Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.pmu_067.001 7. Neben dem Roman steht noch die Novelle, die ihrerseits einen pmu_067.005 Mir scheint, auch hier muß man in der Art des Vortrags das Wesen pmu_067.018 Diese aber ist für den Roman, wie bereits ausführlich dargelegt ist, das pmu_067.026 pmu_067.001 7. Neben dem Roman steht noch die Novelle, die ihrerseits einen pmu_067.005 Mir scheint, auch hier muß man in der Art des Vortrags das Wesen pmu_067.018 Diese aber ist für den Roman, wie bereits ausführlich dargelegt ist, das pmu_067.026 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0077" n="67"/><lb n="pmu_067.001"/> genießen. Der Roman aber, der sich an den Einzelleser wendet, ist recht <lb n="pmu_067.002"/> eigentlich die unserm raschlebenden, differenzierten, individualisierten <lb n="pmu_067.003"/> Zeitalter angemessene Form.</p> <lb n="pmu_067.004"/> </div> <div n="3"> <p> 7. Neben dem Roman steht noch die <hi rendition="#g">Novelle,</hi> die ihrerseits einen <lb n="pmu_067.005"/> eigenen Stil hat, der nicht etwa bloß durch die verschiedene Länge zu <lb n="pmu_067.006"/> charakterisieren ist, wie Gottfried Keller gewollt hat. Auch die nach <hi rendition="#g">Jnhalten</hi> <lb n="pmu_067.007"/> sondernde Unterscheidung, wie sie Spielhagen vorgenommen <lb n="pmu_067.008"/> hat, ist nicht erschöpfend. Man behauptet nämlich, die Novelle stelle einen <lb n="pmu_067.009"/> einzelnen, übrigens entscheidenden Lebensvorgang dar, und sie könne, <lb n="pmu_067.010"/> um diesen Mittelpunkt angeordnet, eine ausbreitende Entwicklung und <lb n="pmu_067.011"/> wesentliche Veränderung der Charaktere nicht bieten. Ähnlich würde die <lb n="pmu_067.012"/> Definition derer lauten, die mit Heyse Boccaccios bekannte Falkennovelle <lb n="pmu_067.013"/> als Mustertypus der Gattung ansehen. — Jndessen ist diese inhaltliche <lb n="pmu_067.014"/> Unterscheidung nicht grundlegend; es gibt dickbauchige Romane genug, <lb n="pmu_067.015"/> die keine eigentliche Entwicklung von Charakteren bieten, und echte Novellen, <lb n="pmu_067.016"/> die das dennoch leisten.</p> <lb n="pmu_067.017"/> <p> Mir scheint, auch hier muß man in der <hi rendition="#g">Art des Vortrags</hi> das Wesen <lb n="pmu_067.018"/> dieser Stilunterscheidung suchen. Und zwar hat die Novelle ein ganz <lb n="pmu_067.019"/> andres Tempo, einen andern Rhythmus, überhaupt ganz andre innere <lb n="pmu_067.020"/> Maße als der Roman. Wenn auch leider in der modernen Literatur die Stilunterschiede <lb n="pmu_067.021"/> oft völlig verwaschen und vernachlässigt sind, so kann doch darüber, <lb n="pmu_067.022"/> ob echter Novellenstil oder echter Romanstil vorliegt, kaum ein Zweifel <lb n="pmu_067.023"/> sein. — Und zwar dürfte auch hier entscheidend sein die bewußte oder unbewußte <lb n="pmu_067.024"/> Einstellung des Verfassers auf eine bestimmte Art der Darbietung.</p> <lb n="pmu_067.025"/> <p> Diese aber ist für den Roman, wie bereits ausführlich dargelegt ist, das <lb n="pmu_067.026"/> Lesen im Buch; die Novelle dagegen ist in viel höherem Grade für die <lb n="pmu_067.027"/> mündliche Erzählung oder wenigstens für das Vorlesen geeignet. Wir <lb n="pmu_067.028"/> wissen es, daß die meisten guten Novellendichter ihre Werke gern und oft <lb n="pmu_067.029"/> vorlasen; der Roman bietet ja meist durch seine Länge schon fürs Vorlesen <lb n="pmu_067.030"/> sehr ungünstige Bedingungen. Daß der Kontakt mit der mündlichen Erzählung <lb n="pmu_067.031"/> nicht verloren ist bei der Novelle, zeigt sich vor allem auch darin, <lb n="pmu_067.032"/> daß die echten Novellisten gern in der Geschichte selber einen Erzähler auftreten <lb n="pmu_067.033"/> lassen, dem sie nun die Haupterzählung in den Mund legen; Romane <lb n="pmu_067.034"/> dagegen geben sich oft als Tagebücher, Briefe, Chroniken usw., <lb n="pmu_067.035"/> kurz Geschriebenes, nicht Gesprochenes. Jndem aber der Dichter für ein <lb n="pmu_067.036"/> vorhandenes oder gedachtes Hörpublikum arbeitet, muß er sich notwendig <lb n="pmu_067.037"/> dessen Forderungen anpassen, die besonders der Ballade und dem Drama <lb n="pmu_067.038"/> gegenüber so stark hervortreten. Daher steht die Novelle dem Drama auch </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [67/0077]
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genießen. Der Roman aber, der sich an den Einzelleser wendet, ist recht pmu_067.002
eigentlich die unserm raschlebenden, differenzierten, individualisierten pmu_067.003
Zeitalter angemessene Form.
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7. Neben dem Roman steht noch die Novelle, die ihrerseits einen pmu_067.005
eigenen Stil hat, der nicht etwa bloß durch die verschiedene Länge zu pmu_067.006
charakterisieren ist, wie Gottfried Keller gewollt hat. Auch die nach Jnhalten pmu_067.007
sondernde Unterscheidung, wie sie Spielhagen vorgenommen pmu_067.008
hat, ist nicht erschöpfend. Man behauptet nämlich, die Novelle stelle einen pmu_067.009
einzelnen, übrigens entscheidenden Lebensvorgang dar, und sie könne, pmu_067.010
um diesen Mittelpunkt angeordnet, eine ausbreitende Entwicklung und pmu_067.011
wesentliche Veränderung der Charaktere nicht bieten. Ähnlich würde die pmu_067.012
Definition derer lauten, die mit Heyse Boccaccios bekannte Falkennovelle pmu_067.013
als Mustertypus der Gattung ansehen. — Jndessen ist diese inhaltliche pmu_067.014
Unterscheidung nicht grundlegend; es gibt dickbauchige Romane genug, pmu_067.015
die keine eigentliche Entwicklung von Charakteren bieten, und echte Novellen, pmu_067.016
die das dennoch leisten.
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Mir scheint, auch hier muß man in der Art des Vortrags das Wesen pmu_067.018
dieser Stilunterscheidung suchen. Und zwar hat die Novelle ein ganz pmu_067.019
andres Tempo, einen andern Rhythmus, überhaupt ganz andre innere pmu_067.020
Maße als der Roman. Wenn auch leider in der modernen Literatur die Stilunterschiede pmu_067.021
oft völlig verwaschen und vernachlässigt sind, so kann doch darüber, pmu_067.022
ob echter Novellenstil oder echter Romanstil vorliegt, kaum ein Zweifel pmu_067.023
sein. — Und zwar dürfte auch hier entscheidend sein die bewußte oder unbewußte pmu_067.024
Einstellung des Verfassers auf eine bestimmte Art der Darbietung.
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Diese aber ist für den Roman, wie bereits ausführlich dargelegt ist, das pmu_067.026
Lesen im Buch; die Novelle dagegen ist in viel höherem Grade für die pmu_067.027
mündliche Erzählung oder wenigstens für das Vorlesen geeignet. Wir pmu_067.028
wissen es, daß die meisten guten Novellendichter ihre Werke gern und oft pmu_067.029
vorlasen; der Roman bietet ja meist durch seine Länge schon fürs Vorlesen pmu_067.030
sehr ungünstige Bedingungen. Daß der Kontakt mit der mündlichen Erzählung pmu_067.031
nicht verloren ist bei der Novelle, zeigt sich vor allem auch darin, pmu_067.032
daß die echten Novellisten gern in der Geschichte selber einen Erzähler auftreten pmu_067.033
lassen, dem sie nun die Haupterzählung in den Mund legen; Romane pmu_067.034
dagegen geben sich oft als Tagebücher, Briefe, Chroniken usw., pmu_067.035
kurz Geschriebenes, nicht Gesprochenes. Jndem aber der Dichter für ein pmu_067.036
vorhandenes oder gedachtes Hörpublikum arbeitet, muß er sich notwendig pmu_067.037
dessen Forderungen anpassen, die besonders der Ballade und dem Drama pmu_067.038
gegenüber so stark hervortreten. Daher steht die Novelle dem Drama auch
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