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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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I. Tektonik. Gebäude.
tron (koilon, cavea), die im verlängerten Halbkreis um-
herlaufenden Sitzstufen, horizontal getheilt durch breite
Gänge (diazomata, praecinctiones), keilförmig (in
kerkidas, cuneos) durch herablaufende Treppen. Die
Sitzstufen waren ehemals bloße Gerüste (ikria), hernach
gern in den Felsen gehaun. D. Der Säulenumgang,7
peripatos, über den Sitzreihen, der dem Theatron zur
Erweiterung, dem Ganzen zum Abschluß diente, und
auch durch Zwecke der Akustik (to sunekhein) wünschens-
werth gemacht wurde, welche nebst der Perspektive ein
Hauptstudium der Theaterbauer war. Auch Säulenhal-
len hinter dem Scenengebäude waren eine dem Publicum
erwünschte Zugabe. Das Odeion geht aus dem8
Theater hervor, wie die Musik einzelner Virtuosen aus
den Festgesängen der Chöre; hier wo kein Raum für
Bewegung nöthig ist, wo hauptsächlich nur gehört zu
werden braucht, rückt das Ganze zusammen, und kömmt
unter Dach.

3. Man muß sich indeß hüten, bei den zahllosen Theatern in
allen Theilen der Griechischen Welt überall gleich die Bestimmung
für Dramen vorauszusetzen. Züge, mit Wagen und Pferden (Athen.
iv. p. 139.), komoi, kerugmata, Musterungen, wie die der
Waisen der im Kriege Gebliebenen, wenn sie der Athenische Staat in
voller Rüstung entließ, fanden ebenfalls hier statt; ja das Theater
wurde immer mehr der Ort der Volksversammlungen, und die
Bühne vertrat dann gewiß das einfachere bema auf der gleichfalls
theaterförmig angelegten Pnyr.

4. Die Menge der Ruinen, und die Vollständigkeit mancher, z. B.
in Side §. 255, 2., in Laodikeia, wo Viel von der Scene erhalten
ist (Ion. ant. ii. pl. 50.), bei Rhiniassa in Epeiros (§. 253, 1),
läßt hoffen, daß wir nach den Arbeiten von Stieglitz, Groddeck,
Genelli, Kanngießer, Meineke, Hirt, noch eine auf vollständige ar-
chitektonische Benutzung des Materials gegründete Darstellung des
alten Theaters erhalten werden. Merkwürdig ist der Unterschied des
Kleinasiatischen Theater mit stumpfwinklich schließenden Sitzplätzen,
und der in Griechenland vorhandnen mit rechtwinklich abgeschnittnen.

Das Römische Theater ist nur eine modificirte Form des
Griechischen für Stücke ohne Chor, deren Einrichtung hernach wie-
der auf Recitationssääle übertragen wurde.

22*

I. Tektonik. Gebaͤude.
τρον (κοῖλον, cavea), die im verlaͤngerten Halbkreis um-
herlaufenden Sitzſtufen, horizontal getheilt durch breite
Gaͤnge (διαζώματα, praecinctiones), keilfoͤrmig (in
κερκίδας, cuneos) durch herablaufende Treppen. Die
Sitzſtufen waren ehemals bloße Geruͤſte (ἴκρια), hernach
gern in den Felſen gehaun. D. Der Saͤulenumgang,7
περίπατος, uͤber den Sitzreihen, der dem Theatron zur
Erweiterung, dem Ganzen zum Abſchluß diente, und
auch durch Zwecke der Akuſtik (τὸ συνηχεῖν) wuͤnſchens-
werth gemacht wurde, welche nebſt der Perſpektive ein
Hauptſtudium der Theaterbauer war. Auch Saͤulenhal-
len hinter dem Scenengebaͤude waren eine dem Publicum
erwuͤnſchte Zugabe. Das Odeion geht aus dem8
Theater hervor, wie die Muſik einzelner Virtuoſen aus
den Feſtgeſaͤngen der Choͤre; hier wo kein Raum fuͤr
Bewegung noͤthig iſt, wo hauptſaͤchlich nur gehoͤrt zu
werden braucht, ruͤckt das Ganze zuſammen, und koͤmmt
unter Dach.

3. Man muß ſich indeß hüten, bei den zahlloſen Theatern in
allen Theilen der Griechiſchen Welt überall gleich die Beſtimmung
für Dramen vorauszuſetzen. Züge, mit Wagen und Pferden (Athen.
iv. p. 139.), κῶμοι, κηρύγματα, Muſterungen, wie die der
Waiſen der im Kriege Gebliebenen, wenn ſie der Atheniſche Staat in
voller Rüſtung entließ, fanden ebenfalls hier ſtatt; ja das Theater
wurde immer mehr der Ort der Volksverſammlungen, und die
Bühne vertrat dann gewiß das einfachere βῆμα auf der gleichfalls
theaterförmig angelegten Pnyr.

4. Die Menge der Ruinen, und die Vollſtändigkeit mancher, z. B.
in Side §. 255, 2., in Laodikeia, wo Viel von der Scene erhalten
iſt (Ion. ant. ii. pl. 50.), bei Rhiniaſſa in Epeiros (§. 253, 1),
läßt hoffen, daß wir nach den Arbeiten von Stieglitz, Groddeck,
Genelli, Kanngießer, Meineke, Hirt, noch eine auf vollſtändige ar-
chitektoniſche Benutzung des Materials gegründete Darſtellung des
alten Theaters erhalten werden. Merkwürdig iſt der Unterſchied des
Kleinaſiatiſchen Theater mit ſtumpfwinklich ſchließenden Sitzplätzen,
und der in Griechenland vorhandnen mit rechtwinklich abgeſchnittnen.

Das Römiſche Theater iſt nur eine modificirte Form des
Griechiſchen für Stücke ohne Chor, deren Einrichtung hernach wie-
der auf Recitationsſääle übertragen wurde.

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[339/0361] I. Tektonik. Gebaͤude. τρον (κοῖλον, cavea), die im verlaͤngerten Halbkreis um- herlaufenden Sitzſtufen, horizontal getheilt durch breite Gaͤnge (διαζώματα, praecinctiones), keilfoͤrmig (in κερκίδας, cuneos) durch herablaufende Treppen. Die Sitzſtufen waren ehemals bloße Geruͤſte (ἴκρια), hernach gern in den Felſen gehaun. D. Der Saͤulenumgang, περίπατος, uͤber den Sitzreihen, der dem Theatron zur Erweiterung, dem Ganzen zum Abſchluß diente, und auch durch Zwecke der Akuſtik (τὸ συνηχεῖν) wuͤnſchens- werth gemacht wurde, welche nebſt der Perſpektive ein Hauptſtudium der Theaterbauer war. Auch Saͤulenhal- len hinter dem Scenengebaͤude waren eine dem Publicum erwuͤnſchte Zugabe. Das Odeion geht aus dem Theater hervor, wie die Muſik einzelner Virtuoſen aus den Feſtgeſaͤngen der Choͤre; hier wo kein Raum fuͤr Bewegung noͤthig iſt, wo hauptſaͤchlich nur gehoͤrt zu werden braucht, ruͤckt das Ganze zuſammen, und koͤmmt unter Dach. 7 8 3. Man muß ſich indeß hüten, bei den zahlloſen Theatern in allen Theilen der Griechiſchen Welt überall gleich die Beſtimmung für Dramen vorauszuſetzen. Züge, mit Wagen und Pferden (Athen. iv. p. 139.), κῶμοι, κηρύγματα, Muſterungen, wie die der Waiſen der im Kriege Gebliebenen, wenn ſie der Atheniſche Staat in voller Rüſtung entließ, fanden ebenfalls hier ſtatt; ja das Theater wurde immer mehr der Ort der Volksverſammlungen, und die Bühne vertrat dann gewiß das einfachere βῆμα auf der gleichfalls theaterförmig angelegten Pnyr. 4. Die Menge der Ruinen, und die Vollſtändigkeit mancher, z. B. in Side §. 255, 2., in Laodikeia, wo Viel von der Scene erhalten iſt (Ion. ant. ii. pl. 50.), bei Rhiniaſſa in Epeiros (§. 253, 1), läßt hoffen, daß wir nach den Arbeiten von Stieglitz, Groddeck, Genelli, Kanngießer, Meineke, Hirt, noch eine auf vollſtändige ar- chitektoniſche Benutzung des Materials gegründete Darſtellung des alten Theaters erhalten werden. Merkwürdig iſt der Unterſchied des Kleinaſiatiſchen Theater mit ſtumpfwinklich ſchließenden Sitzplätzen, und der in Griechenland vorhandnen mit rechtwinklich abgeſchnittnen. Das Römiſche Theater iſt nur eine modificirte Form des Griechiſchen für Stücke ohne Chor, deren Einrichtung hernach wie- der auf Recitationsſääle übertragen wurde. 22*

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/361>, abgerufen am 13.05.2024.