müssen alle erst fortgeräumt werden, ehe die wahren Schranken, welche die Bewegung des Staates nicht hindern, sondern vielmehr beför- dern, gezeigt und aufgerichtet werden können. Diese wahren Schranken sind da, in allen wirk- lichen Staaten um uns her; sie bestimmen den praktischen Staatsmann und Gesetzgeber, wenn die kleinste Abgabe gefordert, der unbedeutendste Rechtsfall geschlichtet werden soll. Aber die Theo- rie betrachtet sie falsch; sie fixirt diese Schran- ken, nimmt ihnen Leben und Wachsthum, und stört auf diese Art das Wirken des Staats- mannes.
Wir müssen vor allen Dingen die Theorie berichtigen, da es uns darauf ankommt, sie mit der Praxis zu versöhnen. Fragt nun, nach die- ser Darstellung, noch irgend jemand: was ist denn der Zweck des Staates? so frage ich ihn wieder: du betrachtest also den Staat als Mit- tel? als ein künstliches Mittel? du meinst also noch immer, daß es außerhalb des Staates et- was gebe, um dessentwillen er da sey, dem er dienen müsse, wie das Gerüst dem Gebäude, wie die Schale dem Kern? -- Du glaubst im Herzen noch immer, es könne doch wohl noch einmal darauf hinaus laufen, daß der Staat nun überflüßig sey, und etwas Anderes, Besseres
muͤſſen alle erſt fortgeraͤumt werden, ehe die wahren Schranken, welche die Bewegung des Staates nicht hindern, ſondern vielmehr befoͤr- dern, gezeigt und aufgerichtet werden koͤnnen. Dieſe wahren Schranken ſind da, in allen wirk- lichen Staaten um uns her; ſie beſtimmen den praktiſchen Staatsmann und Geſetzgeber, wenn die kleinſte Abgabe gefordert, der unbedeutendſte Rechtsfall geſchlichtet werden ſoll. Aber die Theo- rie betrachtet ſie falſch; ſie fixirt dieſe Schran- ken, nimmt ihnen Leben und Wachsthum, und ſtoͤrt auf dieſe Art das Wirken des Staats- mannes.
Wir muͤſſen vor allen Dingen die Theorie berichtigen, da es uns darauf ankommt, ſie mit der Praxis zu verſoͤhnen. Fragt nun, nach die- ſer Darſtellung, noch irgend jemand: was iſt denn der Zweck des Staates? ſo frage ich ihn wieder: du betrachteſt alſo den Staat als Mit- tel? als ein kuͤnſtliches Mittel? du meinſt alſo noch immer, daß es außerhalb des Staates et- was gebe, um deſſentwillen er da ſey, dem er dienen muͤſſe, wie das Geruͤſt dem Gebaͤude, wie die Schale dem Kern? — Du glaubſt im Herzen noch immer, es koͤnne doch wohl noch einmal darauf hinaus laufen, daß der Staat nun uͤberfluͤßig ſey, und etwas Anderes, Beſſeres
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muͤſſen alle erſt fortgeraͤumt werden, ehe die
wahren Schranken, welche die Bewegung des
Staates nicht hindern, ſondern vielmehr befoͤr-
dern, gezeigt und aufgerichtet werden koͤnnen.
Dieſe wahren Schranken ſind da, in allen wirk-
lichen Staaten um uns her; ſie beſtimmen den
praktiſchen Staatsmann und Geſetzgeber, wenn
die kleinſte Abgabe gefordert, der unbedeutendſte
Rechtsfall geſchlichtet werden ſoll. Aber die Theo-
rie betrachtet ſie falſch; ſie fixirt dieſe Schran-
ken, nimmt ihnen Leben und Wachsthum, und
ſtoͤrt auf dieſe Art das Wirken des Staats-
mannes.
Wir muͤſſen vor allen Dingen die Theorie
berichtigen, da es uns darauf ankommt, ſie mit
der Praxis zu verſoͤhnen. Fragt nun, nach die-
ſer Darſtellung, noch irgend jemand: was iſt
denn der Zweck des Staates? ſo frage ich ihn
wieder: du betrachteſt alſo den Staat als Mit-
tel? als ein kuͤnſtliches Mittel? du meinſt alſo
noch immer, daß es außerhalb des Staates et-
was gebe, um deſſentwillen er da ſey, dem er
dienen muͤſſe, wie das Geruͤſt dem Gebaͤude,
wie die Schale dem Kern? — Du glaubſt im
Herzen noch immer, es koͤnne doch wohl noch
einmal darauf hinaus laufen, daß der Staat
nun uͤberfluͤßig ſey, und etwas Anderes, Beſſeres
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/101>, abgerufen am 22.11.2024.
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