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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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keit, das Errichten eines Staates wie eine Sache
des Handgriffs und der Routine getrieben.

3) Gab es eine Zeit, und einen Ort, wo
Menschen lebten, und diese Erfindung nicht ge-
macht war, oder doch nicht angewendet wurde:
so ist die Chimäre eines Naturrechtes, an
welches von allen positiven Gesetzen appellirt
werden könne, so ungegründet nicht; -- so giebt
es, außer allen Staaten, wirklich einen noth-
wendigen Zustand der Gesellschaft, der, weil
ihn die reine Natur errichtet hat, harmonischer
und zweckmäßiger seyn muß, als alles Willkühr-
liche und Künstliche, -- an den beständig zu
appelliren die heiligste Verpflichtung des recht-
lichen Menschen seyn würde. Die Chimäre des
Naturrechtes, welche vor funfzehn bis zwanzig
Jahren alle großen Köpfe in Europa beschäftigte,
ist bloß deshalb in die Welt gekommen, weil
man die Idee des Staates nie groß und über-
schwenglich genug aufgefaßt hatte. Da man die
Idee des Rechtes, oder der Einheit in allen
menschlichen Geschäften, nie über die ganze Erde
auszudehnen wußte, so blieb außerhalb noch im-
mer einiger unerklärlicher Raum, eine Art von
Vacuum; und so fand sich denn hier wirklich
eine Archimedische Stelle, von wo aus man auf
eine Weile viele Europäische Staaten aus ihren

keit, das Errichten eines Staates wie eine Sache
des Handgriffs und der Routine getrieben.

3) Gab es eine Zeit, und einen Ort, wo
Menſchen lebten, und dieſe Erfindung nicht ge-
macht war, oder doch nicht angewendet wurde:
ſo iſt die Chimaͤre eines Naturrechtes, an
welches von allen poſitiven Geſetzen appellirt
werden koͤnne, ſo ungegruͤndet nicht; — ſo giebt
es, außer allen Staaten, wirklich einen noth-
wendigen Zuſtand der Geſellſchaft, der, weil
ihn die reine Natur errichtet hat, harmoniſcher
und zweckmaͤßiger ſeyn muß, als alles Willkuͤhr-
liche und Kuͤnſtliche, — an den beſtaͤndig zu
appelliren die heiligſte Verpflichtung des recht-
lichen Menſchen ſeyn wuͤrde. Die Chimaͤre des
Naturrechtes, welche vor funfzehn bis zwanzig
Jahren alle großen Koͤpfe in Europa beſchaͤftigte,
iſt bloß deshalb in die Welt gekommen, weil
man die Idee des Staates nie groß und uͤber-
ſchwenglich genug aufgefaßt hatte. Da man die
Idee des Rechtes, oder der Einheit in allen
menſchlichen Geſchaͤften, nie uͤber die ganze Erde
auszudehnen wußte, ſo blieb außerhalb noch im-
mer einiger unerklaͤrlicher Raum, eine Art von
Vacuum; und ſo fand ſich denn hier wirklich
eine Archimediſche Stelle, von wo aus man auf
eine Weile viele Europaͤiſche Staaten aus ihren

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[55/0089] keit, das Errichten eines Staates wie eine Sache des Handgriffs und der Routine getrieben. 3) Gab es eine Zeit, und einen Ort, wo Menſchen lebten, und dieſe Erfindung nicht ge- macht war, oder doch nicht angewendet wurde: ſo iſt die Chimaͤre eines Naturrechtes, an welches von allen poſitiven Geſetzen appellirt werden koͤnne, ſo ungegruͤndet nicht; — ſo giebt es, außer allen Staaten, wirklich einen noth- wendigen Zuſtand der Geſellſchaft, der, weil ihn die reine Natur errichtet hat, harmoniſcher und zweckmaͤßiger ſeyn muß, als alles Willkuͤhr- liche und Kuͤnſtliche, — an den beſtaͤndig zu appelliren die heiligſte Verpflichtung des recht- lichen Menſchen ſeyn wuͤrde. Die Chimaͤre des Naturrechtes, welche vor funfzehn bis zwanzig Jahren alle großen Koͤpfe in Europa beſchaͤftigte, iſt bloß deshalb in die Welt gekommen, weil man die Idee des Staates nie groß und uͤber- ſchwenglich genug aufgefaßt hatte. Da man die Idee des Rechtes, oder der Einheit in allen menſchlichen Geſchaͤften, nie uͤber die ganze Erde auszudehnen wußte, ſo blieb außerhalb noch im- mer einiger unerklaͤrlicher Raum, eine Art von Vacuum; und ſo fand ſich denn hier wirklich eine Archimediſche Stelle, von wo aus man auf eine Weile viele Europaͤiſche Staaten aus ihren

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/89>, abgerufen am 22.11.2024.