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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Anhang. Aegyptier.
ander. Seit uralten Zeiten wurden Könige und Priester2
durch Statuen geehrt, die von denen der Götter kaum
durch ein allgemeines Kennzeichen zu unterscheiden sind;
und wie die Pylonen und Wände der Palläste, die Kö-3
nigs-Gräber und Monumente die Hauptthaten des krie-
gerischen Lebens der Herrscher verewigen: so bezeugen die4
Wände der Gräber des Volkes durch Gemälde überall
das besondere Geschäft und den speciellen Beruf derer
die sie inne haben. Ueberall herrscht das Streben das5
Gedächtniß bestimmter Begebenheiten und Zustände zu er-
halten; welches häufig so weit geht, daß das speciellste
Detail, die Zahl erschlagner Feinde, gefangener Fische
und Vögel, mit in die Kunstdarstellung aufgenommen
wird, und sie selbst die Stelle eines Registers darüber
vertritt. -- Und so baut sich, wie im ganzen Aegypti-6
schen Leben, so auch in der Kunst, auf dem Fundament
einer bizarren Natur- und Weltanschauung, welche in
der Religion erstarrt und verewigt war, auf einem durch-
aus phantastischen Grunde, ein nüchternes und trockenes
Verstandesleben auf, welches das äußere Leben mit einer
großen Subtilität, aus der tausend Distinctionen hervor-
gehn, ausbildet, jene Produkte einer alterthümlichen
Phantasie, jene seltsamen Symbole, dabei als gegebne
Formeln anwendet, und mit einem kalten Scharfsinne
mannigfach bald zerlegt bald combinirt; dabei aber durch-
aus von jener Wärme und Lebendigkeit der Anschauung,
der die eigentliche und ewige Bedeutung der Naturformen
aufgeht, von jener gesunden Mitte von Gemüthsleben und
Sinnlichkeit, aus der allein die Kunst hervorwächst, him-
melweit entfernt bleibt.

2. Statuen der Könige, besonders colossale, sind zahlreicher
als die der Götter. Der 60 Fuß hohe sog. Memnon (den blos die
Griechen, wegen des zufälligen Klingens beim Sonnenaufgang,
mit dem Namen des Sohnes der Morgenröthe benannten) in der
Descr. ii. pl. 22. Hierogl. 13. ist Amenophis II; es ist die Sta-
tue, die noch zu Juvenals Zeit (xv, 5) halbabgebrochen war und
erst hernach restaurirt wurde; daneben steht der vollständigere Coloss

Anhang. Aegyptier.
ander. Seit uralten Zeiten wurden Koͤnige und Prieſter2
durch Statuen geehrt, die von denen der Goͤtter kaum
durch ein allgemeines Kennzeichen zu unterſcheiden ſind;
und wie die Pylonen und Waͤnde der Pallaͤſte, die Koͤ-3
nigs-Graͤber und Monumente die Hauptthaten des krie-
geriſchen Lebens der Herrſcher verewigen: ſo bezeugen die4
Waͤnde der Graͤber des Volkes durch Gemaͤlde uͤberall
das beſondere Geſchaͤft und den ſpeciellen Beruf derer
die ſie inne haben. Ueberall herrſcht das Streben das5
Gedaͤchtniß beſtimmter Begebenheiten und Zuſtaͤnde zu er-
halten; welches haͤufig ſo weit geht, daß das ſpeciellſte
Detail, die Zahl erſchlagner Feinde, gefangener Fiſche
und Voͤgel, mit in die Kunſtdarſtellung aufgenommen
wird, und ſie ſelbſt die Stelle eines Regiſters daruͤber
vertritt. — Und ſo baut ſich, wie im ganzen Aegypti-6
ſchen Leben, ſo auch in der Kunſt, auf dem Fundament
einer bizarren Natur- und Weltanſchauung, welche in
der Religion erſtarrt und verewigt war, auf einem durch-
aus phantaſtiſchen Grunde, ein nuͤchternes und trockenes
Verſtandesleben auf, welches das aͤußere Leben mit einer
großen Subtilitaͤt, aus der tauſend Diſtinctionen hervor-
gehn, ausbildet, jene Produkte einer alterthuͤmlichen
Phantaſie, jene ſeltſamen Symbole, dabei als gegebne
Formeln anwendet, und mit einem kalten Scharfſinne
mannigfach bald zerlegt bald combinirt; dabei aber durch-
aus von jener Waͤrme und Lebendigkeit der Anſchauung,
der die eigentliche und ewige Bedeutung der Naturformen
aufgeht, von jener geſunden Mitte von Gemuͤthsleben und
Sinnlichkeit, aus der allein die Kunſt hervorwaͤchſt, him-
melweit entfernt bleibt.

2. Statuen der Könige, beſonders coloſſale, ſind zahlreicher
als die der Götter. Der 60 Fuß hohe ſog. Memnon (den blos die
Griechen, wegen des zufälligen Klingens beim Sonnenaufgang,
mit dem Namen des Sohnes der Morgenröthe benannten) in der
Descr. ii. pl. 22. Hierogl. 13. iſt Amenophis II; es iſt die Sta-
tue, die noch zu Juvenals Zeit (xv, 5) halbabgebrochen war und
erſt hernach reſtaurirt wurde; daneben ſteht der vollſtändigere Coloſſ

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[251/0273] Anhang. Aegyptier. ander. Seit uralten Zeiten wurden Koͤnige und Prieſter durch Statuen geehrt, die von denen der Goͤtter kaum durch ein allgemeines Kennzeichen zu unterſcheiden ſind; und wie die Pylonen und Waͤnde der Pallaͤſte, die Koͤ- nigs-Graͤber und Monumente die Hauptthaten des krie- geriſchen Lebens der Herrſcher verewigen: ſo bezeugen die Waͤnde der Graͤber des Volkes durch Gemaͤlde uͤberall das beſondere Geſchaͤft und den ſpeciellen Beruf derer die ſie inne haben. Ueberall herrſcht das Streben das Gedaͤchtniß beſtimmter Begebenheiten und Zuſtaͤnde zu er- halten; welches haͤufig ſo weit geht, daß das ſpeciellſte Detail, die Zahl erſchlagner Feinde, gefangener Fiſche und Voͤgel, mit in die Kunſtdarſtellung aufgenommen wird, und ſie ſelbſt die Stelle eines Regiſters daruͤber vertritt. — Und ſo baut ſich, wie im ganzen Aegypti- ſchen Leben, ſo auch in der Kunſt, auf dem Fundament einer bizarren Natur- und Weltanſchauung, welche in der Religion erſtarrt und verewigt war, auf einem durch- aus phantaſtiſchen Grunde, ein nuͤchternes und trockenes Verſtandesleben auf, welches das aͤußere Leben mit einer großen Subtilitaͤt, aus der tauſend Diſtinctionen hervor- gehn, ausbildet, jene Produkte einer alterthuͤmlichen Phantaſie, jene ſeltſamen Symbole, dabei als gegebne Formeln anwendet, und mit einem kalten Scharfſinne mannigfach bald zerlegt bald combinirt; dabei aber durch- aus von jener Waͤrme und Lebendigkeit der Anſchauung, der die eigentliche und ewige Bedeutung der Naturformen aufgeht, von jener geſunden Mitte von Gemuͤthsleben und Sinnlichkeit, aus der allein die Kunſt hervorwaͤchſt, him- melweit entfernt bleibt. 2 3 4 5 6 2. Statuen der Könige, beſonders coloſſale, ſind zahlreicher als die der Götter. Der 60 Fuß hohe ſog. Memnon (den blos die Griechen, wegen des zufälligen Klingens beim Sonnenaufgang, mit dem Namen des Sohnes der Morgenröthe benannten) in der Descr. ii. pl. 22. Hierogl. 13. iſt Amenophis II; es iſt die Sta- tue, die noch zu Juvenals Zeit (xv, 5) halbabgebrochen war und erſt hernach reſtaurirt wurde; daneben ſteht der vollſtändigere Coloſſ

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/273>, abgerufen am 24.11.2024.