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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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tien, Tribunen, noch deutlicher vor dem Volke
hingeschrieben werden; nie konnte er die persön-
liche Beziehung auf die Römer gewinnen, wie
der Gedanke "Jehova" auf die Juden; er blieb,
wie er auch die schöneren Gemüther begeistern
mochte, dem Volke eine Sache, ein wichtiger
Begriff.

Dieses nun bleibt der Grundcharakter der Rö-
mischen Gesetzgebung durch die ganze Folge der
Zeiten, auch selbst da noch, als der Gedanke der
Freiheit durch die Imperatoren abgelös't wurde,
und den edleren Naturen, solchen wie dem Taci-
tus, nichts übrig blieb, als die Anbetung alter
Römischer Heldenzeiten. Der sächliche Theil des
Civil-Rechtes ward bis zur höchsten Vollendung
ausgebildet; Köpfe vom ersten Range wendeten
allen Scharfsinn und alle Erfahrungen ihres Le-
bens auf die Politur und Structur dieses unvoll-
ständigen und doch wunderbar consequenten Sy-
stems; und so ist es in hohem Grade lehrreich
für den zerlegenden Verstand -- lehrreich, scharf,
und unvollständig, wie die Elemente d[e]s Euklides
-- auf unsre Zeiten herabgekommen, hat unsäg-
liches Unheil angerichtet in der schon allzu sehr
auf die Seite des Besitzes und der Sachen hin-
hangenden Welt, hat eben mit seiner einseitigen
Consequenz alles Gemüth, alle Persönlichkeit,

tien, Tribunen, noch deutlicher vor dem Volke
hingeſchrieben werden; nie konnte er die perſoͤn-
liche Beziehung auf die Roͤmer gewinnen, wie
der Gedanke „Jehova” auf die Juden; er blieb,
wie er auch die ſchoͤneren Gemuͤther begeiſtern
mochte, dem Volke eine Sache, ein wichtiger
Begriff.

Dieſes nun bleibt der Grundcharakter der Roͤ-
miſchen Geſetzgebung durch die ganze Folge der
Zeiten, auch ſelbſt da noch, als der Gedanke der
Freiheit durch die Imperatoren abgeloͤſ’t wurde,
und den edleren Naturen, ſolchen wie dem Taci-
tus, nichts uͤbrig blieb, als die Anbetung alter
Roͤmiſcher Heldenzeiten. Der ſaͤchliche Theil des
Civil-Rechtes ward bis zur hoͤchſten Vollendung
ausgebildet; Koͤpfe vom erſten Range wendeten
allen Scharfſinn und alle Erfahrungen ihres Le-
bens auf die Politur und Structur dieſes unvoll-
ſtaͤndigen und doch wunderbar conſequenten Sy-
ſtems; und ſo iſt es in hohem Grade lehrreich
fuͤr den zerlegenden Verſtand — lehrreich, ſcharf,
und unvollſtaͤndig, wie die Elemente d[e]s Euklides
— auf unſre Zeiten herabgekommen, hat unſaͤg-
liches Unheil angerichtet in der ſchon allzu ſehr
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[54/0062] tien, Tribunen, noch deutlicher vor dem Volke hingeſchrieben werden; nie konnte er die perſoͤn- liche Beziehung auf die Roͤmer gewinnen, wie der Gedanke „Jehova” auf die Juden; er blieb, wie er auch die ſchoͤneren Gemuͤther begeiſtern mochte, dem Volke eine Sache, ein wichtiger Begriff. Dieſes nun bleibt der Grundcharakter der Roͤ- miſchen Geſetzgebung durch die ganze Folge der Zeiten, auch ſelbſt da noch, als der Gedanke der Freiheit durch die Imperatoren abgeloͤſ’t wurde, und den edleren Naturen, ſolchen wie dem Taci- tus, nichts uͤbrig blieb, als die Anbetung alter Roͤmiſcher Heldenzeiten. Der ſaͤchliche Theil des Civil-Rechtes ward bis zur hoͤchſten Vollendung ausgebildet; Koͤpfe vom erſten Range wendeten allen Scharfſinn und alle Erfahrungen ihres Le- bens auf die Politur und Structur dieſes unvoll- ſtaͤndigen und doch wunderbar conſequenten Sy- ſtems; und ſo iſt es in hohem Grade lehrreich fuͤr den zerlegenden Verſtand — lehrreich, ſcharf, und unvollſtaͤndig, wie die Elemente des Euklides — auf unſre Zeiten herabgekommen, hat unſaͤg- liches Unheil angerichtet in der ſchon allzu ſehr auf die Seite des Beſitzes und der Sachen hin- hangenden Welt, hat eben mit ſeiner einſeitigen Conſequenz alles Gemuͤth, alle Perſoͤnlichkeit,

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/62>, abgerufen am 23.11.2024.