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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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I. Tektonik. Gebäude.
Dor. 2. corona (geison), der Kranzleisten, mit den
schräghängenden Köpfen der Dielen (mutuli) darunter,
woran die Tropfen sitzen. 3. ein zweites cymatium.
4. sima,
der Rinnleisten, mit den Löwenköpfen über den
Säulen. b. Jonisches, 1. denticuli, Zahnschnitte, nebst8
der intersectio, metokhe, auch metopa, den Ausschnit-
ten. 2. ein cymatium. 3. corona. 4. cymatium.
5. sima. c.
Korinthisches, ähnlich, nur daß unter dem
Kranzleisten die Kragsteine, ancones s. mutuli, deren
Form aus Voluten und Acanthusblättern zusammengesetzt
ist, als Träger vortreten. Bei jeder Gattung ist ver-9
hältnißmäßige Höhe, Stärke und Einfachheit Zeichen
des frühern Alterthums; Zusammenziehung der glatten
Flächen, schmälere und dünnere Gestalt, so wie reichere
Verzierung Kriterion des spätern.

3. Tropfen in fortlaufender Reihe ohne Triglyphen sind im
Alterthum nicht ganz selten, am Pronaos von Rhamnus, Thurm
des Kyrrhestes, Kyrenäischen Gräbern (Pacho pl. 19. 40. 46).

6. Die älteste Jonische Architektur hatte gewiß gleich über dem
Architrav den Zahnschnitt, indem über die dünneren Säulen auch
nur leichte Latten statt der schweren Queerbalken des Dorischen Dachs
gelegt wurden, welche nach außen die denticuli bilden. Dies fin-
det man nun auch erstens in der orientalischen Form der Jonischen
Baukunst (vgl. §. 54. 244.), in Persepolis, in Telmissos, in Phry-
gien (245, 5.), und dann in der Karyatidenhalle zu Athen.

7. Vitruv leitet die Dielenköpfe von der proiectura canthe-
riorum,
die denticuli von der proi. asserum her, wogegen
mit Recht öfter gesprochen worden ist. Die mutuli bei der Ko-
rinthischen Gattung scheinen bei ihm schon eine Art Kragsteine zu
sein.

283. Die einfachste Decke, ein queerübergelegter1
Stein, kömmt nur bei Monumenten der anspruchslose-
sten Art vor. Tempel und andre Prachtgebäude hatten
Felderdecken, lacunaria, phatnomata, welche aus der
Holzarbeit in Stein übertragen wurden. Die Alten un-2
terscheiden: 1. die zunächst über den Architraven liegen-

I. Tektonik. Gebaͤude.
Dor. 2. corona (γεῖσον), der Kranzleiſten, mit den
ſchraͤghaͤngenden Koͤpfen der Dielen (mutuli) darunter,
woran die Tropfen ſitzen. 3. ein zweites cymatium.
4. sima,
der Rinnleiſten, mit den Loͤwenkoͤpfen uͤber den
Saͤulen. b. Joniſches, 1. denticuli, Zahnſchnitte, nebſt8
der intersectio, μετοχὴ, auch metopa, den Ausſchnit-
ten. 2. ein cymatium. 3. corona. 4. cymatium.
5. sima. c.
Korinthiſches, aͤhnlich, nur daß unter dem
Kranzleiſten die Kragſteine, ancones s. mutuli, deren
Form aus Voluten und Acanthusblaͤttern zuſammengeſetzt
iſt, als Traͤger vortreten. Bei jeder Gattung iſt ver-9
haͤltnißmaͤßige Hoͤhe, Staͤrke und Einfachheit Zeichen
des fruͤhern Alterthums; Zuſammenziehung der glatten
Flaͤchen, ſchmaͤlere und duͤnnere Geſtalt, ſo wie reichere
Verzierung Kriterion des ſpaͤtern.

3. Tropfen in fortlaufender Reihe ohne Triglyphen ſind im
Alterthum nicht ganz ſelten, am Pronaos von Rhamnus, Thurm
des Kyrrheſtes, Kyrenäiſchen Gräbern (Pacho pl. 19. 40. 46).

6. Die älteſte Joniſche Architektur hatte gewiß gleich über dem
Architrav den Zahnſchnitt, indem über die dünneren Säulen auch
nur leichte Latten ſtatt der ſchweren Queerbalken des Doriſchen Dachs
gelegt wurden, welche nach außen die denticuli bilden. Dies fin-
det man nun auch erſtens in der orientaliſchen Form der Joniſchen
Baukunſt (vgl. §. 54. 244.), in Perſepolis, in Telmiſſos, in Phry-
gien (245, 5.), und dann in der Karyatidenhalle zu Athen.

7. Vitruv leitet die Dielenköpfe von der proiectura canthe-
riorum,
die denticuli von der proi. asserum her, wogegen
mit Recht öfter geſprochen worden iſt. Die mutuli bei der Ko-
rinthiſchen Gattung ſcheinen bei ihm ſchon eine Art Kragſteine zu
ſein.

283. Die einfachſte Decke, ein queeruͤbergelegter1
Stein, koͤmmt nur bei Monumenten der anſpruchsloſe-
ſten Art vor. Tempel und andre Prachtgebaͤude hatten
Felderdecken, lacunaria, φατνώματα, welche aus der
Holzarbeit in Stein uͤbertragen wurden. Die Alten un-2
terſcheiden: 1. die zunaͤchſt uͤber den Architraven liegen-

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[331/0353] I. Tektonik. Gebaͤude. Dor. 2. corona (γεῖσον), der Kranzleiſten, mit den ſchraͤghaͤngenden Koͤpfen der Dielen (mutuli) darunter, woran die Tropfen ſitzen. 3. ein zweites cymatium. 4. sima, der Rinnleiſten, mit den Loͤwenkoͤpfen uͤber den Saͤulen. b. Joniſches, 1. denticuli, Zahnſchnitte, nebſt der intersectio, μετοχὴ, auch metopa, den Ausſchnit- ten. 2. ein cymatium. 3. corona. 4. cymatium. 5. sima. c. Korinthiſches, aͤhnlich, nur daß unter dem Kranzleiſten die Kragſteine, ancones s. mutuli, deren Form aus Voluten und Acanthusblaͤttern zuſammengeſetzt iſt, als Traͤger vortreten. Bei jeder Gattung iſt ver- haͤltnißmaͤßige Hoͤhe, Staͤrke und Einfachheit Zeichen des fruͤhern Alterthums; Zuſammenziehung der glatten Flaͤchen, ſchmaͤlere und duͤnnere Geſtalt, ſo wie reichere Verzierung Kriterion des ſpaͤtern. 8 9 3. Tropfen in fortlaufender Reihe ohne Triglyphen ſind im Alterthum nicht ganz ſelten, am Pronaos von Rhamnus, Thurm des Kyrrheſtes, Kyrenäiſchen Gräbern (Pacho pl. 19. 40. 46). 6. Die älteſte Joniſche Architektur hatte gewiß gleich über dem Architrav den Zahnſchnitt, indem über die dünneren Säulen auch nur leichte Latten ſtatt der ſchweren Queerbalken des Doriſchen Dachs gelegt wurden, welche nach außen die denticuli bilden. Dies fin- det man nun auch erſtens in der orientaliſchen Form der Joniſchen Baukunſt (vgl. §. 54. 244.), in Perſepolis, in Telmiſſos, in Phry- gien (245, 5.), und dann in der Karyatidenhalle zu Athen. 7. Vitruv leitet die Dielenköpfe von der proiectura canthe- riorum, die denticuli von der proi. asserum her, wogegen mit Recht öfter geſprochen worden iſt. Die mutuli bei der Ko- rinthiſchen Gattung ſcheinen bei ihm ſchon eine Art Kragſteine zu ſein. 283. Die einfachſte Decke, ein queeruͤbergelegter Stein, koͤmmt nur bei Monumenten der anſpruchsloſe- ſten Art vor. Tempel und andre Prachtgebaͤude hatten Felderdecken, lacunaria, φατνώματα, welche aus der Holzarbeit in Stein uͤbertragen wurden. Die Alten un- terſcheiden: 1. die zunaͤchſt uͤber den Architraven liegen- 1 2

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/353>, abgerufen am 13.05.2024.