1. Man thut gewiß Unrecht, wenn man hier die Künstler, wie Voß in den mythol. Briefen durchaus, als Neuerer ansieht; nur muß man überall darauf Rücksicht nehmen, daß, wo der Dich- ter Handlung, Thätigkeit beschreibt, der auf das Räumliche be- schränkte Künstler ein sichtliches Mittel der Bezeichnung braucht, und daß, wo die Volksvorstellung unbestimmt und sich selbst dun- kel ist, die Kunst durchaus eine feste klarbezeichnete Gestalt ver- langt. Aber weder die Kentauren (pheres oreskooi) sind durch die Künstler thierischer (eher menschlicher) geworden; noch sind die Harpyien (die Raffenden, welche wie Windbraus er- scheinen und verschwinden) je schöne Jungfrauen gewesen. Am seltsamsten ist es, wenn die Iris (Voß, Brief 22) nur bildlich, wegen der Eilfertigkeit ihres Ganges, goldgeflügelt heißen soll; als erhöhte das Gold der Flügel ihre Schnelligkeit.
2. Ich erinnere an die grade in der ältesten Kunst beliebten ithyphallischen Götter, die Gorgoköpfe, den vierhändigen Apollon Lakedämons u. dgl. Die geflügelte Athena-Nike auf der Burg von Athen (Ulpian zu Demosth. g. Timokr. p. 738. Corp. Inscr. n. 150. Enrip. Jon 460. 1545. vgl. Cic. N. D. iii, 23.) war auch wahrscheinlich vorphidiassisch; man findet sie besonders auf Etruskischen Spiegeln wieder. Nach den Schol. Arist. Vög. 574. beflügelte Archennos (Ol. 55.) zuerst die Nike -- frühere Nachrichten konnte man nicht wohl haben. Bei den Giganten ist indeß sicher die heroische Bildung die ältre, die durch die schlangenfüßige fast verdrängt worden ist.
3. In Sage und Poesie sind die Satyrn (tituroi, tragoi) oft ganz Böcke, Dionysos nnd die Ströme ganz Stier, Jo ganz Kuh, Aktäon Hirsch u. s. w.; die Kunst begnügt sich mit Anfü- gung von Hirsch- und Kuhhörnern. In gleichem Sinn werden bei Philostratos die Aesopischen Fabeln als Kinder mit Andeutun- gen der darin handelnden Thiere dargestellt, Thiersch in Schorns Kunstbl. 1827. N. 19.
Ueber Flügelfiguren Döring Comment. de alatis imagi- nibus u. Voß Myth. Br. B. ii, welcher sie eintheilt in solche, die es durch körperliche Gewandheit, durch sittliche Flüchtigkeit, und durch Geisteserhebung sind, wozu noch die Reit- und Zugthiere der Götter kommen. Je mehr allegorisch die Figur, um desto leichter war die Anwendung der Beflügelung. Von den Wun- dergestalten der Griech. Kunst unten. Die Sphinx auf den Mün- zen von Chios (wahrscheinlich eine Andeutung der Sibylla) ist die Aegyptische, nur schlanker und beflügelt.
II. Bildende Kunſt. Formen.
1. Man thut gewiß Unrecht, wenn man hier die Künſtler, wie Voß in den mythol. Briefen durchaus, als Neuerer anſieht; nur muß man überall darauf Rückſicht nehmen, daß, wo der Dich- ter Handlung, Thätigkeit beſchreibt, der auf das Räumliche be- ſchränkte Künſtler ein ſichtliches Mittel der Bezeichnung braucht, und daß, wo die Volksvorſtellung unbeſtimmt und ſich ſelbſt dun- kel iſt, die Kunſt durchaus eine feſte klarbezeichnete Geſtalt ver- langt. Aber weder die Kentauren (φῆρες ὀρεσκῷοι) ſind durch die Künſtler thieriſcher (eher menſchlicher) geworden; noch ſind die Harpyien (die Raffenden, welche wie Windbraus er- ſcheinen und verſchwinden) je ſchöne Jungfrauen geweſen. Am ſeltſamſten iſt es, wenn die Iris (Voß, Brief 22) nur bildlich, wegen der Eilfertigkeit ihres Ganges, goldgeflügelt heißen ſoll; als erhöhte das Gold der Flügel ihre Schnelligkeit.
2. Ich erinnere an die grade in der älteſten Kunſt beliebten ithyphalliſchen Götter, die Gorgoköpfe, den vierhändigen Apollon Lakedämons u. dgl. Die geflügelte Athena-Nike auf der Burg von Athen (Ulpian zu Demoſth. g. Timokr. p. 738. Corp. Inscr. n. 150. Enrip. Jon 460. 1545. vgl. Cic. N. D. iii, 23.) war auch wahrſcheinlich vorphidiaſſiſch; man findet ſie beſonders auf Etruskiſchen Spiegeln wieder. Nach den Schol. Ariſt. Vög. 574. beflügelte Archennos (Ol. 55.) zuerſt die Nike — frühere Nachrichten konnte man nicht wohl haben. Bei den Giganten iſt indeß ſicher die heroiſche Bildung die ältre, die durch die ſchlangenfüßige faſt verdrängt worden iſt.
3. In Sage und Poeſie ſind die Satyrn (τίτυροι, τράγοι) oft ganz Böcke, Dionyſos nnd die Ströme ganz Stier, Jo ganz Kuh, Aktäon Hirſch u. ſ. w.; die Kunſt begnügt ſich mit Anfü- gung von Hirſch- und Kuhhörnern. In gleichem Sinn werden bei Philoſtratos die Aeſopiſchen Fabeln als Kinder mit Andeutun- gen der darin handelnden Thiere dargeſtellt, Thierſch in Schorns Kunſtbl. 1827. N. 19.
Ueber Flügelfiguren Döring Comment. de alatis imagi- nibus u. Voß Myth. Br. B. ii, welcher ſie eintheilt in ſolche, die es durch körperliche Gewandheit, durch ſittliche Flüchtigkeit, und durch Geiſteserhebung ſind, wozu noch die Reit- und Zugthiere der Götter kommen. Je mehr allegoriſch die Figur, um deſto leichter war die Anwendung der Beflügelung. Von den Wun- dergeſtalten der Griech. Kunſt unten. Die Sphinx auf den Mün- zen von Chios (wahrſcheinlich eine Andeutung der Sibylla) iſt die Aegyptiſche, nur ſchlanker und beflügelt.
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II. Bildende Kunſt. Formen.
1. Man thut gewiß Unrecht, wenn man hier die Künſtler,
wie Voß in den mythol. Briefen durchaus, als Neuerer anſieht;
nur muß man überall darauf Rückſicht nehmen, daß, wo der Dich-
ter Handlung, Thätigkeit beſchreibt, der auf das Räumliche be-
ſchränkte Künſtler ein ſichtliches Mittel der Bezeichnung braucht,
und daß, wo die Volksvorſtellung unbeſtimmt und ſich ſelbſt dun-
kel iſt, die Kunſt durchaus eine feſte klarbezeichnete Geſtalt ver-
langt. Aber weder die Kentauren (φῆρες ὀρεσκῷοι) ſind
durch die Künſtler thieriſcher (eher menſchlicher) geworden; noch
ſind die Harpyien (die Raffenden, welche wie Windbraus er-
ſcheinen und verſchwinden) je ſchöne Jungfrauen geweſen. Am
ſeltſamſten iſt es, wenn die Iris (Voß, Brief 22) nur bildlich,
wegen der Eilfertigkeit ihres Ganges, goldgeflügelt heißen ſoll;
als erhöhte das Gold der Flügel ihre Schnelligkeit.
2. Ich erinnere an die grade in der älteſten Kunſt beliebten
ithyphalliſchen Götter, die Gorgoköpfe, den vierhändigen Apollon
Lakedämons u. dgl. Die geflügelte Athena-Nike auf der Burg
von Athen (Ulpian zu Demoſth. g. Timokr. p. 738. Corp. Inscr.
n. 150. Enrip. Jon 460. 1545. vgl. Cic. N. D. iii, 23.)
war auch wahrſcheinlich vorphidiaſſiſch; man findet ſie beſonders auf
Etruskiſchen Spiegeln wieder. Nach den Schol. Ariſt. Vög. 574.
beflügelte Archennos (Ol. 55.) zuerſt die Nike — frühere Nachrichten
konnte man nicht wohl haben. Bei den Giganten iſt indeß ſicher
die heroiſche Bildung die ältre, die durch die ſchlangenfüßige faſt
verdrängt worden iſt.
3. In Sage und Poeſie ſind die Satyrn (τίτυροι, τράγοι)
oft ganz Böcke, Dionyſos nnd die Ströme ganz Stier, Jo ganz
Kuh, Aktäon Hirſch u. ſ. w.; die Kunſt begnügt ſich mit Anfü-
gung von Hirſch- und Kuhhörnern. In gleichem Sinn werden
bei Philoſtratos die Aeſopiſchen Fabeln als Kinder mit Andeutun-
gen der darin handelnden Thiere dargeſtellt, Thierſch in Schorns
Kunſtbl. 1827. N. 19.
Ueber Flügelfiguren Döring Comment. de alatis imagi-
nibus u. Voß Myth. Br. B. ii, welcher ſie eintheilt in ſolche,
die es durch körperliche Gewandheit, durch ſittliche Flüchtigkeit, und
durch Geiſteserhebung ſind, wozu noch die Reit- und Zugthiere
der Götter kommen. Je mehr allegoriſch die Figur, um deſto
leichter war die Anwendung der Beflügelung. Von den Wun-
dergeſtalten der Griech. Kunſt unten. Die Sphinx auf den Mün-
zen von Chios (wahrſcheinlich eine Andeutung der Sibylla) iſt die
Aegyptiſche, nur ſchlanker und beflügelt.
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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/437>, abgerufen am 23.11.2024.
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