Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

der Weise, wie gegen ein nothwendiges Uebel, das
der Gerechtigkeit halber wie ein andres weltli-
ches, sächliches Erbtheil aufrecht erhalten wer-
den muß, zu Werke geht: giebt sie das Signal
zu einer absoluten Trennung der Stände. Das
persönliche, zum Heile des ganzen Staates, mit
der Muttermilch eingesogene Gefühl des Adels
kann sie nicht auslöschen: je mehr sie selbst die
Auszeichnung öffentlich anerkennte, um so be-
scheidener würde der Besitzer werden, und nun
das angeerbte Gefühl durch selbsterworbene Ver-
dienste zu schmücken streben; denn ein Vor-
zug, den niemand läugnet, drückt auch nie-
mand: durch die allgemeine Anerkennung unter-
wirft man sich ihm mit Freiheit. Aber ein realer,
von früheren Jahrhunderten anerkannter Vor-
zug, den die jetzige Generation in Zweifel zie-
hen will, den also jeder einzelne Eigenthümer
desselben auf seine eigne Hand vertheidigen muß,
drückt allerdings, eben weil sich die Idee des
Vorzuges in einen Begriff verwandelt und nun,
wie weltliches Eigenthum, wie eine Sache, ver-
theidigt wird. Die Adeligen selbst verlieren durch
die falsche Humanität einer solchen Regierung
bald das persönliche Gefühl, d. h. die Idee des
Adels: bald sehen sie selbst nichts mehr darin,
als todten Besitz und Privilegium; und so ge-

der Weiſe, wie gegen ein nothwendiges Uebel, das
der Gerechtigkeit halber wie ein andres weltli-
ches, ſaͤchliches Erbtheil aufrecht erhalten wer-
den muß, zu Werke geht: giebt ſie das Signal
zu einer abſoluten Trennung der Staͤnde. Das
perſoͤnliche, zum Heile des ganzen Staates, mit
der Muttermilch eingeſogene Gefuͤhl des Adels
kann ſie nicht ausloͤſchen: je mehr ſie ſelbſt die
Auszeichnung oͤffentlich anerkennte, um ſo be-
ſcheidener wuͤrde der Beſitzer werden, und nun
das angeerbte Gefuͤhl durch ſelbſterworbene Ver-
dienſte zu ſchmuͤcken ſtreben; denn ein Vor-
zug, den niemand laͤugnet, druͤckt auch nie-
mand: durch die allgemeine Anerkennung unter-
wirft man ſich ihm mit Freiheit. Aber ein realer,
von fruͤheren Jahrhunderten anerkannter Vor-
zug, den die jetzige Generation in Zweifel zie-
hen will, den alſo jeder einzelne Eigenthuͤmer
deſſelben auf ſeine eigne Hand vertheidigen muß,
druͤckt allerdings, eben weil ſich die Idee des
Vorzuges in einen Begriff verwandelt und nun,
wie weltliches Eigenthum, wie eine Sache, ver-
theidigt wird. Die Adeligen ſelbſt verlieren durch
die falſche Humanitaͤt einer ſolchen Regierung
bald das perſoͤnliche Gefuͤhl, d. h. die Idee des
Adels: bald ſehen ſie ſelbſt nichts mehr darin,
als todten Beſitz und Privilegium; und ſo ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0295" n="261"/>
der Wei&#x017F;e, wie gegen ein nothwendiges Uebel, das<lb/>
der Gerechtigkeit halber wie ein andres weltli-<lb/>
ches, &#x017F;a&#x0364;chliches Erbtheil aufrecht erhalten wer-<lb/>
den muß, zu Werke geht: giebt &#x017F;ie das Signal<lb/>
zu einer ab&#x017F;oluten Trennung der Sta&#x0364;nde. Das<lb/>
per&#x017F;o&#x0364;nliche, zum Heile des ganzen Staates, mit<lb/>
der Muttermilch einge&#x017F;ogene Gefu&#x0364;hl des Adels<lb/>
kann &#x017F;ie nicht auslo&#x0364;&#x017F;chen: je mehr &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Auszeichnung o&#x0364;ffentlich anerkennte, um &#x017F;o be-<lb/>
&#x017F;cheidener wu&#x0364;rde der Be&#x017F;itzer werden, und nun<lb/>
das angeerbte Gefu&#x0364;hl durch &#x017F;elb&#x017F;terworbene Ver-<lb/>
dien&#x017F;te zu &#x017F;chmu&#x0364;cken &#x017F;treben; denn ein Vor-<lb/>
zug, den niemand la&#x0364;ugnet, dru&#x0364;ckt auch nie-<lb/>
mand: durch die allgemeine Anerkennung unter-<lb/>
wirft man &#x017F;ich ihm mit Freiheit. Aber ein realer,<lb/>
von fru&#x0364;heren Jahrhunderten anerkannter Vor-<lb/>
zug, den die jetzige Generation in Zweifel zie-<lb/>
hen will, den al&#x017F;o jeder einzelne Eigenthu&#x0364;mer<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben auf &#x017F;eine eigne Hand vertheidigen muß,<lb/>
dru&#x0364;ckt allerdings, eben weil &#x017F;ich die Idee des<lb/>
Vorzuges in einen Begriff verwandelt und nun,<lb/>
wie weltliches Eigenthum, wie eine Sache, ver-<lb/>
theidigt wird. Die Adeligen &#x017F;elb&#x017F;t verlieren durch<lb/>
die fal&#x017F;che Humanita&#x0364;t einer &#x017F;olchen Regierung<lb/>
bald das per&#x017F;o&#x0364;nliche Gefu&#x0364;hl, d. h. die Idee des<lb/>
Adels: bald &#x017F;ehen &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t nichts mehr darin,<lb/>
als todten Be&#x017F;itz und Privilegium; und &#x017F;o ge-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0295] der Weiſe, wie gegen ein nothwendiges Uebel, das der Gerechtigkeit halber wie ein andres weltli- ches, ſaͤchliches Erbtheil aufrecht erhalten wer- den muß, zu Werke geht: giebt ſie das Signal zu einer abſoluten Trennung der Staͤnde. Das perſoͤnliche, zum Heile des ganzen Staates, mit der Muttermilch eingeſogene Gefuͤhl des Adels kann ſie nicht ausloͤſchen: je mehr ſie ſelbſt die Auszeichnung oͤffentlich anerkennte, um ſo be- ſcheidener wuͤrde der Beſitzer werden, und nun das angeerbte Gefuͤhl durch ſelbſterworbene Ver- dienſte zu ſchmuͤcken ſtreben; denn ein Vor- zug, den niemand laͤugnet, druͤckt auch nie- mand: durch die allgemeine Anerkennung unter- wirft man ſich ihm mit Freiheit. Aber ein realer, von fruͤheren Jahrhunderten anerkannter Vor- zug, den die jetzige Generation in Zweifel zie- hen will, den alſo jeder einzelne Eigenthuͤmer deſſelben auf ſeine eigne Hand vertheidigen muß, druͤckt allerdings, eben weil ſich die Idee des Vorzuges in einen Begriff verwandelt und nun, wie weltliches Eigenthum, wie eine Sache, ver- theidigt wird. Die Adeligen ſelbſt verlieren durch die falſche Humanitaͤt einer ſolchen Regierung bald das perſoͤnliche Gefuͤhl, d. h. die Idee des Adels: bald ſehen ſie ſelbſt nichts mehr darin, als todten Beſitz und Privilegium; und ſo ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/295
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/295>, abgerufen am 23.11.2024.