Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.des Menschen, und dieser hat es in seiner Gewalt, da er mit Freyheit handelt. Die Erfahrung kann uns deutlich überführen, daß keine Ausnahme davon gemacht werde. Jedes Vergehen und jedes Laster zieht schon hier seine Be- strafung nach sich. Es wird vielleicht kein Fall seyn, wo man nicht von dieser Wahrheit überführt werden kann, wenn man die Glückseeligkeit eines Menschen nach den in- nern Empfindungen, und nicht nach dem, was man Glück nennt, beurtheilt. Unordentliche und gehäufte Begierden sind Uebel, und das schmerzhafte Bewustseyn eines began- genen Lasters verläßt uns nie. Wird Gott aus dem Uebel etwas Gutes machen, um das Unglück, so der Beweis sei- nes Misfallens ist, von uns abzuwenden? Von diesen Wahrheiten bin ich jederzeit überzeugt ge- Die Fortsetzung meiner moralischen Untersuchungen das T 4
des Menſchen, und dieſer hat es in ſeiner Gewalt, da er mit Freyheit handelt. Die Erfahrung kann uns deutlich uͤberfuͤhren, daß keine Ausnahme davon gemacht werde. Jedes Vergehen und jedes Laſter zieht ſchon hier ſeine Be- ſtrafung nach ſich. Es wird vielleicht kein Fall ſeyn, wo man nicht von dieſer Wahrheit uͤberfuͤhrt werden kann, wenn man die Gluͤckſeeligkeit eines Menſchen nach den in- nern Empfindungen, und nicht nach dem, was man Gluͤck nennt, beurtheilt. Unordentliche und gehaͤufte Begierden ſind Uebel, und das ſchmerzhafte Bewuſtſeyn eines began- genen Laſters verlaͤßt uns nie. Wird Gott aus dem Uebel etwas Gutes machen, um das Ungluͤck, ſo der Beweis ſei- nes Misfallens iſt, von uns abzuwenden? Von dieſen Wahrheiten bin ich jederzeit uͤberzeugt ge- Die Fortſetzung meiner moraliſchen Unterſuchungen das T 4
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des Menſchen, und dieſer hat es in ſeiner Gewalt, da er
mit Freyheit handelt. Die Erfahrung kann uns deutlich
uͤberfuͤhren, daß keine Ausnahme davon gemacht werde.
Jedes Vergehen und jedes Laſter zieht ſchon hier ſeine Be-
ſtrafung nach ſich. Es wird vielleicht kein Fall ſeyn, wo
man nicht von dieſer Wahrheit uͤberfuͤhrt werden kann,
wenn man die Gluͤckſeeligkeit eines Menſchen nach den in-
nern Empfindungen, und nicht nach dem, was man Gluͤck
nennt, beurtheilt. Unordentliche und gehaͤufte Begierden
ſind Uebel, und das ſchmerzhafte Bewuſtſeyn eines began-
genen Laſters verlaͤßt uns nie. Wird Gott aus dem Uebel
etwas Gutes machen, um das Ungluͤck, ſo der Beweis ſei-
nes Misfallens iſt, von uns abzuwenden?
Von dieſen Wahrheiten bin ich jederzeit uͤberzeugt ge-
weſen, aber ich ſah ſie als nothwendige unſerm Schickſale
eingeflochtene Uebel an, die mit dieſem Leben aufhoͤren wuͤr-
den, wenn ſie auch Strafen genannt werden koͤnnten. Die
Standhaftigkeit der Seele, der durch Uebung erlangte Kalt-
ſinn, und die Betrachtung der Uebel ſelbſt ohne Einbil-
dungskraft, glaubte ich, verminderten den lebhaften Ein-
druck derſelben. Die Geduld mache uns gleichguͤltig dage-
gen und die Zerſtreuungen braͤchten ſie in Vergeſſenheit.
Mit dieſen Huͤlfsmitteln ertrug ich das Ungluͤck, ſo ich nicht
vermeiden konnte, gelaſſen, und ſchien es mir weniger
ſchrecklich. Wir glauben zuletzt einen Jrrthum, wie eine
Unwahrheit, die man oft wiederhohlt. Die Hoffnung, daß
der Tod das Ende des Ungluͤcks ſey, erforderte die groͤßte
Standhaftigkeit und Kaltſinn, und Sie wiſſen die Beruhi-
gungsgruͤnde uͤber das zukuͤnftige Leben, wenn man ſich nach
meinen vorigen Grundſaͤtzen beurtheilt, und es aus dem Ge-
ſichtspuncte, wie ich gethan, anſieht. Die Ungewißheit daruͤ-
ber wuͤrde mir vielleicht unendliche Unruhe verurſacht haben,
wenn ich auch noch kein Mistrauen in meine Kraͤfte ſetzte.
Die Fortſetzung meiner moraliſchen Unterſuchungen
verminderte wenigſtens jene nicht. Das Gedaͤchtniß wird
das
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