Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite



Bruders. Er bat mich demselben diese Worte so zu erklä-
ren: Er habe seinen Freund Brandt aus guter Absicht hie-
her zurückgebracht, und ihn abgehalten sich herauszuzie-
hen, da er Gelegenheit dazu gehabt hätte. --

Nun eröffnete sich die Thür des Gefängnisses, nach
welcher ich oft, er aber nie, einen furchtsam erwartenden
Blick gerichtet hatte. Ein Officier trat hinein und bat mich
nun voraus zu fahren. Jch ward sehr weich. Der Verur-
theilte, als wenn ihn die Sache gar nicht angienge, redete
mir zu. Beruhigen Sie sich, sagte er, mein wehrtester
Freund, durch die Betrachtung meiner Vortheile, und
durch Jhr Bewußtseyn, daß Gott Sie gebraucht hat, mir
dieselben zu verschaffen. Jch umarmte ihn, empfohl ihn
der Liebe Gottes und eilte nach dem Richtplatz. --

Als er bald nach mir abgerufen worden war, war
er sogleich von seinem Lager aufgestanden, und denen ge-
folgt, die ihn begleiten sollten. Beym Herausgehen aus
dem Gefangenhause nach dem Wagen hatte er die Umste-
henden gegrüßt. Auf dem Wege nach dem Richtplatz hatte
er sich theils mit dem bey ihm sitzenden Officier gesprochen,
theils nachdenkend vor sich gesessen.

Sobald beyde Verurtheilte, jeder in seinem beson-
dern Wagen, nahe am Blutgerüste angelangt waren, und
Brandt dasselbe zuerst bestieg, setzte ich mich zu Struensee
ein, und ließ die Kutsche umwenden, damit wir nicht die
Aussicht aufs Schafot haben möchten. "Jch habe ihn schon
gesehen, sagte er." Jch konnte mich nicht sogleich in
Fassung setzen. Er merkte meine Unruhe, sah mich mit ei-
ner lächelnden Miene an, und sagte: Attendriren Sie mich
ja nicht. Jch sehe, Sie leiden. Erinnern Sie sich daran,
daß Sie das Werkzeug Gottes gewesen sind, mich glücklich
zu machen. Jch kann mir vorstellen, wie süß es Jhnen seyn
muß sich das bewußt zu seyn. Jch werde mit Jhnen Gott in
der Ewigkeit dafür danken, daß Sie meine Seele gerettet

haben.
S 2



Bruders. Er bat mich demſelben dieſe Worte ſo zu erklaͤ-
ren: Er habe ſeinen Freund Brandt aus guter Abſicht hie-
her zuruͤckgebracht, und ihn abgehalten ſich herauszuzie-
hen, da er Gelegenheit dazu gehabt haͤtte. —

Nun eroͤffnete ſich die Thuͤr des Gefaͤngniſſes, nach
welcher ich oft, er aber nie, einen furchtſam erwartenden
Blick gerichtet hatte. Ein Officier trat hinein und bat mich
nun voraus zu fahren. Jch ward ſehr weich. Der Verur-
theilte, als wenn ihn die Sache gar nicht angienge, redete
mir zu. Beruhigen Sie ſich, ſagte er, mein wehrteſter
Freund, durch die Betrachtung meiner Vortheile, und
durch Jhr Bewußtſeyn, daß Gott Sie gebraucht hat, mir
dieſelben zu verſchaffen. Jch umarmte ihn, empfohl ihn
der Liebe Gottes und eilte nach dem Richtplatz. —

Als er bald nach mir abgerufen worden war, war
er ſogleich von ſeinem Lager aufgeſtanden, und denen ge-
folgt, die ihn begleiten ſollten. Beym Herausgehen aus
dem Gefangenhauſe nach dem Wagen hatte er die Umſte-
henden gegruͤßt. Auf dem Wege nach dem Richtplatz hatte
er ſich theils mit dem bey ihm ſitzenden Officier geſprochen,
theils nachdenkend vor ſich geſeſſen.

Sobald beyde Verurtheilte, jeder in ſeinem beſon-
dern Wagen, nahe am Blutgeruͤſte angelangt waren, und
Brandt daſſelbe zuerſt beſtieg, ſetzte ich mich zu Struenſee
ein, und ließ die Kutſche umwenden, damit wir nicht die
Auſſicht aufs Schafot haben moͤchten. “Jch habe ihn ſchon
geſehen, ſagte er.„ Jch konnte mich nicht ſogleich in
Faſſung ſetzen. Er merkte meine Unruhe, ſah mich mit ei-
ner laͤchelnden Miene an, und ſagte: Attendriren Sie mich
ja nicht. Jch ſehe, Sie leiden. Erinnern Sie ſich daran,
daß Sie das Werkzeug Gottes geweſen ſind, mich gluͤcklich
zu machen. Jch kann mir vorſtellen, wie ſuͤß es Jhnen ſeyn
muß ſich das bewußt zu ſeyn. Jch werde mit Jhnen Gott in
der Ewigkeit dafuͤr danken, daß Sie meine Seele gerettet

haben.
S 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0287" n="275"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Bruders. Er bat mich dem&#x017F;elben die&#x017F;e Worte &#x017F;o zu erkla&#x0364;-<lb/>
ren: Er habe &#x017F;einen Freund Brandt aus guter Ab&#x017F;icht hie-<lb/>
her zuru&#x0364;ckgebracht, und ihn abgehalten &#x017F;ich herauszuzie-<lb/>
hen, da er Gelegenheit dazu gehabt ha&#x0364;tte. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Nun ero&#x0364;ffnete &#x017F;ich die Thu&#x0364;r des Gefa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;es, nach<lb/>
welcher ich oft, er aber nie, einen furcht&#x017F;am erwartenden<lb/>
Blick gerichtet hatte. Ein Officier trat hinein und bat mich<lb/>
nun voraus zu fahren. Jch ward &#x017F;ehr weich. Der Verur-<lb/>
theilte, als wenn ihn die Sache gar nicht angienge, redete<lb/>
mir zu. Beruhigen Sie &#x017F;ich, &#x017F;agte er, mein wehrte&#x017F;ter<lb/>
Freund, durch die Betrachtung meiner Vortheile, und<lb/>
durch Jhr Bewußt&#x017F;eyn, daß Gott Sie gebraucht hat, mir<lb/>
die&#x017F;elben zu ver&#x017F;chaffen. Jch umarmte ihn, empfohl ihn<lb/>
der Liebe Gottes und eilte nach dem Richtplatz. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Als er bald nach mir abgerufen worden war, war<lb/>
er &#x017F;ogleich von &#x017F;einem Lager aufge&#x017F;tanden, und denen ge-<lb/>
folgt, die ihn begleiten &#x017F;ollten. Beym Herausgehen aus<lb/>
dem Gefangenhau&#x017F;e nach dem Wagen hatte er die Um&#x017F;te-<lb/>
henden gegru&#x0364;ßt. Auf dem Wege nach dem Richtplatz hatte<lb/>
er &#x017F;ich theils mit dem bey ihm &#x017F;itzenden Officier ge&#x017F;prochen,<lb/>
theils nachdenkend vor &#x017F;ich ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Sobald beyde Verurtheilte, jeder in &#x017F;einem be&#x017F;on-<lb/>
dern Wagen, nahe am Blutgeru&#x0364;&#x017F;te angelangt waren, und<lb/>
Brandt da&#x017F;&#x017F;elbe zuer&#x017F;t be&#x017F;tieg, &#x017F;etzte ich mich zu Struen&#x017F;ee<lb/>
ein, und ließ die Kut&#x017F;che umwenden, damit wir nicht die<lb/>
A<choice><sic>n</sic><corr>u</corr></choice>&#x017F;&#x017F;icht aufs Schafot haben mo&#x0364;chten. &#x201C;Jch habe ihn &#x017F;chon<lb/>
ge&#x017F;ehen, &#x017F;agte er.&#x201E; Jch konnte mich nicht &#x017F;ogleich in<lb/>
Fa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;etzen. Er merkte meine Unruhe, &#x017F;ah mich mit ei-<lb/>
ner la&#x0364;chelnden Miene an, und &#x017F;agte: Attendriren Sie mich<lb/>
ja nicht. Jch &#x017F;ehe, Sie leiden. Erinnern Sie &#x017F;ich daran,<lb/>
daß Sie das Werkzeug Gottes gewe&#x017F;en &#x017F;ind, mich glu&#x0364;cklich<lb/>
zu machen. Jch kann mir vor&#x017F;tellen, wie &#x017F;u&#x0364;ß es Jhnen &#x017F;eyn<lb/>
muß &#x017F;ich das bewußt zu &#x017F;eyn. Jch werde mit Jhnen Gott in<lb/>
der Ewigkeit dafu&#x0364;r danken, daß Sie meine Seele gerettet<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 2</fw><fw place="bottom" type="catch">haben.</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0287] Bruders. Er bat mich demſelben dieſe Worte ſo zu erklaͤ- ren: Er habe ſeinen Freund Brandt aus guter Abſicht hie- her zuruͤckgebracht, und ihn abgehalten ſich herauszuzie- hen, da er Gelegenheit dazu gehabt haͤtte. — Nun eroͤffnete ſich die Thuͤr des Gefaͤngniſſes, nach welcher ich oft, er aber nie, einen furchtſam erwartenden Blick gerichtet hatte. Ein Officier trat hinein und bat mich nun voraus zu fahren. Jch ward ſehr weich. Der Verur- theilte, als wenn ihn die Sache gar nicht angienge, redete mir zu. Beruhigen Sie ſich, ſagte er, mein wehrteſter Freund, durch die Betrachtung meiner Vortheile, und durch Jhr Bewußtſeyn, daß Gott Sie gebraucht hat, mir dieſelben zu verſchaffen. Jch umarmte ihn, empfohl ihn der Liebe Gottes und eilte nach dem Richtplatz. — Als er bald nach mir abgerufen worden war, war er ſogleich von ſeinem Lager aufgeſtanden, und denen ge- folgt, die ihn begleiten ſollten. Beym Herausgehen aus dem Gefangenhauſe nach dem Wagen hatte er die Umſte- henden gegruͤßt. Auf dem Wege nach dem Richtplatz hatte er ſich theils mit dem bey ihm ſitzenden Officier geſprochen, theils nachdenkend vor ſich geſeſſen. Sobald beyde Verurtheilte, jeder in ſeinem beſon- dern Wagen, nahe am Blutgeruͤſte angelangt waren, und Brandt daſſelbe zuerſt beſtieg, ſetzte ich mich zu Struenſee ein, und ließ die Kutſche umwenden, damit wir nicht die Auſſicht aufs Schafot haben moͤchten. “Jch habe ihn ſchon geſehen, ſagte er.„ Jch konnte mich nicht ſogleich in Faſſung ſetzen. Er merkte meine Unruhe, ſah mich mit ei- ner laͤchelnden Miene an, und ſagte: Attendriren Sie mich ja nicht. Jch ſehe, Sie leiden. Erinnern Sie ſich daran, daß Sie das Werkzeug Gottes geweſen ſind, mich gluͤcklich zu machen. Jch kann mir vorſtellen, wie ſuͤß es Jhnen ſeyn muß ſich das bewußt zu ſeyn. Jch werde mit Jhnen Gott in der Ewigkeit dafuͤr danken, daß Sie meine Seele gerettet haben. S 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/287
Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/287>, abgerufen am 25.11.2024.