Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.solchen Einsamkeit und Entfernung von aller Gelegenheit zur Zerstreuung thun und in die Länge fortsetzen können? Und wenn das auch möglich gewesen wäre, so würde es mich doch nichts geholfen haben, denn die Ursache zur Furcht, zur Aengstlichkeit, wäre doch immer da geblieben, und würde mich oft genug aus meiner erkünstelten Betäu- bung zu mir selbst zurück gerufen haben. Jn den ersten Wochen meines Gefängnisses, ehe ich auf meinen Zustand aufmerksam geworden war, habe ich dieß Mittel der Be- ruhigung versucht. Jch lag oft drey und mehrere Stun- den an einander auf meinem Bette, machte in Gedanken Romanen, durchreiste die Welt, und meine Jmagination schuf mir tausend Bilder, die ich betrachtete und die mir die Zeit vertrieben. Aber ich glaubte damals noch allerley mögliche Fälle meiner Rettung vor mir zu sehen. Jch wußte noch nicht, ob und wie weit meine Verbrechen ent- deckt worden wären. Ein gewisser Umstand, mit welchem zugleich alle meine Hoffnung hinfallen mußte, war mir noch unbekannt. Und selbst damals wollte das Mittel der Zerstreuung doch nicht recht anschlagen. Wenn ich gleich einige Stunden verträumen könnte, so waren doch nach- her alle meine Schrecken und Aengstlichkeiten wieder da. Vielleicht wird man wollen, ich sollte nun stolz seyn, und durch mein Verhalten beweisen, daß mich doch nichts de- müthigen solle. Aber elender Stolz wenn man kein gut Gewissen hat und auf der Blutbühne sterben muß! -- Nein, ich befinde mich besser dabey, meinen Trost aus der einzigen wahren Quelle, aus der Religion herzuleiten, und ich wünsche allen denen, die mich tadeln mögen, daß ich zu ihr meine Zuflucht genommen habe, einst bey ihrem Tode eben die Ruhe, die sie mir giebt. Es ist nur eine Sache in der Welt, die mich Welt
ſolchen Einſamkeit und Entfernung von aller Gelegenheit zur Zerſtreuung thun und in die Laͤnge fortſetzen koͤnnen? Und wenn das auch moͤglich geweſen waͤre, ſo wuͤrde es mich doch nichts geholfen haben, denn die Urſache zur Furcht, zur Aengſtlichkeit, waͤre doch immer da geblieben, und wuͤrde mich oft genug aus meiner erkuͤnſtelten Betaͤu- bung zu mir ſelbſt zuruͤck gerufen haben. Jn den erſten Wochen meines Gefaͤngniſſes, ehe ich auf meinen Zuſtand aufmerkſam geworden war, habe ich dieß Mittel der Be- ruhigung verſucht. Jch lag oft drey und mehrere Stun- den an einander auf meinem Bette, machte in Gedanken Romanen, durchreiſte die Welt, und meine Jmagination ſchuf mir tauſend Bilder, die ich betrachtete und die mir die Zeit vertrieben. Aber ich glaubte damals noch allerley moͤgliche Faͤlle meiner Rettung vor mir zu ſehen. Jch wußte noch nicht, ob und wie weit meine Verbrechen ent- deckt worden waͤren. Ein gewiſſer Umſtand, mit welchem zugleich alle meine Hoffnung hinfallen mußte, war mir noch unbekannt. Und ſelbſt damals wollte das Mittel der Zerſtreuung doch nicht recht anſchlagen. Wenn ich gleich einige Stunden vertraͤumen koͤnnte, ſo waren doch nach- her alle meine Schrecken und Aengſtlichkeiten wieder da. Vielleicht wird man wollen, ich ſollte nun ſtolz ſeyn, und durch mein Verhalten beweiſen, daß mich doch nichts de- muͤthigen ſolle. Aber elender Stolz wenn man kein gut Gewiſſen hat und auf der Blutbuͤhne ſterben muß! — Nein, ich befinde mich beſſer dabey, meinen Troſt aus der einzigen wahren Quelle, aus der Religion herzuleiten, und ich wuͤnſche allen denen, die mich tadeln moͤgen, daß ich zu ihr meine Zuflucht genommen habe, einſt bey ihrem Tode eben die Ruhe, die ſie mir giebt. Es iſt nur eine Sache in der Welt, die mich Welt
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ſolchen Einſamkeit und Entfernung von aller Gelegenheit
zur Zerſtreuung thun und in die Laͤnge fortſetzen koͤnnen?
Und wenn das auch moͤglich geweſen waͤre, ſo wuͤrde es
mich doch nichts geholfen haben, denn die Urſache zur
Furcht, zur Aengſtlichkeit, waͤre doch immer da geblieben,
und wuͤrde mich oft genug aus meiner erkuͤnſtelten Betaͤu-
bung zu mir ſelbſt zuruͤck gerufen haben. Jn den erſten
Wochen meines Gefaͤngniſſes, ehe ich auf meinen Zuſtand
aufmerkſam geworden war, habe ich dieß Mittel der Be-
ruhigung verſucht. Jch lag oft drey und mehrere Stun-
den an einander auf meinem Bette, machte in Gedanken
Romanen, durchreiſte die Welt, und meine Jmagination
ſchuf mir tauſend Bilder, die ich betrachtete und die mir
die Zeit vertrieben. Aber ich glaubte damals noch allerley
moͤgliche Faͤlle meiner Rettung vor mir zu ſehen. Jch
wußte noch nicht, ob und wie weit meine Verbrechen ent-
deckt worden waͤren. Ein gewiſſer Umſtand, mit welchem
zugleich alle meine Hoffnung hinfallen mußte, war mir
noch unbekannt. Und ſelbſt damals wollte das Mittel der
Zerſtreuung doch nicht recht anſchlagen. Wenn ich gleich
einige Stunden vertraͤumen koͤnnte, ſo waren doch nach-
her alle meine Schrecken und Aengſtlichkeiten wieder da.
Vielleicht wird man wollen, ich ſollte nun ſtolz ſeyn, und
durch mein Verhalten beweiſen, daß mich doch nichts de-
muͤthigen ſolle. Aber elender Stolz wenn man kein gut
Gewiſſen hat und auf der Blutbuͤhne ſterben muß! —
Nein, ich befinde mich beſſer dabey, meinen Troſt aus
der einzigen wahren Quelle, aus der Religion herzuleiten,
und ich wuͤnſche allen denen, die mich tadeln moͤgen, daß
ich zu ihr meine Zuflucht genommen habe, einſt bey ihrem
Tode eben die Ruhe, die ſie mir giebt.
Es iſt nur eine Sache in der Welt, die mich
wuͤrklich und anhaltend beunruhigt, nemlich das Bewußt-
ſeyn, daß ich andre Menſchen zur Jrreligion und Laſter-
haftigkeit verleitet habe. Jch glaube, ich wuͤrde in jener
Welt
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