Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite


Jch habe an dem Grafen Struensee ein merk-
würdiges Exempel gesehen, wie sehr schwer es ist, sich
von falschen Meynungen loszumachen, die man aus
Liebe zur Sünde angenommen und lange mit Wohlgefal-
len ernährt hat. Er war nun nicht allein von der Falsch-
heit seines ehemaligen Grundsatzes, daß auf dieses Leben
kein anderes folge, völlig überzeugt; er hatte das Chri-
stenthum, welches ganz auf der Erwartung einer Ewig-
keit gegründet ist, nach sorgfältiger Prüfung seiner Be-
weise feyerlich angenommen; er haßte seinen vorigen
Gedanken, als die Quelle alles seines Unglücks, und
hatte keinen Trost und keine Hoffnung als in der Erwar-
tung einer bessern Zukunft: gleichwohl verfolgte ihn die
Jdee, es ist vielleicht keine Ewigkeit, noch immer, und
verließ ihn erst ganz einige Tage vor seinem Tode. Jch
wünschte, daß sein Beyspiel diejenigen warnen möchte,
die so sehr geneigt sind, jede noch so ungereimte Mey-
nung mit Freuden anzunehmen, wenn sie nur ihren Lü-
sten schmeichelt. Es kömmt mir noch zuweilen in den
Sinn, sagte er mit Unwillen und Bekümmerniß, wie,
wenn deine alte Jdee von der gänzlichen Aufhören unsrer
Existenz nach dem Tode doch noch wahr wäre? Mein
Trost dabey ist, daß ich mit Schrecken daran denke,
daß ich mir allemahl zugleich dieser Empfindung bewußt
bin: es wäre doch ewig Schade, wenn alle meine Wün-
sche und Hoffnungen vergeblich seyn sollten! Jch zittre,
wenn mir der unseelige Gedanke einfällt, und bewaffne
mich sogleich gegen ihn durch die Erinnerung an so viele
überzeugende Gründe, die ich nun für das Christenthum
und also auch für die Ewigkeit weiß. Jch bin fest ent-
schlossen, die Regel, nach der ich mir sonst vorgenom-
men hatte mich zu verhalten, wenn ich einmahl sterben
sollte, nach meiner itzigen Ueberzeugung zu bestimmen
und zu befolgen. Mein Vorsatz war nemlich dieser, bey
der Annäherung des Todes so zu denken: Du hast ja

deine
H 3


Jch habe an dem Grafen Struenſee ein merk-
wuͤrdiges Exempel geſehen, wie ſehr ſchwer es iſt, ſich
von falſchen Meynungen loszumachen, die man aus
Liebe zur Suͤnde angenommen und lange mit Wohlgefal-
len ernaͤhrt hat. Er war nun nicht allein von der Falſch-
heit ſeines ehemaligen Grundſatzes, daß auf dieſes Leben
kein anderes folge, voͤllig uͤberzeugt; er hatte das Chri-
ſtenthum, welches ganz auf der Erwartung einer Ewig-
keit gegruͤndet iſt, nach ſorgfaͤltiger Pruͤfung ſeiner Be-
weiſe feyerlich angenommen; er haßte ſeinen vorigen
Gedanken, als die Quelle alles ſeines Ungluͤcks, und
hatte keinen Troſt und keine Hoffnung als in der Erwar-
tung einer beſſern Zukunft: gleichwohl verfolgte ihn die
Jdee, es iſt vielleicht keine Ewigkeit, noch immer, und
verließ ihn erſt ganz einige Tage vor ſeinem Tode. Jch
wuͤnſchte, daß ſein Beyſpiel diejenigen warnen moͤchte,
die ſo ſehr geneigt ſind, jede noch ſo ungereimte Mey-
nung mit Freuden anzunehmen, wenn ſie nur ihren Luͤ-
ſten ſchmeichelt. Es koͤmmt mir noch zuweilen in den
Sinn, ſagte er mit Unwillen und Bekuͤmmerniß, wie,
wenn deine alte Jdee von der gaͤnzlichen Aufhoͤren unſrer
Exiſtenz nach dem Tode doch noch wahr waͤre? Mein
Troſt dabey iſt, daß ich mit Schrecken daran denke,
daß ich mir allemahl zugleich dieſer Empfindung bewußt
bin: es waͤre doch ewig Schade, wenn alle meine Wuͤn-
ſche und Hoffnungen vergeblich ſeyn ſollten! Jch zittre,
wenn mir der unſeelige Gedanke einfaͤllt, und bewaffne
mich ſogleich gegen ihn durch die Erinnerung an ſo viele
uͤberzeugende Gruͤnde, die ich nun fuͤr das Chriſtenthum
und alſo auch fuͤr die Ewigkeit weiß. Jch bin feſt ent-
ſchloſſen, die Regel, nach der ich mir ſonſt vorgenom-
men hatte mich zu verhalten, wenn ich einmahl ſterben
ſollte, nach meiner itzigen Ueberzeugung zu beſtimmen
und zu befolgen. Mein Vorſatz war nemlich dieſer, bey
der Annaͤherung des Todes ſo zu denken: Du haſt ja

deine
H 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0129" n="117"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Jch habe an dem Grafen Struen&#x017F;ee ein merk-<lb/>
wu&#x0364;rdiges Exempel ge&#x017F;ehen, wie &#x017F;ehr &#x017F;chwer es i&#x017F;t, &#x017F;ich<lb/>
von fal&#x017F;chen Meynungen loszumachen, die man aus<lb/>
Liebe zur Su&#x0364;nde angenommen und lange mit Wohlgefal-<lb/>
len erna&#x0364;hrt hat. Er war nun nicht allein von der Fal&#x017F;ch-<lb/>
heit &#x017F;eines ehemaligen Grund&#x017F;atzes, daß auf die&#x017F;es Leben<lb/>
kein anderes folge, vo&#x0364;llig u&#x0364;berzeugt; er hatte das Chri-<lb/>
&#x017F;tenthum, welches ganz auf der Erwartung einer Ewig-<lb/>
keit gegru&#x0364;ndet i&#x017F;t, nach &#x017F;orgfa&#x0364;ltiger Pru&#x0364;fung &#x017F;einer Be-<lb/>
wei&#x017F;e feyerlich angenommen; er haßte &#x017F;einen vorigen<lb/>
Gedanken, als die Quelle alles &#x017F;eines Unglu&#x0364;cks, und<lb/>
hatte keinen Tro&#x017F;t und keine Hoffnung als in der Erwar-<lb/>
tung einer be&#x017F;&#x017F;ern Zukunft: gleichwohl verfolgte ihn die<lb/>
Jdee, es i&#x017F;t vielleicht keine Ewigkeit, noch immer, und<lb/>
verließ ihn er&#x017F;t ganz einige Tage vor &#x017F;einem Tode. Jch<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chte, daß &#x017F;ein Bey&#x017F;piel diejenigen warnen mo&#x0364;chte,<lb/>
die &#x017F;o &#x017F;ehr geneigt &#x017F;ind, jede noch &#x017F;o ungereimte Mey-<lb/>
nung mit Freuden anzunehmen, wenn &#x017F;ie nur ihren Lu&#x0364;-<lb/>
&#x017F;ten &#x017F;chmeichelt. Es ko&#x0364;mmt mir noch zuweilen in den<lb/>
Sinn, &#x017F;agte er mit Unwillen und Beku&#x0364;mmerniß, wie,<lb/>
wenn deine alte Jdee von der ga&#x0364;nzlichen Aufho&#x0364;ren un&#x017F;rer<lb/>
Exi&#x017F;tenz nach dem Tode doch noch wahr wa&#x0364;re? Mein<lb/>
Tro&#x017F;t dabey i&#x017F;t, daß ich mit Schrecken daran denke,<lb/>
daß ich mir allemahl zugleich die&#x017F;er Empfindung bewußt<lb/>
bin: es wa&#x0364;re doch ewig Schade, wenn alle meine Wu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;che und Hoffnungen vergeblich &#x017F;eyn &#x017F;ollten! Jch zittre,<lb/>
wenn mir der un&#x017F;eelige Gedanke einfa&#x0364;llt, und bewaffne<lb/>
mich &#x017F;ogleich gegen ihn durch die Erinnerung an &#x017F;o viele<lb/>
u&#x0364;berzeugende Gru&#x0364;nde, die ich nun fu&#x0364;r das Chri&#x017F;tenthum<lb/>
und al&#x017F;o auch fu&#x0364;r die Ewigkeit weiß. Jch bin fe&#x017F;t ent-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, die Regel, nach der ich mir &#x017F;on&#x017F;t vorgenom-<lb/>
men hatte mich zu verhalten, wenn ich einmahl &#x017F;terben<lb/>
&#x017F;ollte, nach meiner itzigen Ueberzeugung zu be&#x017F;timmen<lb/>
und zu befolgen. Mein Vor&#x017F;atz war nemlich die&#x017F;er, bey<lb/>
der Anna&#x0364;herung des Todes &#x017F;o zu denken: Du ha&#x017F;t ja<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 3</fw><fw place="bottom" type="catch">deine</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0129] Jch habe an dem Grafen Struenſee ein merk- wuͤrdiges Exempel geſehen, wie ſehr ſchwer es iſt, ſich von falſchen Meynungen loszumachen, die man aus Liebe zur Suͤnde angenommen und lange mit Wohlgefal- len ernaͤhrt hat. Er war nun nicht allein von der Falſch- heit ſeines ehemaligen Grundſatzes, daß auf dieſes Leben kein anderes folge, voͤllig uͤberzeugt; er hatte das Chri- ſtenthum, welches ganz auf der Erwartung einer Ewig- keit gegruͤndet iſt, nach ſorgfaͤltiger Pruͤfung ſeiner Be- weiſe feyerlich angenommen; er haßte ſeinen vorigen Gedanken, als die Quelle alles ſeines Ungluͤcks, und hatte keinen Troſt und keine Hoffnung als in der Erwar- tung einer beſſern Zukunft: gleichwohl verfolgte ihn die Jdee, es iſt vielleicht keine Ewigkeit, noch immer, und verließ ihn erſt ganz einige Tage vor ſeinem Tode. Jch wuͤnſchte, daß ſein Beyſpiel diejenigen warnen moͤchte, die ſo ſehr geneigt ſind, jede noch ſo ungereimte Mey- nung mit Freuden anzunehmen, wenn ſie nur ihren Luͤ- ſten ſchmeichelt. Es koͤmmt mir noch zuweilen in den Sinn, ſagte er mit Unwillen und Bekuͤmmerniß, wie, wenn deine alte Jdee von der gaͤnzlichen Aufhoͤren unſrer Exiſtenz nach dem Tode doch noch wahr waͤre? Mein Troſt dabey iſt, daß ich mit Schrecken daran denke, daß ich mir allemahl zugleich dieſer Empfindung bewußt bin: es waͤre doch ewig Schade, wenn alle meine Wuͤn- ſche und Hoffnungen vergeblich ſeyn ſollten! Jch zittre, wenn mir der unſeelige Gedanke einfaͤllt, und bewaffne mich ſogleich gegen ihn durch die Erinnerung an ſo viele uͤberzeugende Gruͤnde, die ich nun fuͤr das Chriſtenthum und alſo auch fuͤr die Ewigkeit weiß. Jch bin feſt ent- ſchloſſen, die Regel, nach der ich mir ſonſt vorgenom- men hatte mich zu verhalten, wenn ich einmahl ſterben ſollte, nach meiner itzigen Ueberzeugung zu beſtimmen und zu befolgen. Mein Vorſatz war nemlich dieſer, bey der Annaͤherung des Todes ſo zu denken: Du haſt ja deine H 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/129
Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/129>, abgerufen am 02.05.2024.