Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite




Verstande nicht sehen, sondern es müssen uns durch Un-
terricht, durch Aufklärung und Erweiterung der Begriffe
neue und vollkommene Kenntnisse von Gott mitgetheit
werden. Das muß durch jemand geschehen, der Gott
völlig kennt, und zugleich sich zu uns herabzulassen und
sich nach unsern Fähigkeiten zu richten weiß. Dieser wird
Christus seyn. Er ist Gott, und weiß also, was in Gott
ist. Er ist Mensch, und kann also seinen Unterricht von
Gott, den er uns geben wird, uns verständlich machen. --

Jch finde in der göttlichen Einrichtung zur Ver-
söhnung und Verbesserung des menschlichen Geschlechts,
sagte er ferner, eine weise Gradation. Jm alten Testa-
ment hat Gott um die Menschen auf seine Heiligkeit und
Gerechtigkeit aufmerksam zu machen, die Opfer angeord-
net. Die Juden mußten etwas, das ihnen lieb war,
hergeben, wenn sie gesündigt hatten, und das sollte ihnen
das Sündigen schwer machen. Nach und nach aber ver-
gaßen sie die Absicht und blieben an dem Sinnlichen des
Mittels hängen. Nun opferte Gott selbst Christum sei-
nen Sohn auf, um den Menschen dadurch noch weit stär-
ker seinen Abscheu an der Sünde und zugleich seine Liebe
zu beweisen. Sollte ein tausendjähriges Reich oder irgend
eine ähnliche Begebenheit zukünftig seyn, wo sich ihnen
Gott in großer Herlichkeit zeigte, so würde das sie viel-
leicht noch stärker rühren.

Es kommt mir itzt sehr thöricht vor, fuhr er fort,
daß sich die Freygeister an der niedrigen Gestalt Christi
und der ersten Lehrer des Christenthums ärgern. Denn
zu geschweigen, daß in Beziehung auf Gott nichts klein
oder groß ist, so ist diese niedrige Gestalt zur Erreichung
des Zwecks, den Christus hatte, etwas wesentliches ge-
wesen. Wenn z. Ex. ein großer Herr ein Dorf voll Bauern
in Person reformiren wollte, so würde er nicht viel aus-
richten, wenn er in aller seiner Größe unter ihnen er-
schiene. Sie würden ihn dann für ein Wesen von

einer




Verſtande nicht ſehen, ſondern es muͤſſen uns durch Un-
terricht, durch Aufklaͤrung und Erweiterung der Begriffe
neue und vollkommene Kenntniſſe von Gott mitgetheit
werden. Das muß durch jemand geſchehen, der Gott
voͤllig kennt, und zugleich ſich zu uns herabzulaſſen und
ſich nach unſern Faͤhigkeiten zu richten weiß. Dieſer wird
Chriſtus ſeyn. Er iſt Gott, und weiß alſo, was in Gott
iſt. Er iſt Menſch, und kann alſo ſeinen Unterricht von
Gott, den er uns geben wird, uns verſtaͤndlich machen. —

Jch finde in der goͤttlichen Einrichtung zur Ver-
ſoͤhnung und Verbeſſerung des menſchlichen Geſchlechts,
ſagte er ferner, eine weiſe Gradation. Jm alten Teſta-
ment hat Gott um die Menſchen auf ſeine Heiligkeit und
Gerechtigkeit aufmerkſam zu machen, die Opfer angeord-
net. Die Juden mußten etwas, das ihnen lieb war,
hergeben, wenn ſie geſuͤndigt hatten, und das ſollte ihnen
das Suͤndigen ſchwer machen. Nach und nach aber ver-
gaßen ſie die Abſicht und blieben an dem Sinnlichen des
Mittels haͤngen. Nun opferte Gott ſelbſt Chriſtum ſei-
nen Sohn auf, um den Menſchen dadurch noch weit ſtaͤr-
ker ſeinen Abſcheu an der Suͤnde und zugleich ſeine Liebe
zu beweiſen. Sollte ein tauſendjaͤhriges Reich oder irgend
eine aͤhnliche Begebenheit zukuͤnftig ſeyn, wo ſich ihnen
Gott in großer Herlichkeit zeigte, ſo wuͤrde das ſie viel-
leicht noch ſtaͤrker ruͤhren.

Es kommt mir itzt ſehr thoͤricht vor, fuhr er fort,
daß ſich die Freygeiſter an der niedrigen Geſtalt Chriſti
und der erſten Lehrer des Chriſtenthums aͤrgern. Denn
zu geſchweigen, daß in Beziehung auf Gott nichts klein
oder groß iſt, ſo iſt dieſe niedrige Geſtalt zur Erreichung
des Zwecks, den Chriſtus hatte, etwas weſentliches ge-
weſen. Wenn z. Ex. ein großer Herr ein Dorf voll Bauern
in Perſon reformiren wollte, ſo wuͤrde er nicht viel aus-
richten, wenn er in aller ſeiner Groͤße unter ihnen er-
ſchiene. Sie wuͤrden ihn dann fuͤr ein Weſen von

einer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0251" n="239"/><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Ver&#x017F;tande nicht &#x017F;ehen, &#x017F;ondern es mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en uns durch Un-<lb/>
terricht, durch Aufkla&#x0364;rung und Erweiterung der Begriffe<lb/>
neue und vollkommene Kenntni&#x017F;&#x017F;e von Gott mitgetheit<lb/>
werden. Das muß durch jemand ge&#x017F;chehen, der Gott<lb/>
vo&#x0364;llig kennt, und zugleich &#x017F;ich zu uns herabzula&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
&#x017F;ich nach un&#x017F;ern Fa&#x0364;higkeiten zu richten weiß. Die&#x017F;er wird<lb/>
Chri&#x017F;tus &#x017F;eyn. Er i&#x017F;t Gott, und weiß al&#x017F;o, was in Gott<lb/>
i&#x017F;t. Er i&#x017F;t Men&#x017F;ch, und kann al&#x017F;o &#x017F;einen Unterricht von<lb/>
Gott, den er uns geben wird, uns ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich machen. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Jch finde in der go&#x0364;ttlichen Einrichtung zur Ver-<lb/>
&#x017F;o&#x0364;hnung und Verbe&#x017F;&#x017F;erung des men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;chlechts,<lb/>
&#x017F;agte er ferner, eine wei&#x017F;e Gradation. Jm alten Te&#x017F;ta-<lb/>
ment hat Gott um die Men&#x017F;chen auf &#x017F;eine Heiligkeit und<lb/>
Gerechtigkeit aufmerk&#x017F;am zu machen, die Opfer angeord-<lb/>
net. Die Juden mußten etwas, das ihnen lieb war,<lb/>
hergeben, wenn &#x017F;ie ge&#x017F;u&#x0364;ndigt hatten, und das &#x017F;ollte ihnen<lb/>
das Su&#x0364;ndigen &#x017F;chwer machen. Nach und nach aber ver-<lb/>
gaßen &#x017F;ie die Ab&#x017F;icht und blieben an dem Sinnlichen des<lb/>
Mittels ha&#x0364;ngen. Nun opferte Gott &#x017F;elb&#x017F;t Chri&#x017F;tum &#x017F;ei-<lb/>
nen Sohn auf, um den Men&#x017F;chen dadurch noch weit &#x017F;ta&#x0364;r-<lb/>
ker &#x017F;einen Ab&#x017F;cheu an der Su&#x0364;nde und zugleich &#x017F;eine Liebe<lb/>
zu bewei&#x017F;en. Sollte ein tau&#x017F;endja&#x0364;hriges Reich oder irgend<lb/>
eine a&#x0364;hnliche Begebenheit zuku&#x0364;nftig &#x017F;eyn, wo &#x017F;ich ihnen<lb/>
Gott in großer Herlichkeit zeigte, &#x017F;o wu&#x0364;rde das &#x017F;ie viel-<lb/>
leicht noch &#x017F;ta&#x0364;rker ru&#x0364;hren.</p><lb/>
        <p>Es kommt mir itzt &#x017F;ehr tho&#x0364;richt vor, fuhr er fort,<lb/>
daß &#x017F;ich die Freygei&#x017F;ter an der niedrigen Ge&#x017F;talt Chri&#x017F;ti<lb/>
und der er&#x017F;ten Lehrer des Chri&#x017F;tenthums a&#x0364;rgern. Denn<lb/>
zu ge&#x017F;chweigen, daß in Beziehung auf Gott nichts klein<lb/>
oder groß i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t die&#x017F;e niedrige Ge&#x017F;talt zur Erreichung<lb/>
des Zwecks, den Chri&#x017F;tus hatte, etwas we&#x017F;entliches ge-<lb/>
we&#x017F;en. Wenn z. Ex. ein großer Herr ein Dorf voll Bauern<lb/>
in Per&#x017F;on reformiren wollte, &#x017F;o wu&#x0364;rde er nicht viel aus-<lb/>
richten, wenn er in aller &#x017F;einer Gro&#x0364;ße unter ihnen er-<lb/>
&#x017F;chiene. Sie wu&#x0364;rden ihn dann fu&#x0364;r ein We&#x017F;en von<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">einer</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0251] Verſtande nicht ſehen, ſondern es muͤſſen uns durch Un- terricht, durch Aufklaͤrung und Erweiterung der Begriffe neue und vollkommene Kenntniſſe von Gott mitgetheit werden. Das muß durch jemand geſchehen, der Gott voͤllig kennt, und zugleich ſich zu uns herabzulaſſen und ſich nach unſern Faͤhigkeiten zu richten weiß. Dieſer wird Chriſtus ſeyn. Er iſt Gott, und weiß alſo, was in Gott iſt. Er iſt Menſch, und kann alſo ſeinen Unterricht von Gott, den er uns geben wird, uns verſtaͤndlich machen. — Jch finde in der goͤttlichen Einrichtung zur Ver- ſoͤhnung und Verbeſſerung des menſchlichen Geſchlechts, ſagte er ferner, eine weiſe Gradation. Jm alten Teſta- ment hat Gott um die Menſchen auf ſeine Heiligkeit und Gerechtigkeit aufmerkſam zu machen, die Opfer angeord- net. Die Juden mußten etwas, das ihnen lieb war, hergeben, wenn ſie geſuͤndigt hatten, und das ſollte ihnen das Suͤndigen ſchwer machen. Nach und nach aber ver- gaßen ſie die Abſicht und blieben an dem Sinnlichen des Mittels haͤngen. Nun opferte Gott ſelbſt Chriſtum ſei- nen Sohn auf, um den Menſchen dadurch noch weit ſtaͤr- ker ſeinen Abſcheu an der Suͤnde und zugleich ſeine Liebe zu beweiſen. Sollte ein tauſendjaͤhriges Reich oder irgend eine aͤhnliche Begebenheit zukuͤnftig ſeyn, wo ſich ihnen Gott in großer Herlichkeit zeigte, ſo wuͤrde das ſie viel- leicht noch ſtaͤrker ruͤhren. Es kommt mir itzt ſehr thoͤricht vor, fuhr er fort, daß ſich die Freygeiſter an der niedrigen Geſtalt Chriſti und der erſten Lehrer des Chriſtenthums aͤrgern. Denn zu geſchweigen, daß in Beziehung auf Gott nichts klein oder groß iſt, ſo iſt dieſe niedrige Geſtalt zur Erreichung des Zwecks, den Chriſtus hatte, etwas weſentliches ge- weſen. Wenn z. Ex. ein großer Herr ein Dorf voll Bauern in Perſon reformiren wollte, ſo wuͤrde er nicht viel aus- richten, wenn er in aller ſeiner Groͤße unter ihnen er- ſchiene. Sie wuͤrden ihn dann fuͤr ein Weſen von einer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/251
Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/251>, abgerufen am 22.11.2024.