heimſen der Ernte, laſſen ſich auch bei dem Bekehrungs- prozeß deutlich unterſcheiden. Es iſt kein neuer Ver- gleich, der hier gemacht wird; es iſt vielmehr der alte Vergleich des Apoſtels Paulus, wenn er vom Pflanzen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/323
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/323>, abgerufen am 28.07.2024.