schon treiben, Gottes Gnade da zu suchen, wo sie allein zu finden ist." Aber sagen Sie mir, antwortete er, wie kann das Christenthum der von Gott offenbahrte ein- zige Weg zur Glückseeligkeit seyn, da es so wenig Men- schen bekannt ist, da selbst unter den Christen so wenige die Vorschriften desselben erfüllen?
Aus dem ersten Zweifel, antwortete ich, wollen Sie schließen, es sey wider die Güte und Gerechtigkeit Gottes, eine Lehre, durch die allein der Mensch glück- selig werden kann, nicht allen Menschen bekannt gemacht zu haben. Können wir aber wohl wissen, ob nicht Gott diejenigen, denen das Christenthum nicht bekannt wird, durch die in demselben gemachte Veranstaltung gleichwohl seelig machen werde, wenn sie sich sonst so gut betragen, als es nach ihren Umständen möglich ist? Und kann sich jemand, dem Gott irgend ein Gut schenkt, das er andern versagt, deswegen für berechtigt halten, dieß Gut nicht einmahl anzusehen und zu untersuchen, weil Gott es ihm, und nicht zugleich allen, zugestanden hat? Hat nicht Gott alles Gute, das wir Menschen von seiner Liebe haben, ungleich ausgetheilt, z. Ex. Ehre, Reichthum, Gesundheit, Gaben des Geistes, selbst die Erkenntniß der natürlichen Religion? Sie sehen, aus Jhrem Einwurf folgt weit mehr, als daraus Jhrer Ab- sicht nach folgen soll.
Aus dem andern Zweifel, wollen Sie dieß schlie- ßen: Weil das Christenthum von so wenig Menschen be- folgt wird, so kann es kein hinlängliches Mittel zu der Absicht seyn, wozu es Gott verordnet haben soll, es kann also auch nicht von Gott seinen Ursprung haben. Hier müssen Sie nur bedenken, daß es eine Religion freyer Geschöpfe ist, daß diese in einer Sache, die ihre Glückseeligkeit betrifft, unter keinem Zwange stehen, daß
Vor-
ſchon treiben, Gottes Gnade da zu ſuchen, wo ſie allein zu finden iſt.„ Aber ſagen Sie mir, antwortete er, wie kann das Chriſtenthum der von Gott offenbahrte ein- zige Weg zur Gluͤckſeeligkeit ſeyn, da es ſo wenig Men- ſchen bekannt iſt, da ſelbſt unter den Chriſten ſo wenige die Vorſchriften deſſelben erfuͤllen?
Aus dem erſten Zweifel, antwortete ich, wollen Sie ſchließen, es ſey wider die Guͤte und Gerechtigkeit Gottes, eine Lehre, durch die allein der Menſch gluͤck- ſelig werden kann, nicht allen Menſchen bekannt gemacht zu haben. Koͤnnen wir aber wohl wiſſen, ob nicht Gott diejenigen, denen das Chriſtenthum nicht bekannt wird, durch die in demſelben gemachte Veranſtaltung gleichwohl ſeelig machen werde, wenn ſie ſich ſonſt ſo gut betragen, als es nach ihren Umſtaͤnden moͤglich iſt? Und kann ſich jemand, dem Gott irgend ein Gut ſchenkt, das er andern verſagt, deswegen fuͤr berechtigt halten, dieß Gut nicht einmahl anzuſehen und zu unterſuchen, weil Gott es ihm, und nicht zugleich allen, zugeſtanden hat? Hat nicht Gott alles Gute, das wir Menſchen von ſeiner Liebe haben, ungleich ausgetheilt, z. Ex. Ehre, Reichthum, Geſundheit, Gaben des Geiſtes, ſelbſt die Erkenntniß der natuͤrlichen Religion? Sie ſehen, aus Jhrem Einwurf folgt weit mehr, als daraus Jhrer Ab- ſicht nach folgen ſoll.
Aus dem andern Zweifel, wollen Sie dieß ſchlie- ßen: Weil das Chriſtenthum von ſo wenig Menſchen be- folgt wird, ſo kann es kein hinlaͤngliches Mittel zu der Abſicht ſeyn, wozu es Gott verordnet haben ſoll, es kann alſo auch nicht von Gott ſeinen Urſprung haben. Hier muͤſſen Sie nur bedenken, daß es eine Religion freyer Geſchoͤpfe iſt, daß dieſe in einer Sache, die ihre Gluͤckſeeligkeit betrifft, unter keinem Zwange ſtehen, daß
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ſchon treiben, Gottes Gnade da zu ſuchen, wo ſie allein
zu finden iſt.„ Aber ſagen Sie mir, antwortete er,
wie kann das Chriſtenthum der von Gott offenbahrte ein-
zige Weg zur Gluͤckſeeligkeit ſeyn, da es ſo wenig Men-
ſchen bekannt iſt, da ſelbſt unter den Chriſten ſo wenige
die Vorſchriften deſſelben erfuͤllen?
Aus dem erſten Zweifel, antwortete ich, wollen
Sie ſchließen, es ſey wider die Guͤte und Gerechtigkeit
Gottes, eine Lehre, durch die allein der Menſch gluͤck-
ſelig werden kann, nicht allen Menſchen bekannt gemacht
zu haben. Koͤnnen wir aber wohl wiſſen, ob nicht
Gott diejenigen, denen das Chriſtenthum nicht bekannt
wird, durch die in demſelben gemachte Veranſtaltung
gleichwohl ſeelig machen werde, wenn ſie ſich ſonſt ſo
gut betragen, als es nach ihren Umſtaͤnden moͤglich iſt?
Und kann ſich jemand, dem Gott irgend ein Gut ſchenkt,
das er andern verſagt, deswegen fuͤr berechtigt halten,
dieß Gut nicht einmahl anzuſehen und zu unterſuchen,
weil Gott es ihm, und nicht zugleich allen, zugeſtanden
hat? Hat nicht Gott alles Gute, das wir Menſchen
von ſeiner Liebe haben, ungleich ausgetheilt, z. Ex. Ehre,
Reichthum, Geſundheit, Gaben des Geiſtes, ſelbſt die
Erkenntniß der natuͤrlichen Religion? Sie ſehen, aus
Jhrem Einwurf folgt weit mehr, als daraus Jhrer Ab-
ſicht nach folgen ſoll.
Aus dem andern Zweifel, wollen Sie dieß ſchlie-
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folgt wird, ſo kann es kein hinlaͤngliches Mittel zu der
Abſicht ſeyn, wozu es Gott verordnet haben ſoll, es
kann alſo auch nicht von Gott ſeinen Urſprung haben.
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/46>, abgerufen am 28.07.2024.
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