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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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was er vornehmlich braucht, Neigung und Liebe
der Bürger, entzogen. --

Sobald man diesen unsichtbaren, mindestens
weniger in die Augen fallenden, Mächten wie-
der ihren alten natürlichen Einfluß zugesteht,
gewinnt aller Buchstabe im Staate wieder eine
lebendige Gestalt, aller todte Besitz fängt an sich
zu bewegen, alle Sachen erhalten eine persön-
liche Bedeutung, alle Begriffe bekommen Bewe-
gung, d. h. sie werden zu Ideen; während eine
bloß weltliche Macht -- sie möge alle Begriffe
und alles Sichtbare in der Welt rauben, fest-
halten, und sich unterwerfen -- ihrem Schick-
sale nicht entgeht, und endlich ein Volk, oder
auch nur einen einzelnen Menschen findet, wel-
che jenes Unsichtbare, den zarteren Geist der
Sitte, des Rechtes, der Religion, zu verthei-
digen unternehmen, und, wenn sie diesem Geiste,
der sich nicht ungerächt verspotten läßt, getreu
bleiben, nothwendig aus ewigen Naturgesetzen
die Oberhand behalten müssen. Der schwächere
Begriff weicht dem stärkeren, wie die Mauer
vor dem stürzenden Felsen weicht; der kolossalste
Begriff weicht vor der ersten lebendigen Idee,
wie der härteste Felsen von der kleinsten Pflanze
bloß durch organische Bewegung und Wachs-
thum gesprengt wird.

was er vornehmlich braucht, Neigung und Liebe
der Buͤrger, entzogen. —

Sobald man dieſen unſichtbaren, mindeſtens
weniger in die Augen fallenden, Maͤchten wie-
der ihren alten natuͤrlichen Einfluß zugeſteht,
gewinnt aller Buchſtabe im Staate wieder eine
lebendige Geſtalt, aller todte Beſitz faͤngt an ſich
zu bewegen, alle Sachen erhalten eine perſoͤn-
liche Bedeutung, alle Begriffe bekommen Bewe-
gung, d. h. ſie werden zu Ideen; waͤhrend eine
bloß weltliche Macht — ſie moͤge alle Begriffe
und alles Sichtbare in der Welt rauben, feſt-
halten, und ſich unterwerfen — ihrem Schick-
ſale nicht entgeht, und endlich ein Volk, oder
auch nur einen einzelnen Menſchen findet, wel-
che jenes Unſichtbare, den zarteren Geiſt der
Sitte, des Rechtes, der Religion, zu verthei-
digen unternehmen, und, wenn ſie dieſem Geiſte,
der ſich nicht ungeraͤcht verſpotten laͤßt, getreu
bleiben, nothwendig aus ewigen Naturgeſetzen
die Oberhand behalten muͤſſen. Der ſchwaͤchere
Begriff weicht dem ſtaͤrkeren, wie die Mauer
vor dem ſtuͤrzenden Felſen weicht; der koloſſalſte
Begriff weicht vor der erſten lebendigen Idee,
wie der haͤrteſte Felſen von der kleinſten Pflanze
bloß durch organiſche Bewegung und Wachs-
thum geſprengt wird.

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[150/0184] was er vornehmlich braucht, Neigung und Liebe der Buͤrger, entzogen. — Sobald man dieſen unſichtbaren, mindeſtens weniger in die Augen fallenden, Maͤchten wie- der ihren alten natuͤrlichen Einfluß zugeſteht, gewinnt aller Buchſtabe im Staate wieder eine lebendige Geſtalt, aller todte Beſitz faͤngt an ſich zu bewegen, alle Sachen erhalten eine perſoͤn- liche Bedeutung, alle Begriffe bekommen Bewe- gung, d. h. ſie werden zu Ideen; waͤhrend eine bloß weltliche Macht — ſie moͤge alle Begriffe und alles Sichtbare in der Welt rauben, feſt- halten, und ſich unterwerfen — ihrem Schick- ſale nicht entgeht, und endlich ein Volk, oder auch nur einen einzelnen Menſchen findet, wel- che jenes Unſichtbare, den zarteren Geiſt der Sitte, des Rechtes, der Religion, zu verthei- digen unternehmen, und, wenn ſie dieſem Geiſte, der ſich nicht ungeraͤcht verſpotten laͤßt, getreu bleiben, nothwendig aus ewigen Naturgeſetzen die Oberhand behalten muͤſſen. Der ſchwaͤchere Begriff weicht dem ſtaͤrkeren, wie die Mauer vor dem ſtuͤrzenden Felſen weicht; der koloſſalſte Begriff weicht vor der erſten lebendigen Idee, wie der haͤrteſte Felſen von der kleinſten Pflanze bloß durch organiſche Bewegung und Wachs- thum geſprengt wird.

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/184>, abgerufen am 01.05.2024.