Kunstideen, in inniger Uebereinstimmung mit den Kunst- formen, in verschiedenen Künsten schon im Keime verschie- den sind.
2. Wenn auch immer eine Musik, ein Gemälde verwandte Kunstideen darstellen können: so ist doch eine eben so bestimmte Scheidung zwischen denselben von Anfang an.
17. Hiebei beobachten wir das Gesetz, daß je dunk-1 ler die in der Kunstidee enthaltene Vorstellung ist, um desto mehr mathematische Verhältnisse (als Grundlage al- les Lebens) zur Darstellung genügen; je klarer aber jene Vorstellung wird, um desto mehr die Formen der höhern, weiter entwickelten, organischen, Natur entnommen wer- den müssen. Wie nun aber der wissenschaftliche Ver-2 stand nur jene mathematischen Verhältnisse durchdringt, das organische Leben aber ihm immer ein Geheimniß bleibt: so erscheint auch die künstlerische Phantasie nur in jenen frei schaffend, von der äußern Natur unabhän- gig, in diesen dagegen gebundener und auf Beobachtung des äußerlich vorhandenen angewiesen.
1. Rhythmik, Musik, Architektur, welche durch mathematische Verhältnisse wirken, stellen Vorstellungen sehr dunkler Art dar. For- men der Art sind die Grundformen des Universums, aber keines individuellen Lebens. Die Formen des vegetativen Lebens (Land- schaftsmahlerei) gestatten schon mehr Bestimmtheit der Vorstellun- gen; am meisten die des höchsten animalischen (historische Mahlerei, Plastik.) Von dem Gefallen an Kunstformen der erstern Art ist auch die Thierwelt nicht ganz ausgeschlossen; es giebt musikalische, architektonische Instinkte, keinen plastischen. Jede Kunst fehlt, in- dem sie ihre Formen anders als ihrer Bestimmung gemäß brauchen will; die Musik z. B. wenn sie mahlt.
18. Jede Form setzt eine Größe voraus, die entwe-1 der in der Zeit oder im Raume, in der Succession oder Coexistenz, gegeben sein kann. Die Zeit wird durch2 Bewegung zur Erscheinung gebracht, und zur besondern
Zur Theorie der Kunſt.
Kunſtideen, in inniger Uebereinſtimmung mit den Kunſt- formen, in verſchiedenen Kuͤnſten ſchon im Keime verſchie- den ſind.
2. Wenn auch immer eine Muſik, ein Gemälde verwandte Kunſtideen darſtellen können: ſo iſt doch eine eben ſo beſtimmte Scheidung zwiſchen denſelben von Anfang an.
17. Hiebei beobachten wir das Geſetz, daß je dunk-1 ler die in der Kunſtidee enthaltene Vorſtellung iſt, um deſto mehr mathematiſche Verhaͤltniſſe (als Grundlage al- les Lebens) zur Darſtellung genuͤgen; je klarer aber jene Vorſtellung wird, um deſto mehr die Formen der hoͤhern, weiter entwickelten, organiſchen, Natur entnommen wer- den muͤſſen. Wie nun aber der wiſſenſchaftliche Ver-2 ſtand nur jene mathematiſchen Verhaͤltniſſe durchdringt, das organiſche Leben aber ihm immer ein Geheimniß bleibt: ſo erſcheint auch die kuͤnſtleriſche Phantaſie nur in jenen frei ſchaffend, von der aͤußern Natur unabhaͤn- gig, in dieſen dagegen gebundener und auf Beobachtung des aͤußerlich vorhandenen angewieſen.
1. Rhythmik, Muſik, Architektur, welche durch mathematiſche Verhältniſſe wirken, ſtellen Vorſtellungen ſehr dunkler Art dar. For- men der Art ſind die Grundformen des Univerſums, aber keines individuellen Lebens. Die Formen des vegetativen Lebens (Land- ſchaftsmahlerei) geſtatten ſchon mehr Beſtimmtheit der Vorſtellun- gen; am meiſten die des höchſten animaliſchen (hiſtoriſche Mahlerei, Plaſtik.) Von dem Gefallen an Kunſtformen der erſtern Art iſt auch die Thierwelt nicht ganz ausgeſchloſſen; es giebt muſikaliſche, architektoniſche Inſtinkte, keinen plaſtiſchen. Jede Kunſt fehlt, in- dem ſie ihre Formen anders als ihrer Beſtimmung gemäß brauchen will; die Muſik z. B. wenn ſie mahlt.
18. Jede Form ſetzt eine Groͤße voraus, die entwe-1 der in der Zeit oder im Raume, in der Succeſſion oder Coexiſtenz, gegeben ſein kann. Die Zeit wird durch2 Bewegung zur Erſcheinung gebracht, und zur beſondern
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Zur Theorie der Kunſt.
Kunſtideen, in inniger Uebereinſtimmung mit den Kunſt-
formen, in verſchiedenen Kuͤnſten ſchon im Keime verſchie-
den ſind.
2. Wenn auch immer eine Muſik, ein Gemälde verwandte
Kunſtideen darſtellen können: ſo iſt doch eine eben ſo beſtimmte
Scheidung zwiſchen denſelben von Anfang an.
17. Hiebei beobachten wir das Geſetz, daß je dunk-
ler die in der Kunſtidee enthaltene Vorſtellung iſt, um
deſto mehr mathematiſche Verhaͤltniſſe (als Grundlage al-
les Lebens) zur Darſtellung genuͤgen; je klarer aber jene
Vorſtellung wird, um deſto mehr die Formen der hoͤhern,
weiter entwickelten, organiſchen, Natur entnommen wer-
den muͤſſen. Wie nun aber der wiſſenſchaftliche Ver-
ſtand nur jene mathematiſchen Verhaͤltniſſe durchdringt,
das organiſche Leben aber ihm immer ein Geheimniß
bleibt: ſo erſcheint auch die kuͤnſtleriſche Phantaſie nur
in jenen frei ſchaffend, von der aͤußern Natur unabhaͤn-
gig, in dieſen dagegen gebundener und auf Beobachtung
des aͤußerlich vorhandenen angewieſen.
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Verhältniſſe wirken, ſtellen Vorſtellungen ſehr dunkler Art dar. For-
men der Art ſind die Grundformen des Univerſums, aber keines
individuellen Lebens. Die Formen des vegetativen Lebens (Land-
ſchaftsmahlerei) geſtatten ſchon mehr Beſtimmtheit der Vorſtellun-
gen; am meiſten die des höchſten animaliſchen (hiſtoriſche Mahlerei,
Plaſtik.) Von dem Gefallen an Kunſtformen der erſtern Art iſt
auch die Thierwelt nicht ganz ausgeſchloſſen; es giebt muſikaliſche,
architektoniſche Inſtinkte, keinen plaſtiſchen. Jede Kunſt fehlt, in-
dem ſie ihre Formen anders als ihrer Beſtimmung gemäß brauchen
will; die Muſik z. B. wenn ſie mahlt.
18. Jede Form ſetzt eine Groͤße voraus, die entwe-
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Coexiſtenz, gegeben ſein kann. Die Zeit wird durch
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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/29>, abgerufen am 24.11.2024.
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