zelnen Menschen, die ganze bürgerliche Gesell- schaft -- ihre Jugend-Hemisphäre sowohl, als die des Alters -- zu umschiffen. Er betritt also jene Schwelle des Alters; andre Wünsche, an- dre Neigungen kommen unvermeidlich; alle In- stitute der Vorzeit, die er in seiner Jugend schmähte oder umwarf, alle Gesetze, alle Schran- ken gewinnen eine überschwengliche Macht und Hoheit für die verwilderte Seele, die sich nun in eine ganz andre Natur und ganz andre Bedin- gungen des Daseyns finden soll. Je mehr er selbst auf die Höhe des Lebens hinaufsteigt, um so deutlicher erheben sich rings umher die Gebirge der Vorzeit. Die nothwendigen Bedürfnisse sei- nes zweiten Alters hat er selbst zerstört; er selbst hat dem Gesetze der Natur die Kraft gegeben, ihn zu zermalmen. Aller Ruhm, jede einzelne That aus jener Zeit, wo er den Weltschöpfer spielte, wird nothwendig einzeln wieder ausge- löscht, nun, da er die Rolle eines Welterhal- ters übernimmt und die aufgehäufte Kraft der Jahrhunderte, welche zur Erhaltung nöthig ist, entbehren muß, weil er sie selbst zersplittert hat. Die früheren Genossen des Jugend-Propheten sehen ihn ganz neue Wege betreten, empfinden die Inconsequenz; er selbst fühlt sie in seinem Innern, will die Miene der Jugend beibehalten,
zelnen Menſchen, die ganze buͤrgerliche Geſell- ſchaft — ihre Jugend-Hemiſphaͤre ſowohl, als die des Alters — zu umſchiffen. Er betritt alſo jene Schwelle des Alters; andre Wuͤnſche, an- dre Neigungen kommen unvermeidlich; alle In- ſtitute der Vorzeit, die er in ſeiner Jugend ſchmaͤhte oder umwarf, alle Geſetze, alle Schran- ken gewinnen eine uͤberſchwengliche Macht und Hoheit fuͤr die verwilderte Seele, die ſich nun in eine ganz andre Natur und ganz andre Bedin- gungen des Daſeyns finden ſoll. Je mehr er ſelbſt auf die Hoͤhe des Lebens hinaufſteigt, um ſo deutlicher erheben ſich rings umher die Gebirge der Vorzeit. Die nothwendigen Beduͤrfniſſe ſei- nes zweiten Alters hat er ſelbſt zerſtoͤrt; er ſelbſt hat dem Geſetze der Natur die Kraft gegeben, ihn zu zermalmen. Aller Ruhm, jede einzelne That aus jener Zeit, wo er den Weltſchoͤpfer ſpielte, wird nothwendig einzeln wieder ausge- loͤſcht, nun, da er die Rolle eines Welterhal- ters uͤbernimmt und die aufgehaͤufte Kraft der Jahrhunderte, welche zur Erhaltung noͤthig iſt, entbehren muß, weil er ſie ſelbſt zerſplittert hat. Die fruͤheren Genoſſen des Jugend-Propheten ſehen ihn ganz neue Wege betreten, empfinden die Inconſequenz; er ſelbſt fuͤhlt ſie in ſeinem Innern, will die Miene der Jugend beibehalten,
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zelnen Menſchen, die ganze buͤrgerliche Geſell-
ſchaft — ihre Jugend-Hemiſphaͤre ſowohl, als
die des Alters — zu umſchiffen. Er betritt alſo
jene Schwelle des Alters; andre Wuͤnſche, an-
dre Neigungen kommen unvermeidlich; alle In-
ſtitute der Vorzeit, die er in ſeiner Jugend
ſchmaͤhte oder umwarf, alle Geſetze, alle Schran-
ken gewinnen eine uͤberſchwengliche Macht und
Hoheit fuͤr die verwilderte Seele, die ſich nun
in eine ganz andre Natur und ganz andre Bedin-
gungen des Daſeyns finden ſoll. Je mehr er
ſelbſt auf die Hoͤhe des Lebens hinaufſteigt, um
ſo deutlicher erheben ſich rings umher die Gebirge
der Vorzeit. Die nothwendigen Beduͤrfniſſe ſei-
nes zweiten Alters hat er ſelbſt zerſtoͤrt; er ſelbſt
hat dem Geſetze der Natur die Kraft gegeben,
ihn zu zermalmen. Aller Ruhm, jede einzelne
That aus jener Zeit, wo er den Weltſchoͤpfer
ſpielte, wird nothwendig einzeln wieder ausge-
loͤſcht, nun, da er die Rolle eines Welterhal-
ters uͤbernimmt und die aufgehaͤufte Kraft der
Jahrhunderte, welche zur Erhaltung noͤthig iſt,
entbehren muß, weil er ſie ſelbſt zerſplittert hat.
Die fruͤheren Genoſſen des Jugend-Propheten
ſehen ihn ganz neue Wege betreten, empfinden
die Inconſequenz; er ſelbſt fuͤhlt ſie in ſeinem
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/165>, abgerufen am 24.11.2024.
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