Die ganze Lehre vom Eigenthume scheint meiner Behauptung zu widersprechen. "Wie können," fragt man mich, "Sachen im Ver- hältniß der Gegenseitigkeit zum Menschen ste- hen? Wie kann ferner ein freier Streit und, dem zu Folge, ein Vergleich, ein Contract, zwischen einem lebendigen Menschen und einer todten Sache Statt finden? Zwischen Menschen und Menschen ist allerdings ein unaufhörliches Agiren und Rea- giren, also ein lebendiger unaufhörlicher Con- tract, gedenkbar; aber die Sachen müssen, in so fern nur jene persönlichen Verhältnisse zu den Nebenmenschen geschont werden, dem unbeding- ten Schalten und Walten des Menschen über- lassen bleiben; der Gebrauch der Sachen -- die wenigen Fälle ausgenommen, wo der Staat zur Abwendung allgemeiner Gefahr oder zu Errei- chung eines gemeinnützigen Zweckes ihn beschrän- ken muß -- liegt übrigens außerhalb des Gesetzes, und der ziemlich unbedingte Despotismus des Menschen über sein Eigenthum ist, den gemei- nen Ansichten nach, die Hauptäußerung seiner sogenannten Freiheit. Der Mensch, heißt es ferner, ist in seinen Verhältnissen zu Personen freilich unaufhörlich beschränkt: er kann nicht, wie er gern möchte; er muß sich fügen; muß den Menschen unaufhörlich schonen, weil er Sei-
Die ganze Lehre vom Eigenthume ſcheint meiner Behauptung zu widerſprechen. „Wie koͤnnen,” fragt man mich, „Sachen im Ver- haͤltniß der Gegenſeitigkeit zum Menſchen ſte- hen? Wie kann ferner ein freier Streit und, dem zu Folge, ein Vergleich, ein Contract, zwiſchen einem lebendigen Menſchen und einer todten Sache Statt finden? Zwiſchen Menſchen und Menſchen iſt allerdings ein unaufhoͤrliches Agiren und Rea- giren, alſo ein lebendiger unaufhoͤrlicher Con- tract, gedenkbar; aber die Sachen muͤſſen, in ſo fern nur jene perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe zu den Nebenmenſchen geſchont werden, dem unbeding- ten Schalten und Walten des Menſchen uͤber- laſſen bleiben; der Gebrauch der Sachen — die wenigen Faͤlle ausgenommen, wo der Staat zur Abwendung allgemeiner Gefahr oder zu Errei- chung eines gemeinnuͤtzigen Zweckes ihn beſchraͤn- ken muß — liegt uͤbrigens außerhalb des Geſetzes, und der ziemlich unbedingte Despotismus des Menſchen uͤber ſein Eigenthum iſt, den gemei- nen Anſichten nach, die Hauptaͤußerung ſeiner ſogenannten Freiheit. Der Menſch, heißt es ferner, iſt in ſeinen Verhaͤltniſſen zu Perſonen freilich unaufhoͤrlich beſchraͤnkt: er kann nicht, wie er gern moͤchte; er muß ſich fuͤgen; muß den Menſchen unaufhoͤrlich ſchonen, weil er Sei-
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Die ganze Lehre vom Eigenthume ſcheint
meiner Behauptung zu widerſprechen. „Wie
koͤnnen,” fragt man mich, „Sachen im Ver-
haͤltniß der Gegenſeitigkeit zum Menſchen ſte-
hen? Wie kann ferner ein freier Streit und, dem
zu Folge, ein Vergleich, ein Contract, zwiſchen
einem lebendigen Menſchen und einer todten Sache
Statt finden? Zwiſchen Menſchen und Menſchen
iſt allerdings ein unaufhoͤrliches Agiren und Rea-
giren, alſo ein lebendiger unaufhoͤrlicher Con-
tract, gedenkbar; aber die Sachen muͤſſen, in ſo
fern nur jene perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe zu den
Nebenmenſchen geſchont werden, dem unbeding-
ten Schalten und Walten des Menſchen uͤber-
laſſen bleiben; der Gebrauch der Sachen — die
wenigen Faͤlle ausgenommen, wo der Staat zur
Abwendung allgemeiner Gefahr oder zu Errei-
chung eines gemeinnuͤtzigen Zweckes ihn beſchraͤn-
ken muß — liegt uͤbrigens außerhalb des Geſetzes,
und der ziemlich unbedingte Despotismus des
Menſchen uͤber ſein Eigenthum iſt, den gemei-
nen Anſichten nach, die Hauptaͤußerung ſeiner
ſogenannten Freiheit. Der Menſch, heißt es
ferner, iſt in ſeinen Verhaͤltniſſen zu Perſonen
freilich unaufhoͤrlich beſchraͤnkt: er kann nicht,
wie er gern moͤchte; er muß ſich fuͤgen; muß
den Menſchen unaufhoͤrlich ſchonen, weil er Sei-
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/251>, abgerufen am 22.11.2024.
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