Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

dulden, sondern gut heißen und befördern! Das
ist schlimmer, als Staat im Staate; das ist Anar-
chie der Geister, mitten im gesetzlichen Verein.

Die christliche Religion war Religion der
Kraft und der Resignation, der Adel auf ritter-
liche Tugend, Einigkeit und Aufopferung gegrün-
det: alle diese Institute, auch in der größten
Entartung, konnten noch gewonnen werden für
die Angelegenheit des Gemeinwesens, und ihr
dienen -- eben weil sie Corporationen, und das
Zusammenhalten, das Concentriren der Kräfte
ihr oberster Grundsatz war. Aber wie verhält
sich zu unsern Staaten die von dem Staate und
von der Theorie legalisirte und doctrinalisirte
Zersplitterung, Entfremdung und Auswärtigkeit
der Geister!

Die Physiokraten behaupteten, der Kauf-
mannsstand sey in allen Europäischen Staaten
eigentlich hors de la loi, hors de l'interet
commun,
besonders die mit dem auswärtigen
Handel beschäftigte Kaufmannsschaft, weil es
ihr Grundsatz seyn müsse, Freund und Feind in
seinem Reichthume zu verkürzen. Diese, wie sich
an einem andern Orte zeigen wird, durchaus
falsche und einseitige Behauptung paßt auf keinen
Stand ins Besondre, desto besser aber auf den
edleren geistigen Theil aller Individuen. -- Hat

nicht

dulden, ſondern gut heißen und befoͤrdern! Das
iſt ſchlimmer, als Staat im Staate; das iſt Anar-
chie der Geiſter, mitten im geſetzlichen Verein.

Die chriſtliche Religion war Religion der
Kraft und der Reſignation, der Adel auf ritter-
liche Tugend, Einigkeit und Aufopferung gegruͤn-
det: alle dieſe Inſtitute, auch in der groͤßten
Entartung, konnten noch gewonnen werden fuͤr
die Angelegenheit des Gemeinweſens, und ihr
dienen — eben weil ſie Corporationen, und das
Zuſammenhalten, das Concentriren der Kraͤfte
ihr oberſter Grundſatz war. Aber wie verhaͤlt
ſich zu unſern Staaten die von dem Staate und
von der Theorie legaliſirte und doctrinaliſirte
Zerſplitterung, Entfremdung und Auswaͤrtigkeit
der Geiſter!

Die Phyſiokraten behaupteten, der Kauf-
mannsſtand ſey in allen Europaͤiſchen Staaten
eigentlich hors de la loi, hors de l’intérêt
commun,
beſonders die mit dem auswaͤrtigen
Handel beſchaͤftigte Kaufmannsſchaft, weil es
ihr Grundſatz ſeyn muͤſſe, Freund und Feind in
ſeinem Reichthume zu verkuͤrzen. Dieſe, wie ſich
an einem andern Orte zeigen wird, durchaus
falſche und einſeitige Behauptung paßt auf keinen
Stand ins Beſondre, deſto beſſer aber auf den
edleren geiſtigen Theil aller Individuen. — Hat

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0082" n="48"/>
dulden, &#x017F;ondern gut heißen und befo&#x0364;rdern! Das<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;chlimmer, als Staat im Staate; das i&#x017F;t Anar-<lb/>
chie der Gei&#x017F;ter, mitten im ge&#x017F;etzlichen Verein.</p><lb/>
            <p>Die chri&#x017F;tliche Religion war Religion der<lb/>
Kraft und der Re&#x017F;ignation, der Adel auf ritter-<lb/>
liche Tugend, Einigkeit und Aufopferung gegru&#x0364;n-<lb/>
det: alle die&#x017F;e In&#x017F;titute, auch in der gro&#x0364;ßten<lb/>
Entartung, konnten noch gewonnen werden fu&#x0364;r<lb/>
die Angelegenheit des Gemeinwe&#x017F;ens, und ihr<lb/>
dienen &#x2014; eben weil &#x017F;ie Corporationen, und das<lb/>
Zu&#x017F;ammenhalten, das Concentriren der Kra&#x0364;fte<lb/>
ihr ober&#x017F;ter Grund&#x017F;atz war. Aber wie verha&#x0364;lt<lb/>
&#x017F;ich zu un&#x017F;ern Staaten die von dem Staate und<lb/>
von der Theorie legali&#x017F;irte und doctrinali&#x017F;irte<lb/>
Zer&#x017F;plitterung, Entfremdung und Auswa&#x0364;rtigkeit<lb/>
der <hi rendition="#g">Gei&#x017F;ter</hi>!</p><lb/>
            <p>Die Phy&#x017F;iokraten behaupteten, der Kauf-<lb/>
manns&#x017F;tand &#x017F;ey in allen Europa&#x0364;i&#x017F;chen Staaten<lb/>
eigentlich <hi rendition="#aq">hors de la loi, hors de l&#x2019;intérêt<lb/>
commun,</hi> be&#x017F;onders die mit dem auswa&#x0364;rtigen<lb/>
Handel be&#x017F;cha&#x0364;ftigte Kaufmanns&#x017F;chaft, weil es<lb/>
ihr Grund&#x017F;atz &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, Freund und Feind in<lb/>
&#x017F;einem Reichthume zu verku&#x0364;rzen. Die&#x017F;e, wie &#x017F;ich<lb/>
an einem andern Orte zeigen wird, durchaus<lb/>
fal&#x017F;che und ein&#x017F;eitige Behauptung paßt auf keinen<lb/>
Stand ins Be&#x017F;ondre, de&#x017F;to be&#x017F;&#x017F;er aber auf den<lb/>
edleren gei&#x017F;tigen Theil aller Individuen. &#x2014; Hat<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0082] dulden, ſondern gut heißen und befoͤrdern! Das iſt ſchlimmer, als Staat im Staate; das iſt Anar- chie der Geiſter, mitten im geſetzlichen Verein. Die chriſtliche Religion war Religion der Kraft und der Reſignation, der Adel auf ritter- liche Tugend, Einigkeit und Aufopferung gegruͤn- det: alle dieſe Inſtitute, auch in der groͤßten Entartung, konnten noch gewonnen werden fuͤr die Angelegenheit des Gemeinweſens, und ihr dienen — eben weil ſie Corporationen, und das Zuſammenhalten, das Concentriren der Kraͤfte ihr oberſter Grundſatz war. Aber wie verhaͤlt ſich zu unſern Staaten die von dem Staate und von der Theorie legaliſirte und doctrinaliſirte Zerſplitterung, Entfremdung und Auswaͤrtigkeit der Geiſter! Die Phyſiokraten behaupteten, der Kauf- mannsſtand ſey in allen Europaͤiſchen Staaten eigentlich hors de la loi, hors de l’intérêt commun, beſonders die mit dem auswaͤrtigen Handel beſchaͤftigte Kaufmannsſchaft, weil es ihr Grundſatz ſeyn muͤſſe, Freund und Feind in ſeinem Reichthume zu verkuͤrzen. Dieſe, wie ſich an einem andern Orte zeigen wird, durchaus falſche und einſeitige Behauptung paßt auf keinen Stand ins Beſondre, deſto beſſer aber auf den edleren geiſtigen Theil aller Individuen. — Hat nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/82
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/82>, abgerufen am 22.11.2024.