Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

zuschließen. -- Aber, aus unserem Standpunkte
angesehen, ist es gar nicht eine Frage der ge-
meinen Politik; vielmehr ist das Bestehen oder
die wahre geistige Wiederherstellung dieses Stan-
des die Bedingung für die Existenz Europäischer
Staaten. Die Wesentlichkeiten derselben hat
man nie eingesehen; sonst würde man nicht in
den tollen Wahn verfallen seyn, als könne
man der Bedingung aller Europäischen Staats-
verfassung, nehmlich der Standesunterschiede,
entbehren, und dennoch das Beiwesen dieser Ver-
fassungen, und die ihnen nachher untergelegten
Nebenzwecke, als da sind gemeine persönliche
Sicherheit, und Fortschritte in der Industrie
und den Künsten, erhalten. Diese, die Folgen
von jenem glücklichen Balanciren der Stände,
werden jetzt zu den Hauptzwecken des Staates
gemacht; also ist es klar, daß, in so fern solche
Staatsansichten wirklich um sich gegriffen haben,
die Europäischen Staaten schon aus ihren An-
geln gehoben, daß ihnen durch eine verderbte
und unverständige Wissenschaft Verfassungen, Le-
benszwecke und Einrichtungen aufgedrungen sind,
die ihrer Erziehung, Natur und ursprünglichen
Form durchaus widersprechen, also nur dazu
dienen können, sie zu zerstören.

Als die kirchliche Reformation ausbrach, war

zuſchließen. — Aber, aus unſerem Standpunkte
angeſehen, iſt es gar nicht eine Frage der ge-
meinen Politik; vielmehr iſt das Beſtehen oder
die wahre geiſtige Wiederherſtellung dieſes Stan-
des die Bedingung fuͤr die Exiſtenz Europaͤiſcher
Staaten. Die Weſentlichkeiten derſelben hat
man nie eingeſehen; ſonſt wuͤrde man nicht in
den tollen Wahn verfallen ſeyn, als koͤnne
man der Bedingung aller Europaͤiſchen Staats-
verfaſſung, nehmlich der Standesunterſchiede,
entbehren, und dennoch das Beiweſen dieſer Ver-
faſſungen, und die ihnen nachher untergelegten
Nebenzwecke, als da ſind gemeine perſoͤnliche
Sicherheit, und Fortſchritte in der Induſtrie
und den Kuͤnſten, erhalten. Dieſe, die Folgen
von jenem gluͤcklichen Balanciren der Staͤnde,
werden jetzt zu den Hauptzwecken des Staates
gemacht; alſo iſt es klar, daß, in ſo fern ſolche
Staatsanſichten wirklich um ſich gegriffen haben,
die Europaͤiſchen Staaten ſchon aus ihren An-
geln gehoben, daß ihnen durch eine verderbte
und unverſtaͤndige Wiſſenſchaft Verfaſſungen, Le-
benszwecke und Einrichtungen aufgedrungen ſind,
die ihrer Erziehung, Natur und urſpruͤnglichen
Form durchaus widerſprechen, alſo nur dazu
dienen koͤnnen, ſie zu zerſtoͤren.

Als die kirchliche Reformation ausbrach, war

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0116" n="108"/>
zu&#x017F;chließen. &#x2014; Aber, aus un&#x017F;erem Standpunkte<lb/>
ange&#x017F;ehen, i&#x017F;t es gar nicht eine Frage der ge-<lb/>
meinen Politik; vielmehr i&#x017F;t das Be&#x017F;tehen oder<lb/>
die wahre gei&#x017F;tige Wiederher&#x017F;tellung die&#x017F;es Stan-<lb/>
des die Bedingung fu&#x0364;r die Exi&#x017F;tenz Europa&#x0364;i&#x017F;cher<lb/>
Staaten. Die We&#x017F;entlichkeiten der&#x017F;elben hat<lb/>
man nie einge&#x017F;ehen; &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rde man nicht in<lb/>
den tollen Wahn verfallen &#x017F;eyn, als ko&#x0364;nne<lb/>
man der Bedingung aller Europa&#x0364;i&#x017F;chen Staats-<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ung, nehmlich der Standesunter&#x017F;chiede,<lb/>
entbehren, und dennoch das Beiwe&#x017F;en die&#x017F;er Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ungen, und die ihnen nachher untergelegten<lb/>
Nebenzwecke, als da &#x017F;ind gemeine per&#x017F;o&#x0364;nliche<lb/>
Sicherheit, und Fort&#x017F;chritte in der Indu&#x017F;trie<lb/>
und den Ku&#x0364;n&#x017F;ten, erhalten. Die&#x017F;e, die Folgen<lb/>
von jenem glu&#x0364;cklichen Balanciren der Sta&#x0364;nde,<lb/>
werden jetzt zu den Hauptzwecken des Staates<lb/>
gemacht; al&#x017F;o i&#x017F;t es klar, daß, in &#x017F;o fern &#x017F;olche<lb/>
Staatsan&#x017F;ichten wirklich um &#x017F;ich gegriffen haben,<lb/>
die Europa&#x0364;i&#x017F;chen Staaten &#x017F;chon aus ihren An-<lb/>
geln gehoben, daß ihnen durch eine verderbte<lb/>
und unver&#x017F;ta&#x0364;ndige Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft Verfa&#x017F;&#x017F;ungen, Le-<lb/>
benszwecke und Einrichtungen aufgedrungen &#x017F;ind,<lb/>
die ihrer Erziehung, Natur und ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen<lb/>
Form durchaus wider&#x017F;prechen, al&#x017F;o nur dazu<lb/>
dienen ko&#x0364;nnen, &#x017F;ie zu zer&#x017F;to&#x0364;ren.</p><lb/>
            <p>Als die kirchliche Reformation ausbrach, war<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0116] zuſchließen. — Aber, aus unſerem Standpunkte angeſehen, iſt es gar nicht eine Frage der ge- meinen Politik; vielmehr iſt das Beſtehen oder die wahre geiſtige Wiederherſtellung dieſes Stan- des die Bedingung fuͤr die Exiſtenz Europaͤiſcher Staaten. Die Weſentlichkeiten derſelben hat man nie eingeſehen; ſonſt wuͤrde man nicht in den tollen Wahn verfallen ſeyn, als koͤnne man der Bedingung aller Europaͤiſchen Staats- verfaſſung, nehmlich der Standesunterſchiede, entbehren, und dennoch das Beiweſen dieſer Ver- faſſungen, und die ihnen nachher untergelegten Nebenzwecke, als da ſind gemeine perſoͤnliche Sicherheit, und Fortſchritte in der Induſtrie und den Kuͤnſten, erhalten. Dieſe, die Folgen von jenem gluͤcklichen Balanciren der Staͤnde, werden jetzt zu den Hauptzwecken des Staates gemacht; alſo iſt es klar, daß, in ſo fern ſolche Staatsanſichten wirklich um ſich gegriffen haben, die Europaͤiſchen Staaten ſchon aus ihren An- geln gehoben, daß ihnen durch eine verderbte und unverſtaͤndige Wiſſenſchaft Verfaſſungen, Le- benszwecke und Einrichtungen aufgedrungen ſind, die ihrer Erziehung, Natur und urſpruͤnglichen Form durchaus widerſprechen, alſo nur dazu dienen koͤnnen, ſie zu zerſtoͤren. Als die kirchliche Reformation ausbrach, war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/116
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/116>, abgerufen am 23.11.2024.