Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

der freier Selbstthätigkeit wieder erobert werden
muß, so würde nicht in so viele, selbst muthige,
Seelen jene Scheu vor dem Kriege, als etwas
absolut Unnatürlichem und Unrechtmäßigem, als
einer mit Hunger und Pest in gleicher Linie ste-
henden National-Calamität, gekommen seyn.
Man würde empfunden haben 1), daß, je deut-
licher, lebendiger, persönlicher, der einzelne Bür-
ger den Staat als ein Ganzes vor sich sehe, um
so mehr das Recht im Gange sey und trium-
phire; 2) daß nichts so sehr, als ein wahrer
Krieg, jeden Einzelnen mit der Existenz und der
Natur der ganzen Staats-Verbindung erfüllen
und durchdringen könne; daß demnach 3) die
ungeheure Bewegung, welche wir "Krieg"
nennen, dem Gedeihen und der schönsten Blüthe
des wahren Rechtes eben so zuträglich sey, wie
alle jene künstlichen Friedens-Institute, die wir,
weil sie stillstehen und angestellt werden, Rechts-
anstalten
nennen.

Man glaubte, der Krieg sey hors de la loi;
das ganze Verhältniß zu benachbarten Staaten
sey ein nothwendiges Uebel; der Staat müsse
vornehmlich nach politischer Selbstzufriedenheit
und Selbstgenügsamkeit trachten; auch der aus-
wärtige Handel sey zwar nicht zu verwerfen,
wenn er viel Geld und rohe Producte herein

der freier Selbſtthaͤtigkeit wieder erobert werden
muß, ſo wuͤrde nicht in ſo viele, ſelbſt muthige,
Seelen jene Scheu vor dem Kriege, als etwas
abſolut Unnatuͤrlichem und Unrechtmaͤßigem, als
einer mit Hunger und Peſt in gleicher Linie ſte-
henden National-Calamitaͤt, gekommen ſeyn.
Man wuͤrde empfunden haben 1), daß, je deut-
licher, lebendiger, perſoͤnlicher, der einzelne Buͤr-
ger den Staat als ein Ganzes vor ſich ſehe, um
ſo mehr das Recht im Gange ſey und trium-
phire; 2) daß nichts ſo ſehr, als ein wahrer
Krieg, jeden Einzelnen mit der Exiſtenz und der
Natur der ganzen Staats-Verbindung erfuͤllen
und durchdringen koͤnne; daß demnach 3) die
ungeheure Bewegung, welche wir „Krieg“
nennen, dem Gedeihen und der ſchoͤnſten Bluͤthe
des wahren Rechtes eben ſo zutraͤglich ſey, wie
alle jene kuͤnſtlichen Friedens-Inſtitute, die wir,
weil ſie ſtillſtehen und angeſtellt werden, Rechts-
anſtalten
nennen.

Man glaubte, der Krieg ſey hors de la loi;
das ganze Verhaͤltniß zu benachbarten Staaten
ſey ein nothwendiges Uebel; der Staat muͤſſe
vornehmlich nach politiſcher Selbſtzufriedenheit
und Selbſtgenuͤgſamkeit trachten; auch der aus-
waͤrtige Handel ſey zwar nicht zu verwerfen,
wenn er viel Geld und rohe Producte herein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0154" n="120"/>
der freier Selb&#x017F;ttha&#x0364;tigkeit wieder erobert werden<lb/>
muß, &#x017F;o wu&#x0364;rde nicht in &#x017F;o viele, &#x017F;elb&#x017F;t muthige,<lb/>
Seelen jene Scheu vor dem Kriege, als etwas<lb/>
ab&#x017F;olut Unnatu&#x0364;rlichem und Unrechtma&#x0364;ßigem, als<lb/>
einer mit Hunger und Pe&#x017F;t in gleicher Linie &#x017F;te-<lb/>
henden National-Calamita&#x0364;t, gekommen &#x017F;eyn.<lb/>
Man wu&#x0364;rde empfunden haben 1), daß, je deut-<lb/>
licher, lebendiger, per&#x017F;o&#x0364;nlicher, der einzelne Bu&#x0364;r-<lb/>
ger den Staat als ein Ganzes vor &#x017F;ich &#x017F;ehe, um<lb/>
&#x017F;o mehr das Recht im Gange &#x017F;ey und trium-<lb/>
phire; 2) daß nichts &#x017F;o &#x017F;ehr, als ein wahrer<lb/>
Krieg, jeden Einzelnen mit der Exi&#x017F;tenz und der<lb/>
Natur der ganzen Staats-Verbindung erfu&#x0364;llen<lb/>
und durchdringen ko&#x0364;nne; daß demnach 3) die<lb/>
ungeheure Bewegung, welche wir <hi rendition="#g">&#x201E;Krieg&#x201C;</hi><lb/>
nennen, dem Gedeihen und der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Blu&#x0364;the<lb/>
des wahren Rechtes eben &#x017F;o zutra&#x0364;glich &#x017F;ey, wie<lb/>
alle jene ku&#x0364;n&#x017F;tlichen Friedens-In&#x017F;titute, die wir,<lb/>
weil &#x017F;ie &#x017F;till&#x017F;tehen und ange&#x017F;tellt werden, <hi rendition="#g">Rechts-<lb/>
an&#x017F;talten</hi> nennen.</p><lb/>
            <p>Man glaubte, der Krieg &#x017F;ey <hi rendition="#aq">hors de la loi;</hi><lb/>
das ganze Verha&#x0364;ltniß zu benachbarten Staaten<lb/>
&#x017F;ey ein nothwendiges Uebel; der Staat mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/>
vornehmlich nach politi&#x017F;cher Selb&#x017F;tzufriedenheit<lb/>
und Selb&#x017F;tgenu&#x0364;g&#x017F;amkeit trachten; auch der aus-<lb/>
wa&#x0364;rtige Handel &#x017F;ey zwar nicht zu verwerfen,<lb/>
wenn er viel Geld und rohe Producte herein<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0154] der freier Selbſtthaͤtigkeit wieder erobert werden muß, ſo wuͤrde nicht in ſo viele, ſelbſt muthige, Seelen jene Scheu vor dem Kriege, als etwas abſolut Unnatuͤrlichem und Unrechtmaͤßigem, als einer mit Hunger und Peſt in gleicher Linie ſte- henden National-Calamitaͤt, gekommen ſeyn. Man wuͤrde empfunden haben 1), daß, je deut- licher, lebendiger, perſoͤnlicher, der einzelne Buͤr- ger den Staat als ein Ganzes vor ſich ſehe, um ſo mehr das Recht im Gange ſey und trium- phire; 2) daß nichts ſo ſehr, als ein wahrer Krieg, jeden Einzelnen mit der Exiſtenz und der Natur der ganzen Staats-Verbindung erfuͤllen und durchdringen koͤnne; daß demnach 3) die ungeheure Bewegung, welche wir „Krieg“ nennen, dem Gedeihen und der ſchoͤnſten Bluͤthe des wahren Rechtes eben ſo zutraͤglich ſey, wie alle jene kuͤnſtlichen Friedens-Inſtitute, die wir, weil ſie ſtillſtehen und angeſtellt werden, Rechts- anſtalten nennen. Man glaubte, der Krieg ſey hors de la loi; das ganze Verhaͤltniß zu benachbarten Staaten ſey ein nothwendiges Uebel; der Staat muͤſſe vornehmlich nach politiſcher Selbſtzufriedenheit und Selbſtgenuͤgſamkeit trachten; auch der aus- waͤrtige Handel ſey zwar nicht zu verwerfen, wenn er viel Geld und rohe Producte herein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/154
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/154>, abgerufen am 01.05.2024.