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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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ich von den Würkungen der Religion auf sein Herz erwartet,
aber sie that weit mehr als ich hatte hoffen dürfen. Er versi-
cherte mich, daß er der Religion, und der Gewißheit, die
er durch sie von seiner Begnadigung bey Gott hätte, diese
seine Gemühtsverfassung zu danken habe. Er werde zwar
durch sein natürlich kaltes Blut, durch seine vieljährige
Gewohnheit die Einbildungskraft in Schranken zu erhal-
ten, und sich vielmehr mit Ueberlegungen der gesunden
Vernunft als mit Bildern der Jmagination zu beschäffti-
gen, dabey unterstützt. Aber er fühle zu sehr, daß das alles
ihn ohne die Religion nicht würde beruhigen können. Da
Gott sie so eingerichtet habe, daß sie sich für alle Arten der
menschlichen Temperamente und Charactere schicke, und
den Menschen unter allen Umständen angemessen sey, so
fände sie so zu sagen bey ihm einen guten Boden, in welchem
sie diese ihre Frucht, Ruhe und Standhaftigkeit in den
Trübsalen, erzeugen könnte.

So unangenehm der Weg ist, setzte er hinzu, auf
welchen Gott mich aus der Welt führt, so habe ich doch
große Ursache ihm dankbar dafür zu seyn, daß er ihn ge-
wählt, mir den Tod eine Zeitlang zum Voraus gezeigt,
und mich zugleich ganz aus den Lüsten und Zerstreuungen
des Lebens herausgerissen hat. Auf keine andre Art würde
ich zur Erkenntniß der Wahrheit und zur Verbesserung
meiner Gesinnungen haben gebracht werden können. Jch
weiß zwar gewiß, daß ich unter allen Umständen das Chri-
stenthum angenommen hätte, wenn ich es so hätte kennen
lernen, als ich es nun kenne. Aber ich hätte mir die Zeit
nicht gegeben es zu untersuchen. Wenn ich sonst an den Tod
dachte, machte diese Erinnerung nie einen Eindruck auf
mich. Jch unterdrückte vielmehr diesen Gedanken immer
wieder, bald durch die Vorstellung, daß der Tod ein un-
vermeidliches Schicksal sey, welches man ruhig abwarten
aber nicht in Gedanken gleichsam vor der Zeit herbeyrufen
müsse; bald durch den Gedanken, man müsse sich das

Gegen-
R



ich von den Wuͤrkungen der Religion auf ſein Herz erwartet,
aber ſie that weit mehr als ich hatte hoffen duͤrfen. Er verſi-
cherte mich, daß er der Religion, und der Gewißheit, die
er durch ſie von ſeiner Begnadigung bey Gott haͤtte, dieſe
ſeine Gemuͤhtsverfaſſung zu danken habe. Er werde zwar
durch ſein natuͤrlich kaltes Blut, durch ſeine vieljaͤhrige
Gewohnheit die Einbildungskraft in Schranken zu erhal-
ten, und ſich vielmehr mit Ueberlegungen der geſunden
Vernunft als mit Bildern der Jmagination zu beſchaͤffti-
gen, dabey unterſtuͤtzt. Aber er fuͤhle zu ſehr, daß das alles
ihn ohne die Religion nicht wuͤrde beruhigen koͤnnen. Da
Gott ſie ſo eingerichtet habe, daß ſie ſich fuͤr alle Arten der
menſchlichen Temperamente und Charactere ſchicke, und
den Menſchen unter allen Umſtaͤnden angemeſſen ſey, ſo
faͤnde ſie ſo zu ſagen bey ihm einen guten Boden, in welchem
ſie dieſe ihre Frucht, Ruhe und Standhaftigkeit in den
Truͤbſalen, erzeugen koͤnnte.

So unangenehm der Weg iſt, ſetzte er hinzu, auf
welchen Gott mich aus der Welt fuͤhrt, ſo habe ich doch
große Urſache ihm dankbar dafuͤr zu ſeyn, daß er ihn ge-
waͤhlt, mir den Tod eine Zeitlang zum Voraus gezeigt,
und mich zugleich ganz aus den Luͤſten und Zerſtreuungen
des Lebens herausgeriſſen hat. Auf keine andre Art wuͤrde
ich zur Erkenntniß der Wahrheit und zur Verbeſſerung
meiner Geſinnungen haben gebracht werden koͤnnen. Jch
weiß zwar gewiß, daß ich unter allen Umſtaͤnden das Chri-
ſtenthum angenommen haͤtte, wenn ich es ſo haͤtte kennen
lernen, als ich es nun kenne. Aber ich haͤtte mir die Zeit
nicht gegeben es zu unterſuchen. Wenn ich ſonſt an den Tod
dachte, machte dieſe Erinnerung nie einen Eindruck auf
mich. Jch unterdruͤckte vielmehr dieſen Gedanken immer
wieder, bald durch die Vorſtellung, daß der Tod ein un-
vermeidliches Schickſal ſey, welches man ruhig abwarten
aber nicht in Gedanken gleichſam vor der Zeit herbeyrufen
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[257/0269] ich von den Wuͤrkungen der Religion auf ſein Herz erwartet, aber ſie that weit mehr als ich hatte hoffen duͤrfen. Er verſi- cherte mich, daß er der Religion, und der Gewißheit, die er durch ſie von ſeiner Begnadigung bey Gott haͤtte, dieſe ſeine Gemuͤhtsverfaſſung zu danken habe. Er werde zwar durch ſein natuͤrlich kaltes Blut, durch ſeine vieljaͤhrige Gewohnheit die Einbildungskraft in Schranken zu erhal- ten, und ſich vielmehr mit Ueberlegungen der geſunden Vernunft als mit Bildern der Jmagination zu beſchaͤffti- gen, dabey unterſtuͤtzt. Aber er fuͤhle zu ſehr, daß das alles ihn ohne die Religion nicht wuͤrde beruhigen koͤnnen. Da Gott ſie ſo eingerichtet habe, daß ſie ſich fuͤr alle Arten der menſchlichen Temperamente und Charactere ſchicke, und den Menſchen unter allen Umſtaͤnden angemeſſen ſey, ſo faͤnde ſie ſo zu ſagen bey ihm einen guten Boden, in welchem ſie dieſe ihre Frucht, Ruhe und Standhaftigkeit in den Truͤbſalen, erzeugen koͤnnte. So unangenehm der Weg iſt, ſetzte er hinzu, auf welchen Gott mich aus der Welt fuͤhrt, ſo habe ich doch große Urſache ihm dankbar dafuͤr zu ſeyn, daß er ihn ge- waͤhlt, mir den Tod eine Zeitlang zum Voraus gezeigt, und mich zugleich ganz aus den Luͤſten und Zerſtreuungen des Lebens herausgeriſſen hat. Auf keine andre Art wuͤrde ich zur Erkenntniß der Wahrheit und zur Verbeſſerung meiner Geſinnungen haben gebracht werden koͤnnen. Jch weiß zwar gewiß, daß ich unter allen Umſtaͤnden das Chri- ſtenthum angenommen haͤtte, wenn ich es ſo haͤtte kennen lernen, als ich es nun kenne. Aber ich haͤtte mir die Zeit nicht gegeben es zu unterſuchen. Wenn ich ſonſt an den Tod dachte, machte dieſe Erinnerung nie einen Eindruck auf mich. Jch unterdruͤckte vielmehr dieſen Gedanken immer wieder, bald durch die Vorſtellung, daß der Tod ein un- vermeidliches Schickſal ſey, welches man ruhig abwarten aber nicht in Gedanken gleichſam vor der Zeit herbeyrufen muͤſſe; bald durch den Gedanken, man muͤſſe ſich das Gegen- R

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/269>, abgerufen am 22.11.2024.