Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite



sind die Gründe der Religion umzustoßen. Sie schätzen
itzt schon die Sittenlehre des Christenthums hoch, und
halten sie für würdig eines göttlichen Ursprungs. Wenn
denn nun mit dieser Moral einige theoratische Lehren
verbunden sind, die Sie nicht begreifen können, finden
Sie denn die Forderung unvernünftig, daß Sie diese Leh-
ren, wegen der genauen Verbindung, in der sie mit der
Moral Jesu stehen, gegen die Sie nichts einzuwenden
haben, annehmen sollen? Derjenige, der Sie eine so
vortreffliche Moral lehrt, und für diese unbegreiflichen
Lehrsätze zugleich Jhren Glauben fordert, muß doch
wohl seine guten Ursachen dazu haben, daß er beydes
mit einander verbindet. Was haben Sie für Grund zu
befürchten, daß er Sie vielleicht hintergehen wolle. Ein
Betrüger und zugleich der vortrefflichste Sittenlehrer, fin-
den Sie diese beyden Charactere zu gleicher Zeit in einer
Person verträglich? -- Dazu kommt noch dieß. Jn der
Ewigkeit werden die Finsternisse verschwinden, welche
hier gewisse Wahrheiten der Religion verhüllen. Dort
wird alles Licht werden. Und dieser Ewigkeit, Herr
Graf, sind Sie sehr nahe. Wenn Sie denn nun auch
mit einigen Zweifeln, die Sie noch dazu ungerne hätten
und deren Sie sich nicht erwehren könnten, in die andre
Welt eingiengen, so dürfte ich zur Gnade Gottes hoffen,
daß sie Sie nach Jhrer Zeit und Aufrichtigkeit beurthei-
len würde. Und dann würden diese Zweifel, durch die
darauf gewiß erfolgende richtigere und vollständigere Ein-
sicht bald gehoben werden.

Er verlangte nun meine Erklärung über einige
Zweifel zu wissen, die ihn eben itzt beunruhigten. Der
erste war der Mangel der Lehre von der Unsterblichkeit
in den Schriften Mosis. Vorausgesetzt, sagte ich,
daß in Mosis Büchern gar keine gewisse Spuren von
dieser Lehre angetroffen werden, vorausgesetzt auch, daß

Mosis



ſind die Gruͤnde der Religion umzuſtoßen. Sie ſchaͤtzen
itzt ſchon die Sittenlehre des Chriſtenthums hoch, und
halten ſie fuͤr wuͤrdig eines goͤttlichen Urſprungs. Wenn
denn nun mit dieſer Moral einige theoratiſche Lehren
verbunden ſind, die Sie nicht begreifen koͤnnen, finden
Sie denn die Forderung unvernuͤnftig, daß Sie dieſe Leh-
ren, wegen der genauen Verbindung, in der ſie mit der
Moral Jeſu ſtehen, gegen die Sie nichts einzuwenden
haben, annehmen ſollen? Derjenige, der Sie eine ſo
vortreffliche Moral lehrt, und fuͤr dieſe unbegreiflichen
Lehrſaͤtze zugleich Jhren Glauben fordert, muß doch
wohl ſeine guten Urſachen dazu haben, daß er beydes
mit einander verbindet. Was haben Sie fuͤr Grund zu
befuͤrchten, daß er Sie vielleicht hintergehen wolle. Ein
Betruͤger und zugleich der vortrefflichſte Sittenlehrer, fin-
den Sie dieſe beyden Charactere zu gleicher Zeit in einer
Perſon vertraͤglich? — Dazu kommt noch dieß. Jn der
Ewigkeit werden die Finſterniſſe verſchwinden, welche
hier gewiſſe Wahrheiten der Religion verhuͤllen. Dort
wird alles Licht werden. Und dieſer Ewigkeit, Herr
Graf, ſind Sie ſehr nahe. Wenn Sie denn nun auch
mit einigen Zweifeln, die Sie noch dazu ungerne haͤtten
und deren Sie ſich nicht erwehren koͤnnten, in die andre
Welt eingiengen, ſo duͤrfte ich zur Gnade Gottes hoffen,
daß ſie Sie nach Jhrer Zeit und Aufrichtigkeit beurthei-
len wuͤrde. Und dann wuͤrden dieſe Zweifel, durch die
darauf gewiß erfolgende richtigere und vollſtaͤndigere Ein-
ſicht bald gehoben werden.

Er verlangte nun meine Erklaͤrung uͤber einige
Zweifel zu wiſſen, die ihn eben itzt beunruhigten. Der
erſte war der Mangel der Lehre von der Unſterblichkeit
in den Schriften Moſis. Vorausgeſetzt, ſagte ich,
daß in Moſis Buͤchern gar keine gewiſſe Spuren von
dieſer Lehre angetroffen werden, vorausgeſetzt auch, daß

Moſis
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0076" n="64"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;ind die Gru&#x0364;nde der Religion umzu&#x017F;toßen. Sie &#x017F;cha&#x0364;tzen<lb/>
itzt &#x017F;chon die Sittenlehre des Chri&#x017F;tenthums hoch, und<lb/>
halten &#x017F;ie fu&#x0364;r wu&#x0364;rdig eines go&#x0364;ttlichen Ur&#x017F;prungs. Wenn<lb/>
denn nun mit die&#x017F;er Moral einige theorati&#x017F;che Lehren<lb/>
verbunden &#x017F;ind, die Sie nicht begreifen ko&#x0364;nnen, finden<lb/>
Sie denn die Forderung unvernu&#x0364;nftig, daß Sie die&#x017F;e Leh-<lb/>
ren, wegen der genauen Verbindung, in der &#x017F;ie mit der<lb/>
Moral Je&#x017F;u &#x017F;tehen, gegen die Sie nichts einzuwenden<lb/>
haben, annehmen &#x017F;ollen? Derjenige, der Sie eine &#x017F;o<lb/>
vortreffliche Moral lehrt, und fu&#x0364;r die&#x017F;e unbegreiflichen<lb/>
Lehr&#x017F;a&#x0364;tze zugleich Jhren Glauben fordert, muß doch<lb/>
wohl &#x017F;eine guten Ur&#x017F;achen dazu haben, daß er beydes<lb/>
mit einander verbindet. Was haben Sie fu&#x0364;r Grund zu<lb/>
befu&#x0364;rchten, daß er Sie vielleicht hintergehen wolle. Ein<lb/>
Betru&#x0364;ger und zugleich der vortrefflich&#x017F;te Sittenlehrer, fin-<lb/>
den Sie die&#x017F;e beyden Charactere zu gleicher Zeit in einer<lb/>
Per&#x017F;on vertra&#x0364;glich? &#x2014; Dazu kommt noch dieß. Jn der<lb/>
Ewigkeit werden die Fin&#x017F;terni&#x017F;&#x017F;e ver&#x017F;chwinden, welche<lb/>
hier gewi&#x017F;&#x017F;e Wahrheiten der Religion verhu&#x0364;llen. Dort<lb/>
wird alles Licht werden. Und die&#x017F;er Ewigkeit, Herr<lb/>
Graf, &#x017F;ind Sie &#x017F;ehr nahe. Wenn Sie denn nun auch<lb/>
mit einigen Zweifeln, die Sie noch dazu ungerne ha&#x0364;tten<lb/>
und deren Sie &#x017F;ich nicht erwehren ko&#x0364;nnten, in die andre<lb/>
Welt eingiengen, &#x017F;o du&#x0364;rfte ich zur Gnade Gottes hoffen,<lb/>
daß &#x017F;ie Sie nach Jhrer Zeit und Aufrichtigkeit beurthei-<lb/>
len wu&#x0364;rde. Und dann wu&#x0364;rden die&#x017F;e Zweifel, durch die<lb/>
darauf gewiß erfolgende richtigere und voll&#x017F;ta&#x0364;ndigere Ein-<lb/>
&#x017F;icht bald gehoben werden.</p><lb/>
        <p>Er verlangte nun meine Erkla&#x0364;rung u&#x0364;ber einige<lb/>
Zweifel zu wi&#x017F;&#x017F;en, die ihn eben itzt beunruhigten. Der<lb/>
er&#x017F;te war der Mangel der Lehre von der Un&#x017F;terblichkeit<lb/>
in den Schriften Mo&#x017F;is. Vorausge&#x017F;etzt, &#x017F;agte ich,<lb/>
daß in Mo&#x017F;is Bu&#x0364;chern gar keine gewi&#x017F;&#x017F;e Spuren von<lb/>
die&#x017F;er Lehre angetroffen werden, vorausge&#x017F;etzt auch, daß<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Mo&#x017F;is</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0076] ſind die Gruͤnde der Religion umzuſtoßen. Sie ſchaͤtzen itzt ſchon die Sittenlehre des Chriſtenthums hoch, und halten ſie fuͤr wuͤrdig eines goͤttlichen Urſprungs. Wenn denn nun mit dieſer Moral einige theoratiſche Lehren verbunden ſind, die Sie nicht begreifen koͤnnen, finden Sie denn die Forderung unvernuͤnftig, daß Sie dieſe Leh- ren, wegen der genauen Verbindung, in der ſie mit der Moral Jeſu ſtehen, gegen die Sie nichts einzuwenden haben, annehmen ſollen? Derjenige, der Sie eine ſo vortreffliche Moral lehrt, und fuͤr dieſe unbegreiflichen Lehrſaͤtze zugleich Jhren Glauben fordert, muß doch wohl ſeine guten Urſachen dazu haben, daß er beydes mit einander verbindet. Was haben Sie fuͤr Grund zu befuͤrchten, daß er Sie vielleicht hintergehen wolle. Ein Betruͤger und zugleich der vortrefflichſte Sittenlehrer, fin- den Sie dieſe beyden Charactere zu gleicher Zeit in einer Perſon vertraͤglich? — Dazu kommt noch dieß. Jn der Ewigkeit werden die Finſterniſſe verſchwinden, welche hier gewiſſe Wahrheiten der Religion verhuͤllen. Dort wird alles Licht werden. Und dieſer Ewigkeit, Herr Graf, ſind Sie ſehr nahe. Wenn Sie denn nun auch mit einigen Zweifeln, die Sie noch dazu ungerne haͤtten und deren Sie ſich nicht erwehren koͤnnten, in die andre Welt eingiengen, ſo duͤrfte ich zur Gnade Gottes hoffen, daß ſie Sie nach Jhrer Zeit und Aufrichtigkeit beurthei- len wuͤrde. Und dann wuͤrden dieſe Zweifel, durch die darauf gewiß erfolgende richtigere und vollſtaͤndigere Ein- ſicht bald gehoben werden. Er verlangte nun meine Erklaͤrung uͤber einige Zweifel zu wiſſen, die ihn eben itzt beunruhigten. Der erſte war der Mangel der Lehre von der Unſterblichkeit in den Schriften Moſis. Vorausgeſetzt, ſagte ich, daß in Moſis Buͤchern gar keine gewiſſe Spuren von dieſer Lehre angetroffen werden, vorausgeſetzt auch, daß Moſis

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/76
Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/76>, abgerufen am 03.05.2024.