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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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"wärest du ein Medicus geblieben! Deine Erhöhungen,
"die wir durch die Zeitungen erfahren haben, sind uns
"nicht erfreulich gewesen, sondern wir haben sie mit
"Kummer gelesen. Ach daß du in allen deinen Ge-
"schäften, ein lauteres Auge mit vieler Weisheit, Got-
"tesfurcht und Demuht zum wahren besten des Däni-
"schen Landes bewahret, und den Befehlen deines
"Allerhuldreichsten Souverains mit aller Unterthänig-
"keit dich unterworfen hättest! Wir können hierüber
"aus Mangel der Erkenntniß nicht urtheilen: aber wiße,
"daß, so sehr wir unsre Kinder lieben, wir doch ihre
"Vergehungen nicht billigen, nicht entschuldigen, nicht
"bemänteln, nicht gut nennen, sondern vielmehr alle
"Sünden hassen, detestiren, verfluchen, verabscheuen,
"und Gott preisen, wenn er seinen gerechten Zorn über
"die Gottlosen offenbaret, und seine Barmherzigkeit
"Bußfertigen und Gläubigen beweiset. Der Herr un-
"ser Gott sey in deiner Gefangenschaft dein Arzt und
"heile deinen Seelenschaden gründlich. Wir Eltern
"empfehlen dich der Vater- und Mutter-Liebe deines
"ewigen Erbarmers. Jesus, der mitleidige Hohepriester,
"gedenke zur Rechten Gottes deiner im besten, und
"laße vor seinem Gnaden-Thron dich Barmherzigkeit
"erlangen und Gnade finden zu deinem ewigen Heyl.
"Ja Jesu, du grosser Menschenfreund, der du keinen hin-
"ausstößest wer zu dir kömmt, hilf Eltern und Kindern
"zum ewigen Leben." Rendsburg d. 4 März 1772.

Als ich dem Grafen sagte, daß ich ihm hier einen
Brief von seinem Vater zuzustellen hätte, ergriff er ihn
mit Begierde, und fieng an zu lesen. Er konnte ihn
noch nicht halb gelesen haben, als er ihn bitterlich wei-
nend bey sich niederlegte, mich vertraulich ansah und
sagte: Es ist mir itzt unmöglich weiter zu lesen, ich will
nachher wieder anfangen. Lesen Sie ihn, antwortete

ich
F 3



“waͤreſt du ein Medicus geblieben! Deine Erhoͤhungen,
“die wir durch die Zeitungen erfahren haben, ſind uns
“nicht erfreulich geweſen, ſondern wir haben ſie mit
“Kummer geleſen. Ach daß du in allen deinen Ge-
“ſchaͤften, ein lauteres Auge mit vieler Weisheit, Got-
“tesfurcht und Demuht zum wahren beſten des Daͤni-
“ſchen Landes bewahret, und den Befehlen deines
“Allerhuldreichſten Souverains mit aller Unterthaͤnig-
“keit dich unterworfen haͤtteſt! Wir koͤnnen hieruͤber
“aus Mangel der Erkenntniß nicht urtheilen: aber wiße,
“daß, ſo ſehr wir unſre Kinder lieben, wir doch ihre
“Vergehungen nicht billigen, nicht entſchuldigen, nicht
“bemaͤnteln, nicht gut nennen, ſondern vielmehr alle
“Suͤnden haſſen, deteſtiren, verfluchen, verabſcheuen,
“und Gott preiſen, wenn er ſeinen gerechten Zorn uͤber
“die Gottloſen offenbaret, und ſeine Barmherzigkeit
“Bußfertigen und Glaͤubigen beweiſet. Der Herr un-
“ſer Gott ſey in deiner Gefangenſchaft dein Arzt und
“heile deinen Seelenſchaden gruͤndlich. Wir Eltern
“empfehlen dich der Vater- und Mutter-Liebe deines
“ewigen Erbarmers. Jeſus, der mitleidige Hoheprieſter,
“gedenke zur Rechten Gottes deiner im beſten, und
“laße vor ſeinem Gnaden-Thron dich Barmherzigkeit
“erlangen und Gnade finden zu deinem ewigen Heyl.
“Ja Jeſu, du groſſer Menſchenfreund, der du keinen hin-
“ausſtoͤßeſt wer zu dir koͤmmt, hilf Eltern und Kindern
“zum ewigen Leben.„ Rendsburg d. 4 Maͤrz 1772.

Als ich dem Grafen ſagte, daß ich ihm hier einen
Brief von ſeinem Vater zuzuſtellen haͤtte, ergriff er ihn
mit Begierde, und fieng an zu leſen. Er konnte ihn
noch nicht halb geleſen haben, als er ihn bitterlich wei-
nend bey ſich niederlegte, mich vertraulich anſah und
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nachher wieder anfangen. Leſen Sie ihn, antwortete

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[85/0097] “waͤreſt du ein Medicus geblieben! Deine Erhoͤhungen, “die wir durch die Zeitungen erfahren haben, ſind uns “nicht erfreulich geweſen, ſondern wir haben ſie mit “Kummer geleſen. Ach daß du in allen deinen Ge- “ſchaͤften, ein lauteres Auge mit vieler Weisheit, Got- “tesfurcht und Demuht zum wahren beſten des Daͤni- “ſchen Landes bewahret, und den Befehlen deines “Allerhuldreichſten Souverains mit aller Unterthaͤnig- “keit dich unterworfen haͤtteſt! Wir koͤnnen hieruͤber “aus Mangel der Erkenntniß nicht urtheilen: aber wiße, “daß, ſo ſehr wir unſre Kinder lieben, wir doch ihre “Vergehungen nicht billigen, nicht entſchuldigen, nicht “bemaͤnteln, nicht gut nennen, ſondern vielmehr alle “Suͤnden haſſen, deteſtiren, verfluchen, verabſcheuen, “und Gott preiſen, wenn er ſeinen gerechten Zorn uͤber “die Gottloſen offenbaret, und ſeine Barmherzigkeit “Bußfertigen und Glaͤubigen beweiſet. Der Herr un- “ſer Gott ſey in deiner Gefangenſchaft dein Arzt und “heile deinen Seelenſchaden gruͤndlich. Wir Eltern “empfehlen dich der Vater- und Mutter-Liebe deines “ewigen Erbarmers. Jeſus, der mitleidige Hoheprieſter, “gedenke zur Rechten Gottes deiner im beſten, und “laße vor ſeinem Gnaden-Thron dich Barmherzigkeit “erlangen und Gnade finden zu deinem ewigen Heyl. “Ja Jeſu, du groſſer Menſchenfreund, der du keinen hin- “ausſtoͤßeſt wer zu dir koͤmmt, hilf Eltern und Kindern “zum ewigen Leben.„ Rendsburg d. 4 Maͤrz 1772. Als ich dem Grafen ſagte, daß ich ihm hier einen Brief von ſeinem Vater zuzuſtellen haͤtte, ergriff er ihn mit Begierde, und fieng an zu leſen. Er konnte ihn noch nicht halb geleſen haben, als er ihn bitterlich wei- nend bey ſich niederlegte, mich vertraulich anſah und ſagte: Es iſt mir itzt unmoͤglich weiter zu leſen, ich will nachher wieder anfangen. Leſen Sie ihn, antwortete ich F 3

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/97>, abgerufen am 02.05.2024.