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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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schaft zu bekämpfen. Auch die Shingon-, Tendai- und
Zenpriester stehen bei dem Volk im Rufe der Gelehr-
samkeit. Ihm macht es gewaltigen Eindruck, daß die
Bonzen dieser Sekten die geheimnisvollen Bonjizeichen
zu entziffern verstehen. In Wirklichkeit aber ist es
mit der Gelehrsamkeit nicht weit her. Die Bonzen
lesen eben in der Regel nur dem Laut nach, ohne den
Sinn oder auch nur die einzelnen Worte zu verstehen,
gerade wie wenn bei uns jemand, dem von der hebräischen
Sprache nichts weiter bekannt ist als die Buchstaben,
das Alte Testament im Urtext liest.

Im ganzen sind die Priester als unwissend zu be-
zeichnen. Eine papageimäßige Abrichtung, das ist so
ziemlich alles. Was sie zu arbeiten haben, ist nicht so
viel, daß sie nicht noch sehr viel Zeit fänden, -- nicht
etwa sich weiter zu bilden, sondern auf ihren Stroh-
matten zu liegen und zu schlafen. Und es ist gut,
wenn sie das thun, damit sie nicht auf andere, recht
böse Abwege geraten. Denn die Sittlichkeit der Bonzen
erfreut sich keines guten Rufes. Der Bonze ist vielfach
zum Gespött geworden, und "bozu" ist nicht selten ein
Schimpfwort. Als einer unserer theologischen Schüler
zum Besuch in seine Heimat kam, riefen ihm die Kinder
auf der Straße zum Zeichen der Verachtung "Yasobozu"
(Jesusbonze) nach. Die Verachtung galt dabei ebenso
sehr dem Bonzen als dem Jesusjünger. Es ist keine
Ehre, Buddhapriester zu sein, und selbst ein armer
Bauer und Kuli sieht es nicht gern, wenn sein Sohn
ein Priester wird.

Ich habe einmal Gelegenheit gehabt, einen sehr
genau kennen zu lernen. Ich hielt mich damals auf
dem Land auf und wohnte neben dem Tempel des
Dorfes. Mit dem Bonzen stand ich in freundnachbar-

ſchaft zu bekämpfen. Auch die Shingon-, Tendai- und
Zenprieſter ſtehen bei dem Volk im Rufe der Gelehr-
ſamkeit. Ihm macht es gewaltigen Eindruck, daß die
Bonzen dieſer Sekten die geheimnisvollen Bonjizeichen
zu entziffern verſtehen. In Wirklichkeit aber iſt es
mit der Gelehrſamkeit nicht weit her. Die Bonzen
leſen eben in der Regel nur dem Laut nach, ohne den
Sinn oder auch nur die einzelnen Worte zu verſtehen,
gerade wie wenn bei uns jemand, dem von der hebräiſchen
Sprache nichts weiter bekannt iſt als die Buchſtaben,
das Alte Teſtament im Urtext lieſt.

Im ganzen ſind die Prieſter als unwiſſend zu be-
zeichnen. Eine papageimäßige Abrichtung, das iſt ſo
ziemlich alles. Was ſie zu arbeiten haben, iſt nicht ſo
viel, daß ſie nicht noch ſehr viel Zeit fänden, — nicht
etwa ſich weiter zu bilden, ſondern auf ihren Stroh-
matten zu liegen und zu ſchlafen. Und es iſt gut,
wenn ſie das thun, damit ſie nicht auf andere, recht
böſe Abwege geraten. Denn die Sittlichkeit der Bonzen
erfreut ſich keines guten Rufes. Der Bonze iſt vielfach
zum Geſpött geworden, und „bōzu“ iſt nicht ſelten ein
Schimpfwort. Als einer unſerer theologiſchen Schüler
zum Beſuch in ſeine Heimat kam, riefen ihm die Kinder
auf der Straße zum Zeichen der Verachtung „Yaſobōzu“
(Jeſusbonze) nach. Die Verachtung galt dabei ebenſo
ſehr dem Bonzen als dem Jeſusjünger. Es iſt keine
Ehre, Buddhaprieſter zu ſein, und ſelbſt ein armer
Bauer und Kuli ſieht es nicht gern, wenn ſein Sohn
ein Prieſter wird.

Ich habe einmal Gelegenheit gehabt, einen ſehr
genau kennen zu lernen. Ich hielt mich damals auf
dem Land auf und wohnte neben dem Tempel des
Dorfes. Mit dem Bonzen ſtand ich in freundnachbar-

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[253/0267] ſchaft zu bekämpfen. Auch die Shingon-, Tendai- und Zenprieſter ſtehen bei dem Volk im Rufe der Gelehr- ſamkeit. Ihm macht es gewaltigen Eindruck, daß die Bonzen dieſer Sekten die geheimnisvollen Bonjizeichen zu entziffern verſtehen. In Wirklichkeit aber iſt es mit der Gelehrſamkeit nicht weit her. Die Bonzen leſen eben in der Regel nur dem Laut nach, ohne den Sinn oder auch nur die einzelnen Worte zu verſtehen, gerade wie wenn bei uns jemand, dem von der hebräiſchen Sprache nichts weiter bekannt iſt als die Buchſtaben, das Alte Teſtament im Urtext lieſt. Im ganzen ſind die Prieſter als unwiſſend zu be- zeichnen. Eine papageimäßige Abrichtung, das iſt ſo ziemlich alles. Was ſie zu arbeiten haben, iſt nicht ſo viel, daß ſie nicht noch ſehr viel Zeit fänden, — nicht etwa ſich weiter zu bilden, ſondern auf ihren Stroh- matten zu liegen und zu ſchlafen. Und es iſt gut, wenn ſie das thun, damit ſie nicht auf andere, recht böſe Abwege geraten. Denn die Sittlichkeit der Bonzen erfreut ſich keines guten Rufes. Der Bonze iſt vielfach zum Geſpött geworden, und „bōzu“ iſt nicht ſelten ein Schimpfwort. Als einer unſerer theologiſchen Schüler zum Beſuch in ſeine Heimat kam, riefen ihm die Kinder auf der Straße zum Zeichen der Verachtung „Yaſobōzu“ (Jeſusbonze) nach. Die Verachtung galt dabei ebenſo ſehr dem Bonzen als dem Jeſusjünger. Es iſt keine Ehre, Buddhaprieſter zu ſein, und ſelbſt ein armer Bauer und Kuli ſieht es nicht gern, wenn ſein Sohn ein Prieſter wird. Ich habe einmal Gelegenheit gehabt, einen ſehr genau kennen zu lernen. Ich hielt mich damals auf dem Land auf und wohnte neben dem Tempel des Dorfes. Mit dem Bonzen ſtand ich in freundnachbar-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/267>, abgerufen am 24.11.2024.