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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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die ganze Heirat, dem Vermittler (Nakodo) anheim 1).
Der Vermittler ist nicht etwa ein gewerbsmäßiger Kuppler;
vielmehr ist sein Amt eine freiwillige Leistung, und es
gilt als eine große Ehre und hervorragende Vertrauens-
stellung, von einer Familie als Nakodo bestellt zu werden.
Prozente bezieht der Nakodo nicht; dagegen ist es Ehren-
sache, ihn nach Abschluß der Ehe reichlich zu beschenken.
Wenn ein Vater seine Tochter verheiraten möchte, so
bittet er einen gesellschaftlich auf gleicher Stufe stehen-
den Freund, das Amt des Vermittlers zu übernehmen.
Derselbe hält nun Ausschau, und wenn er eine ent-
spechende Partie gefunden hat, so macht er seinem Auf-
traggeber Mitteilung. Ist derselbe einverstanden, so
erfolgt die Anfrage bei dem Vater des jungen Mannes.
Bis jetzt wissen die beiden jungen Leute noch nicht, was
hinter ihrem Rücken vorgeht. Eines Tages macht man
ihnen Mitteilung, und da man eine Widerrede nicht
erwartet, so zeigt man ihnen zugleich an, daß an einem
bestimmten Tage das "Miai" (die Begegnung) statthaben
solle. Das ist die einzige Gelegenheit vor der Hochzeit,
bei welcher Bräutigam und Braut sich sehen. Daß man
dem "Miai" nicht gleichgültig entgegensieht, ist natürlich.

1) Vergl. Naomi Tamura, Warum heiraten wir? Übersetzt
von Frau Pfarrer Auguste Bickel geb. Diercks, früher Missionarin
des Allg. Ev. Prot. Missionsvereins. Das Büchlein hat eine
interessante Vorgeschichte. Tamura wurde seiner Zeit durch die
Generalsynode der Ichikyokwai (Vereinigte Presbyterianer) aus
der Kirche ausgestoßen, weil er durch sein Buch Japan vor dem
Ausland herabgesetzt habe. Es ist das ein Zeichen der schon
erwähnten japanischen Empfindlichkeit. Denn nach seinem objektiven
Inhalt giebt das höchst anschaulich geschriebene und flott übersetzte
Büchlein eine richtige Darstellung. Das einzige, was etwa aus-
zusetzen wäre, ist, daß der Verfasser sich zu sehr für die ameri-
kanischen Sitten begeistert, auch da, wo ich für meine Person die
japanischen entschieden vorziehen würde.

die ganze Heirat, dem Vermittler (Nakōdo) anheim 1).
Der Vermittler iſt nicht etwa ein gewerbsmäßiger Kuppler;
vielmehr iſt ſein Amt eine freiwillige Leiſtung, und es
gilt als eine große Ehre und hervorragende Vertrauens-
ſtellung, von einer Familie als Nakōdo beſtellt zu werden.
Prozente bezieht der Nakōdo nicht; dagegen iſt es Ehren-
ſache, ihn nach Abſchluß der Ehe reichlich zu beſchenken.
Wenn ein Vater ſeine Tochter verheiraten möchte, ſo
bittet er einen geſellſchaftlich auf gleicher Stufe ſtehen-
den Freund, das Amt des Vermittlers zu übernehmen.
Derſelbe hält nun Ausſchau, und wenn er eine ent-
ſpechende Partie gefunden hat, ſo macht er ſeinem Auf-
traggeber Mitteilung. Iſt derſelbe einverſtanden, ſo
erfolgt die Anfrage bei dem Vater des jungen Mannes.
Bis jetzt wiſſen die beiden jungen Leute noch nicht, was
hinter ihrem Rücken vorgeht. Eines Tages macht man
ihnen Mitteilung, und da man eine Widerrede nicht
erwartet, ſo zeigt man ihnen zugleich an, daß an einem
beſtimmten Tage das „Miai“ (die Begegnung) ſtatthaben
ſolle. Das iſt die einzige Gelegenheit vor der Hochzeit,
bei welcher Bräutigam und Braut ſich ſehen. Daß man
dem „Miai“ nicht gleichgültig entgegenſieht, iſt natürlich.

1) Vergl. Naomi Tamura, Warum heiraten wir? Überſetzt
von Frau Pfarrer Auguſte Bickel geb. Diercks, früher Miſſionarin
des Allg. Ev. Prot. Miſſionsvereins. Das Büchlein hat eine
intereſſante Vorgeſchichte. Tamura wurde ſeiner Zeit durch die
Generalſynode der Ichikyōkwai (Vereinigte Presbyterianer) aus
der Kirche ausgeſtoßen, weil er durch ſein Buch Japan vor dem
Ausland herabgeſetzt habe. Es iſt das ein Zeichen der ſchon
erwähnten japaniſchen Empfindlichkeit. Denn nach ſeinem objektiven
Inhalt giebt das höchſt anſchaulich geſchriebene und flott überſetzte
Büchlein eine richtige Darſtellung. Das einzige, was etwa aus-
zuſetzen wäre, iſt, daß der Verfaſſer ſich zu ſehr für die ameri-
kaniſchen Sitten begeiſtert, auch da, wo ich für meine Perſon die
japaniſchen entſchieden vorziehen würde.
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[130/0144] die ganze Heirat, dem Vermittler (Nakōdo) anheim 1). Der Vermittler iſt nicht etwa ein gewerbsmäßiger Kuppler; vielmehr iſt ſein Amt eine freiwillige Leiſtung, und es gilt als eine große Ehre und hervorragende Vertrauens- ſtellung, von einer Familie als Nakōdo beſtellt zu werden. Prozente bezieht der Nakōdo nicht; dagegen iſt es Ehren- ſache, ihn nach Abſchluß der Ehe reichlich zu beſchenken. Wenn ein Vater ſeine Tochter verheiraten möchte, ſo bittet er einen geſellſchaftlich auf gleicher Stufe ſtehen- den Freund, das Amt des Vermittlers zu übernehmen. Derſelbe hält nun Ausſchau, und wenn er eine ent- ſpechende Partie gefunden hat, ſo macht er ſeinem Auf- traggeber Mitteilung. Iſt derſelbe einverſtanden, ſo erfolgt die Anfrage bei dem Vater des jungen Mannes. Bis jetzt wiſſen die beiden jungen Leute noch nicht, was hinter ihrem Rücken vorgeht. Eines Tages macht man ihnen Mitteilung, und da man eine Widerrede nicht erwartet, ſo zeigt man ihnen zugleich an, daß an einem beſtimmten Tage das „Miai“ (die Begegnung) ſtatthaben ſolle. Das iſt die einzige Gelegenheit vor der Hochzeit, bei welcher Bräutigam und Braut ſich ſehen. Daß man dem „Miai“ nicht gleichgültig entgegenſieht, iſt natürlich. 1) Vergl. Naomi Tamura, Warum heiraten wir? Überſetzt von Frau Pfarrer Auguſte Bickel geb. Diercks, früher Miſſionarin des Allg. Ev. Prot. Miſſionsvereins. Das Büchlein hat eine intereſſante Vorgeſchichte. Tamura wurde ſeiner Zeit durch die Generalſynode der Ichikyōkwai (Vereinigte Presbyterianer) aus der Kirche ausgeſtoßen, weil er durch ſein Buch Japan vor dem Ausland herabgeſetzt habe. Es iſt das ein Zeichen der ſchon erwähnten japaniſchen Empfindlichkeit. Denn nach ſeinem objektiven Inhalt giebt das höchſt anſchaulich geſchriebene und flott überſetzte Büchlein eine richtige Darſtellung. Das einzige, was etwa aus- zuſetzen wäre, iſt, daß der Verfaſſer ſich zu ſehr für die ameri- kaniſchen Sitten begeiſtert, auch da, wo ich für meine Perſon die japaniſchen entſchieden vorziehen würde.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/144>, abgerufen am 23.11.2024.