Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

verglichen werden können, die den Felsen sprengt,
organische, lebendige Staaten. -- Staaten,
welche die Natur bloß für den Handel, oder bloß
für den Ackerbau, oder bloß für den momen-
tanen Krieg mit physischen Waffen abgerichtet
hat, sind einseitige, vorübergehende, unorganische
Staaten; denn ihnen fehlt das eigentliche Kenn-
zeichen des Lebens, das, was dem Staate Dauer
und wahre Haltung giebt, ein allfeitiger inne-
rer Krieg, und also ein Gleichgewicht der Kräfte,
ein Gefühl der wahren Unabhängigkeit, d. h.
ein eigenthümliches, unendliches Lebensgefühl,
die große Spur der wachsenden Rechts-Idee:
sie gelten bloß durch die Gewalt der Masse, kön-
nen also der größeren Masse, welche die Natur
im Laufe der Zeiten unfehlbar herbeiführt, nichts
entgegensetzen, als ihren irdischen Theil, der al-
lein für sich, ohne den unsterblichen Theil, wel-
cher sich in der Rechts-Idee und also in der
Freiheit äußert, nicht widerstehen kann. Daß
unter allen Welttheilen Europa die meisten von
der Natur mit allseitigen Anlagen ausgerüsteten
Stellen enthält und folglich der vornehmste Sitz
organischer Staaten ist -- darin liegt die
Ursache des erhabenen Ranges, den es in den
Weltgeschäften behauptet hat. --

Wie viel hat die Natur gethan, um in jenen

verglichen werden koͤnnen, die den Felſen ſprengt,
organiſche, lebendige Staaten. — Staaten,
welche die Natur bloß fuͤr den Handel, oder bloß
fuͤr den Ackerbau, oder bloß fuͤr den momen-
tanen Krieg mit phyſiſchen Waffen abgerichtet
hat, ſind einſeitige, voruͤbergehende, unorganiſche
Staaten; denn ihnen fehlt das eigentliche Kenn-
zeichen des Lebens, das, was dem Staate Dauer
und wahre Haltung giebt, ein allfeitiger inne-
rer Krieg, und alſo ein Gleichgewicht der Kraͤfte,
ein Gefuͤhl der wahren Unabhaͤngigkeit, d. h.
ein eigenthuͤmliches, unendliches Lebensgefuͤhl,
die große Spur der wachſenden Rechts-Idee:
ſie gelten bloß durch die Gewalt der Maſſe, koͤn-
nen alſo der groͤßeren Maſſe, welche die Natur
im Laufe der Zeiten unfehlbar herbeifuͤhrt, nichts
entgegenſetzen, als ihren irdiſchen Theil, der al-
lein fuͤr ſich, ohne den unſterblichen Theil, wel-
cher ſich in der Rechts-Idee und alſo in der
Freiheit aͤußert, nicht widerſtehen kann. Daß
unter allen Welttheilen Europa die meiſten von
der Natur mit allſeitigen Anlagen ausgeruͤſteten
Stellen enthaͤlt und folglich der vornehmſte Sitz
organiſcher Staaten iſt — darin liegt die
Urſache des erhabenen Ranges, den es in den
Weltgeſchaͤften behauptet hat. —

Wie viel hat die Natur gethan, um in jenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0311" n="277"/>
verglichen werden ko&#x0364;nnen, die den Fel&#x017F;en &#x017F;prengt,<lb/><hi rendition="#g">organi&#x017F;che, lebendige</hi> Staaten. &#x2014; Staaten,<lb/>
welche die Natur bloß fu&#x0364;r den Handel, oder bloß<lb/>
fu&#x0364;r den Ackerbau, oder bloß fu&#x0364;r den momen-<lb/>
tanen Krieg mit phy&#x017F;i&#x017F;chen Waffen abgerichtet<lb/>
hat, &#x017F;ind ein&#x017F;eitige, voru&#x0364;bergehende, unorgani&#x017F;che<lb/>
Staaten; denn ihnen fehlt das eigentliche Kenn-<lb/>
zeichen des Lebens, das, was dem Staate Dauer<lb/>
und wahre Haltung giebt, ein allfeitiger inne-<lb/>
rer Krieg, und al&#x017F;o ein Gleichgewicht der Kra&#x0364;fte,<lb/>
ein Gefu&#x0364;hl der wahren Unabha&#x0364;ngigkeit, d. h.<lb/>
ein eigenthu&#x0364;mliches, unendliches Lebensgefu&#x0364;hl,<lb/>
die große Spur der wach&#x017F;enden Rechts-Idee:<lb/>
&#x017F;ie gelten bloß durch die Gewalt der Ma&#x017F;&#x017F;e, ko&#x0364;n-<lb/>
nen al&#x017F;o der gro&#x0364;ßeren Ma&#x017F;&#x017F;e, welche die Natur<lb/>
im Laufe der Zeiten unfehlbar herbeifu&#x0364;hrt, nichts<lb/>
entgegen&#x017F;etzen, als ihren irdi&#x017F;chen Theil, der al-<lb/>
lein fu&#x0364;r &#x017F;ich, ohne den un&#x017F;terblichen Theil, wel-<lb/>
cher &#x017F;ich in der Rechts-Idee und al&#x017F;o in der<lb/>
Freiheit a&#x0364;ußert, nicht wider&#x017F;tehen kann. Daß<lb/>
unter allen Welttheilen Europa die mei&#x017F;ten von<lb/>
der Natur mit all&#x017F;eitigen Anlagen ausgeru&#x0364;&#x017F;teten<lb/>
Stellen entha&#x0364;lt und folglich der vornehm&#x017F;te Sitz<lb/><hi rendition="#g">organi&#x017F;cher</hi> Staaten i&#x017F;t &#x2014; darin liegt die<lb/>
Ur&#x017F;ache des erhabenen Ranges, den es in den<lb/>
Weltge&#x017F;cha&#x0364;ften behauptet hat. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Wie viel hat die Natur gethan, um in jenen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[277/0311] verglichen werden koͤnnen, die den Felſen ſprengt, organiſche, lebendige Staaten. — Staaten, welche die Natur bloß fuͤr den Handel, oder bloß fuͤr den Ackerbau, oder bloß fuͤr den momen- tanen Krieg mit phyſiſchen Waffen abgerichtet hat, ſind einſeitige, voruͤbergehende, unorganiſche Staaten; denn ihnen fehlt das eigentliche Kenn- zeichen des Lebens, das, was dem Staate Dauer und wahre Haltung giebt, ein allfeitiger inne- rer Krieg, und alſo ein Gleichgewicht der Kraͤfte, ein Gefuͤhl der wahren Unabhaͤngigkeit, d. h. ein eigenthuͤmliches, unendliches Lebensgefuͤhl, die große Spur der wachſenden Rechts-Idee: ſie gelten bloß durch die Gewalt der Maſſe, koͤn- nen alſo der groͤßeren Maſſe, welche die Natur im Laufe der Zeiten unfehlbar herbeifuͤhrt, nichts entgegenſetzen, als ihren irdiſchen Theil, der al- lein fuͤr ſich, ohne den unſterblichen Theil, wel- cher ſich in der Rechts-Idee und alſo in der Freiheit aͤußert, nicht widerſtehen kann. Daß unter allen Welttheilen Europa die meiſten von der Natur mit allſeitigen Anlagen ausgeruͤſteten Stellen enthaͤlt und folglich der vornehmſte Sitz organiſcher Staaten iſt — darin liegt die Urſache des erhabenen Ranges, den es in den Weltgeſchaͤften behauptet hat. — Wie viel hat die Natur gethan, um in jenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/311
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/311>, abgerufen am 24.11.2024.