Es würde schwer seyn, von dem Worte Feu- dalismus, wie dasselbe in dem Munde des großen Haufens von Europa in den letzten zwan- zig Jahren cursirt hat, eine genügende und voll- ständige Erklärung zu geben; die eigentlichen Lehns-Verhältnisse und Gesetze sind nur der klein- ste Theil von den politischen Einrichtungen des Mittelalters, welche mit jenem so allgemein ver- haßten und doch so unbestimmten Nahmen be- zeichnet werden. Der Geburtsadel zuvörderst, welcher mit der Lehnsverfassung freilich in man- nichfaltigen Beziehungen steht, aber auch sehr wohl ganz unabhängig von ihr gedacht werden und existiren kann, alle Erbunterthänigkeitsver- hältnisse, alles unvollständige und gemischte Eigen- thum, alle Corporationen im Staate, wie in den Städten, Zünfte, Innungen, ferner alle
Vierzehnte Vorleſung.
Von dem Weſen des Feudalismus.
Es wuͤrde ſchwer ſeyn, von dem Worte Feu- dalismus, wie daſſelbe in dem Munde des großen Haufens von Europa in den letzten zwan- zig Jahren curſirt hat, eine genuͤgende und voll- ſtaͤndige Erklaͤrung zu geben; die eigentlichen Lehns-Verhaͤltniſſe und Geſetze ſind nur der klein- ſte Theil von den politiſchen Einrichtungen des Mittelalters, welche mit jenem ſo allgemein ver- haßten und doch ſo unbeſtimmten Nahmen be- zeichnet werden. Der Geburtsadel zuvoͤrderſt, welcher mit der Lehnsverfaſſung freilich in man- nichfaltigen Beziehungen ſteht, aber auch ſehr wohl ganz unabhaͤngig von ihr gedacht werden und exiſtiren kann, alle Erbunterthaͤnigkeitsver- haͤltniſſe, alles unvollſtaͤndige und gemiſchte Eigen- thum, alle Corporationen im Staate, wie in den Staͤdten, Zuͤnfte, Innungen, ferner alle
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0080"n="72"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><head><hirendition="#b">Vierzehnte Vorleſung.</hi></head><lb/><argument><p><hirendition="#c"><hirendition="#g">Von dem Weſen des Feudalismus</hi>.</hi></p></argument><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">E</hi>s wuͤrde ſchwer ſeyn, von dem Worte <hirendition="#g">Feu-<lb/>
dalismus</hi>, wie daſſelbe in dem Munde des<lb/>
großen Haufens von Europa in den letzten zwan-<lb/>
zig Jahren curſirt hat, eine genuͤgende und voll-<lb/>ſtaͤndige Erklaͤrung zu geben; die eigentlichen<lb/>
Lehns-Verhaͤltniſſe und Geſetze ſind nur der klein-<lb/>ſte Theil von den politiſchen Einrichtungen des<lb/>
Mittelalters, welche mit jenem ſo allgemein ver-<lb/>
haßten und doch ſo unbeſtimmten Nahmen be-<lb/>
zeichnet werden. Der Geburtsadel zuvoͤrderſt,<lb/>
welcher mit der Lehnsverfaſſung freilich in man-<lb/>
nichfaltigen Beziehungen ſteht, aber auch ſehr<lb/>
wohl ganz unabhaͤngig von ihr gedacht werden<lb/>
und exiſtiren kann, alle Erbunterthaͤnigkeitsver-<lb/>
haͤltniſſe, alles unvollſtaͤndige und gemiſchte Eigen-<lb/>
thum, alle Corporationen im Staate, wie in<lb/>
den Staͤdten, Zuͤnfte, Innungen, ferner alle<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[72/0080]
Vierzehnte Vorleſung.
Von dem Weſen des Feudalismus.
Es wuͤrde ſchwer ſeyn, von dem Worte Feu-
dalismus, wie daſſelbe in dem Munde des
großen Haufens von Europa in den letzten zwan-
zig Jahren curſirt hat, eine genuͤgende und voll-
ſtaͤndige Erklaͤrung zu geben; die eigentlichen
Lehns-Verhaͤltniſſe und Geſetze ſind nur der klein-
ſte Theil von den politiſchen Einrichtungen des
Mittelalters, welche mit jenem ſo allgemein ver-
haßten und doch ſo unbeſtimmten Nahmen be-
zeichnet werden. Der Geburtsadel zuvoͤrderſt,
welcher mit der Lehnsverfaſſung freilich in man-
nichfaltigen Beziehungen ſteht, aber auch ſehr
wohl ganz unabhaͤngig von ihr gedacht werden
und exiſtiren kann, alle Erbunterthaͤnigkeitsver-
haͤltniſſe, alles unvollſtaͤndige und gemiſchte Eigen-
thum, alle Corporationen im Staate, wie in
den Staͤdten, Zuͤnfte, Innungen, ferner alle
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/80>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.