Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Ideen, so gut wie in den Griechischen Göttern,
das alte Leben; nur die todten, starren Rechts-
begriffe von ihnen bleiben zurück.

Diese Begriffe fügen sich nicht nur nicht in
einander, sondern sie widersprechen sich auch,
sie zerstören sich, und so kommt eine alte, ehr-
würdige Verfassung, die natürlich und eben des-
halb vortrefflich ist, in solche Geringschätzung,
daß sie zum Gespötte des Pöbels wird, aber
nicht deswegen, weil sie alt geworden (was
ihr höchster Vorzug seyn würde), oder den Zei-
ten nicht angemessen, sondern weil ihr Dienst
in dem Herzen des Volkes erstorben ist, weil
diesem die Kraft gebricht, das Alte zu ver-
jüngen, weil nur Begriffe von ihr und keine
Ideen im Schwange gehn, diese Begriffe aber
sich gegenseitig abstoßen, und dennoch jeder ein-
zelne derselben von dem besonders dabei interes-
sirten Bürger krampfhaft festgehalten und als
ein kleiner Götze verehrt wird.

Es giebt eine Idee Adel und einen Begriff
Adel; einen Gott Adel und einen Götzen Adel.
Wenn das Göttliche in solchen Institutionen
ausgestorben ist, und der götzenhafte Begriff al-
lein zurückbleibt, dann hält sich jeder einzelne
Bürger an den ihn vorzüglich interessirenden
Buchstaben: der Adel an seinen todten Privile-

Ideen, ſo gut wie in den Griechiſchen Goͤttern,
das alte Leben; nur die todten, ſtarren Rechts-
begriffe von ihnen bleiben zuruͤck.

Dieſe Begriffe fuͤgen ſich nicht nur nicht in
einander, ſondern ſie widerſprechen ſich auch,
ſie zerſtoͤren ſich, und ſo kommt eine alte, ehr-
wuͤrdige Verfaſſung, die natuͤrlich und eben des-
halb vortrefflich iſt, in ſolche Geringſchaͤtzung,
daß ſie zum Geſpoͤtte des Poͤbels wird, aber
nicht deswegen, weil ſie alt geworden (was
ihr hoͤchſter Vorzug ſeyn wuͤrde), oder den Zei-
ten nicht angemeſſen, ſondern weil ihr Dienſt
in dem Herzen des Volkes erſtorben iſt, weil
dieſem die Kraft gebricht, das Alte zu ver-
juͤngen, weil nur Begriffe von ihr und keine
Ideen im Schwange gehn, dieſe Begriffe aber
ſich gegenſeitig abſtoßen, und dennoch jeder ein-
zelne derſelben von dem beſonders dabei intereſ-
ſirten Buͤrger krampfhaft feſtgehalten und als
ein kleiner Goͤtze verehrt wird.

Es giebt eine Idee Adel und einen Begriff
Adel; einen Gott Adel und einen Goͤtzen Adel.
Wenn das Goͤttliche in ſolchen Inſtitutionen
ausgeſtorben iſt, und der goͤtzenhafte Begriff al-
lein zuruͤckbleibt, dann haͤlt ſich jeder einzelne
Buͤrger an den ihn vorzuͤglich intereſſirenden
Buchſtaben: der Adel an ſeinen todten Privile-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0197" n="163"/>
Ideen, &#x017F;o gut wie in den Griechi&#x017F;chen Go&#x0364;ttern,<lb/>
das alte Leben; nur die todten, &#x017F;tarren Rechts-<lb/>
begriffe von ihnen bleiben zuru&#x0364;ck.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Begriffe fu&#x0364;gen &#x017F;ich nicht nur nicht in<lb/>
einander, &#x017F;ondern &#x017F;ie wider&#x017F;prechen &#x017F;ich auch,<lb/>
&#x017F;ie zer&#x017F;to&#x0364;ren &#x017F;ich, und &#x017F;o kommt eine alte, ehr-<lb/>
wu&#x0364;rdige Verfa&#x017F;&#x017F;ung, die natu&#x0364;rlich und eben des-<lb/>
halb vortrefflich i&#x017F;t, in &#x017F;olche Gering&#x017F;cha&#x0364;tzung,<lb/>
daß &#x017F;ie zum Ge&#x017F;po&#x0364;tte des Po&#x0364;bels wird, aber<lb/>
nicht deswegen, weil &#x017F;ie alt geworden (was<lb/>
ihr ho&#x0364;ch&#x017F;ter Vorzug &#x017F;eyn wu&#x0364;rde), oder den Zei-<lb/>
ten nicht angeme&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern weil ihr Dien&#x017F;t<lb/>
in dem Herzen des Volkes er&#x017F;torben i&#x017F;t, weil<lb/>
die&#x017F;em die Kraft gebricht, das Alte zu ver-<lb/>
ju&#x0364;ngen, weil nur Begriffe von ihr und keine<lb/>
Ideen im Schwange gehn, die&#x017F;e Begriffe aber<lb/>
&#x017F;ich gegen&#x017F;eitig ab&#x017F;toßen, und dennoch jeder ein-<lb/>
zelne der&#x017F;elben von dem be&#x017F;onders dabei intere&#x017F;-<lb/>
&#x017F;irten Bu&#x0364;rger krampfhaft fe&#x017F;tgehalten und als<lb/>
ein kleiner Go&#x0364;tze verehrt wird.</p><lb/>
            <p>Es giebt eine Idee Adel und einen Begriff<lb/>
Adel; einen Gott Adel und einen Go&#x0364;tzen Adel.<lb/>
Wenn das Go&#x0364;ttliche in &#x017F;olchen In&#x017F;titutionen<lb/>
ausge&#x017F;torben i&#x017F;t, und der go&#x0364;tzenhafte Begriff al-<lb/>
lein zuru&#x0364;ckbleibt, dann ha&#x0364;lt &#x017F;ich jeder einzelne<lb/>
Bu&#x0364;rger an den ihn vorzu&#x0364;glich intere&#x017F;&#x017F;irenden<lb/>
Buch&#x017F;taben: der Adel an &#x017F;einen todten Privile-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0197] Ideen, ſo gut wie in den Griechiſchen Goͤttern, das alte Leben; nur die todten, ſtarren Rechts- begriffe von ihnen bleiben zuruͤck. Dieſe Begriffe fuͤgen ſich nicht nur nicht in einander, ſondern ſie widerſprechen ſich auch, ſie zerſtoͤren ſich, und ſo kommt eine alte, ehr- wuͤrdige Verfaſſung, die natuͤrlich und eben des- halb vortrefflich iſt, in ſolche Geringſchaͤtzung, daß ſie zum Geſpoͤtte des Poͤbels wird, aber nicht deswegen, weil ſie alt geworden (was ihr hoͤchſter Vorzug ſeyn wuͤrde), oder den Zei- ten nicht angemeſſen, ſondern weil ihr Dienſt in dem Herzen des Volkes erſtorben iſt, weil dieſem die Kraft gebricht, das Alte zu ver- juͤngen, weil nur Begriffe von ihr und keine Ideen im Schwange gehn, dieſe Begriffe aber ſich gegenſeitig abſtoßen, und dennoch jeder ein- zelne derſelben von dem beſonders dabei intereſ- ſirten Buͤrger krampfhaft feſtgehalten und als ein kleiner Goͤtze verehrt wird. Es giebt eine Idee Adel und einen Begriff Adel; einen Gott Adel und einen Goͤtzen Adel. Wenn das Goͤttliche in ſolchen Inſtitutionen ausgeſtorben iſt, und der goͤtzenhafte Begriff al- lein zuruͤckbleibt, dann haͤlt ſich jeder einzelne Buͤrger an den ihn vorzuͤglich intereſſirenden Buchſtaben: der Adel an ſeinen todten Privile-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/197
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/197>, abgerufen am 01.05.2024.