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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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bindung, und nur von der Gegenseitigkeit der
Rechte aller einzelnen Individuen unter einander,
und nur von dem gegenseitigen Sich-Tragen und
Behaupten der anscheinend ungleichsten, aber
doch zum menschlichen Wesen einmal gehörigen
Ideen, die Blüthe des Staates, der Idee aller
Ideen, zu erwarten.

Wie lernt der Mensch, als Kind, im natür-
lichen Zustande, zuerst das Gesetz kennen? Als
einen Begriff nicht. Die buchstäbliche Strenge
des Vaters, und die geistige Milde der Mutter
wirken unaufhörlich wechselsweise; und so wird
das Kind eigentlich erzogen und regiert weder
vom Vater noch von der Mutter allein, sondern
von einem unsichtbaren Suverän, von einem
unsichtbaren, lebendigen Gesetze, welches zwischen
den Eltern steht: von einer Idee des Rechtes,
worin die Eigenthümlichkeiten beider Geschlech-
ter, die Strenge des Vaters und die Milde der
Mutter, zusammentreten. Sollte dieses unsicht-
bare Gesetz nun ausgesprochen werden, so wür-
den die Spuren beider so verschieden gestalteter
Gesetzgeber unverkennbar, und in gegenseitiger
Durchdrungenheit, darin sichtbar seyn. -- Der Su-
verän, der Gesetzgeber eines Staates, muß also,
wenn er die wahre Idee des Rechtes in unend-
lichem Wachsthum durch das Gesetz ausdrücken

bindung, und nur von der Gegenſeitigkeit der
Rechte aller einzelnen Individuen unter einander,
und nur von dem gegenſeitigen Sich-Tragen und
Behaupten der anſcheinend ungleichſten, aber
doch zum menſchlichen Weſen einmal gehoͤrigen
Ideen, die Bluͤthe des Staates, der Idee aller
Ideen, zu erwarten.

Wie lernt der Menſch, als Kind, im natuͤr-
lichen Zuſtande, zuerſt das Geſetz kennen? Als
einen Begriff nicht. Die buchſtaͤbliche Strenge
des Vaters, und die geiſtige Milde der Mutter
wirken unaufhoͤrlich wechſelsweiſe; und ſo wird
das Kind eigentlich erzogen und regiert weder
vom Vater noch von der Mutter allein, ſondern
von einem unſichtbaren Suveraͤn, von einem
unſichtbaren, lebendigen Geſetze, welches zwiſchen
den Eltern ſteht: von einer Idee des Rechtes,
worin die Eigenthuͤmlichkeiten beider Geſchlech-
ter, die Strenge des Vaters und die Milde der
Mutter, zuſammentreten. Sollte dieſes unſicht-
bare Geſetz nun ausgeſprochen werden, ſo wuͤr-
den die Spuren beider ſo verſchieden geſtalteter
Geſetzgeber unverkennbar, und in gegenſeitiger
Durchdrungenheit, darin ſichtbar ſeyn. — Der Su-
veraͤn, der Geſetzgeber eines Staates, muß alſo,
wenn er die wahre Idee des Rechtes in unend-
lichem Wachsthum durch das Geſetz ausdruͤcken

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[152/0186] bindung, und nur von der Gegenſeitigkeit der Rechte aller einzelnen Individuen unter einander, und nur von dem gegenſeitigen Sich-Tragen und Behaupten der anſcheinend ungleichſten, aber doch zum menſchlichen Weſen einmal gehoͤrigen Ideen, die Bluͤthe des Staates, der Idee aller Ideen, zu erwarten. Wie lernt der Menſch, als Kind, im natuͤr- lichen Zuſtande, zuerſt das Geſetz kennen? Als einen Begriff nicht. Die buchſtaͤbliche Strenge des Vaters, und die geiſtige Milde der Mutter wirken unaufhoͤrlich wechſelsweiſe; und ſo wird das Kind eigentlich erzogen und regiert weder vom Vater noch von der Mutter allein, ſondern von einem unſichtbaren Suveraͤn, von einem unſichtbaren, lebendigen Geſetze, welches zwiſchen den Eltern ſteht: von einer Idee des Rechtes, worin die Eigenthuͤmlichkeiten beider Geſchlech- ter, die Strenge des Vaters und die Milde der Mutter, zuſammentreten. Sollte dieſes unſicht- bare Geſetz nun ausgeſprochen werden, ſo wuͤr- den die Spuren beider ſo verſchieden geſtalteter Geſetzgeber unverkennbar, und in gegenſeitiger Durchdrungenheit, darin ſichtbar ſeyn. — Der Su- veraͤn, der Geſetzgeber eines Staates, muß alſo, wenn er die wahre Idee des Rechtes in unend- lichem Wachsthum durch das Geſetz ausdruͤcken

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/186>, abgerufen am 24.11.2024.